Deutschland 2024 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Eva Trobisch Drehbuch: Eva Trobisch Kamera: Adrian Campean Darsteller: Minna Wündrich, Pia Hierzegger, Lukas Turtur, Pierre Siegenthaler, Leopold von Verschuer u.a. |
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Unterwegs durch NRW | ||
(Foto: Piffl) |
Sie ist immer on the road, quer durch Nordrhein-Westfalen, zu ihren Patienten und Patientinnen, die am Endpunkt ihres Lebens stehen. Als Palliativpflegerin sorgt Ivo noch einmal für eine letzte Erleichterung, überwacht die Schmerzmedikation, streichelt die Stirn der Sterbenskranken, hört ihnen zu. Es ist verständlich, wenn sie nicht immer freudig begrüßt wird: Sie ist der Todesengel, die Botschafterin der schlechten Nachricht, bricht in das bisschen Leben, das den Kranken noch bleibt, hinein und konfrontiert sie mit der Wahrheit.
Minna Wündrich spielt diese Ivo mit bewundernswerter Ruhe und Gefasstheit. Es ist ihre erste Kinohauptrolle, nach langjährigen Engagements am Schauspielhaus Bochum und Düsseldorf und ein paar Nebenrollen in deutschen Komödien. Und sie trägt den Film bravourös, die Rolle ist wie für sie geschrieben. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Trobisch gilt seit ihrem Debüt Alles ist gut (2018) als eine der besten und wichtigsten neuen Stimmen des deutschen Films, die sehr glaubhaft schwere Themen mit großer Leichtigkeit zu inszenieren weiß.
Ohne Befürchtung vor allzu viel Dramatisierung oder Emotionalität kann man sich also mit Eva Trobisch dem schweren Thema anvertrauen. Ivo ist ein zutiefst humanistisches Porträt über eine Palliativpflegerin und ihren Patientinnen und Patienten, die ihre je eigene Biografie, ihren je eigenen Charakter – die einen sind humorvoll, andere stur, manche herzlich, andere abweisend – mitbringen. Der Gang durch die Wohnungen und Häuser durch die ambulante Pflegerin (genial, wie Trobisch ihre Figur als Vehikel für ihr Thema einsetzt) ist auch ein Gang durch die realen Wohnzimmer und Leben in Deutschland. Unterschiedliche Lebensstile, die sich in der Einrichtung vom Gelsenkirchner Barock bis zur coolen Designerwohnung mitteilen, fächern auch soziale Klassen auf.
Zwischen ihren Krankenbesuchen fährt Ivo mit ihrem kleinen Pflegerinnen-Auto, wie man es von Deutschlands Straßenbild nur allzu gut kennt, über die Landstraßen. Hört Musik, lehnt sich zurück in ihren Autositz, atmet drei Mal tief durch, während die Sonne durch das Blattwerk der Bäume glitzert – Kameramann Adrian Campean gibt dem unspektakulären Roadmovie bilderstarke Momente.
Bei all der Ruhe und Aufopferung sucht man nach den Sollbruchstellen dieser sehr geerdeten Mutter Theresa. So erfahren wir, sehr beiläufig, dass Ivo auch einmal ein Privatleben gehabt haben muss – und noch hat, in Gestalt ihrer halbwüchsigen Tochter. Diese wird jedoch alsbald in ein Auslandsjahr geschickt und narrativ sozusagen aus dem Weg geräumt. Die kleine familiäre Skizze aber situiert Ivo an der unteren Skala der sozialen Schichten: als Alleinerziehende muss die Belastung dann doch sehr groß sein, der anstrengende Sozial-Job dann doch auch eine penible Notwendigkeit.
Dass Ivo tatsächlich nicht über allem steht, wirft dann wiederum die enge Beziehung zu einer ihrer Patientinnen auf. Solveigh, gespielt von Pia Hierzegger (bekannt auch als Frau von Josef Hader), ist noch jung, der Krebs hat sie fest im Griff. Ivo gibt ihr freundschaftliche Nähe, verbringt viel Zeit mit ihr, schon fast ein wenig Alltag, kuschelt sich zu ihr auf die Couch. Aber da ist noch etwas anderes, vielleicht Unerhörtes, was sie mit der Patientin so stark verbindet. Minna Wündrichs Figur verlässt an diesem Punkt den »Code of Conduct« der Palliativpflegerin, die sich in gefährliche zwischenmenschliche Dimensionen hineinmanövriert – und an dieser Stelle das zurückhaltende Drehbuch, das der Realität viel Raum lässt, einen Ticken zu stark strapaziert.
Aber selbst bei dramatischen oder moralischen Zuspitzungen bleibt Eva Trobisch immer der Realität verbunden, findet glaubhafte Erklärungen und unspektakuläre Lösungen. Nicht nur wegen des Schluss-Songs der Kanadierin Michelle Gurevich ist Ivo ein großer Glücksfall für das deutsche Kino.