Deutschland 2002 · 95 min. · FSK: ab 0 Regie: Kai Wessel Drehbuch: Sathyan Ramesh Kamera: Hagen Bogdanski Darsteller: Oliver Korittke, Max Mauff, Diane Siemons-Willems, Thomas Drechsel u.a. |
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Tristan, Anfang 30 erinnert sich an 1985 zurück – sein Jahr der ersten Küsse. Damals war er 15 und mitten in der Pubertät. Ihm geht es nicht besser als anderen Jungs. Hinzu kommt die Scheidung seiner Eltern. Die heile Welt der Kindheit löst sich so sprichwörtlich auf und in der neuen Welt der Jugendlichen und Erwachsenen findet er sich noch nicht zurecht. Er verliebt sich erstmals, ist aber zu schüchtern und unsicher, um die Angebetete anzusprechen oder gar zu küssen. Den anderen Jungen und Mädchen in seiner Clique geht es nicht anders – außer Simone und Lars, die schon länger ein Pärchen sind und deshalb die Partnerschaftsprobleme von der anderen Seite erleben, mit Eifersucht und allem drum und dran. Es wird ein aufregendes Jahr für Tristan. Ein Jahr der Parties und Liebesrankünen. Eine Initiation aber auch ein Abschied, denn Ende des Jahres wird er seine Clique für immer verlassen und in eine andere Stadt ziehen. Aber er wird seinen ersten Kuß bekommen und die Liebe seines Lebens finden.
Inhaltsangabe und Vorabinformationen zum Film weckten zwei Befürchtungen: Ist es eine der üblichen Teenie-Klamotten mit pubertären Scherzen a la Harte Jungs oder American Pie? Oder der Versuch, einen Film zum aktuellen 80er-Jahre-Revival zu liefern? Beide erweisen sich schnell als unbegründet. Der Film nimmt die Teenager und ihre Gefühle ernst. Offensichtlich kann sich Drehbuchautor Sathyan Ramesh noch zu gut an seine eigene Pubertät erinnern, so daß er sie nicht für ein paar billige Gags verrät. Die Zusammmensetzung der Clique deckt zunächst den gängigen Typenkatalog ab: das behütete Mädchen aus »gutem Hause«, die von der Klasse gehänselte »lange Bohnenstange«, die freakige, erfahrenere Großstadtgöre, die neu in die Klasse kommt, der gute, dicke Kumpel, der Junge, der mit flotten oder sexistischen Sprüchen imponieren will... Aber es sind keine Abziehbilder sondern individuelle Figuren, die die Klischees brechen und im Laufe des Films eine Wandlung durchmachen. Hinzu kommen die hervorragende, glaubwürdige Darstellung, insbesondere der Jugendlichen. Der Film setzt hier auf unbekannte Gesichter, die aber schon erste Schauspielerfahrungen gesammelt hatten. Sie beieindrucken auf ganzer Linie.
Ausstattung, Musik, die Ausdrücke der Jugendlichen und die Spiele auf den Parties geben das Zeitgefühl der 80er Jahre liebevoll bis ins Detail wieder. Aber es wird nicht versucht, die schrillsten Auswüchse der damaligen Zeit vorzuführen. Auch der Soundtrack erliegt nicht der Versuchung, einen aktuellen Sampler mit Hits der 80er Jahre Lied für Lied abzuhaken, sondern orientiert sich daran, welche Musik damals wirklich gehört wurde – eine Mischung, die man sich auch heute noch gut anhören kann. Verweise auf das konkrete Zeitgesehen des Jahres 1985 fehlen völlig. So zeichnet der Film zwar ein authentisches Bild des Lebens im Jahre 1985, stellt aber gleichzeitig die Zeitlosigkeit der Probleme heraus. Heute sind die Teenager zwar anders gekleidet und klopfen andere Sprüche, Liebesleid, Liebesglück und die Wirrungen der Pubertät haben sich aber kaum verändert.
An der eigentlichen Erzählung sind deshalb nur zwei kleine Details zu bemängeln. Kerstin wird vom Kommentator als kumpelhaftes, unscheinbares Mädchen vorgestellt. Das Kumpelhafte nimmt man ihr auch sofort ab. Aber unscheinbar? Dazu hat die Darstellerin Diane Siemons-Willems einfach zu viel Ausstrahlung und ist zu hübsch. So blind können die Jungs auch 1985 nicht gewesen sein, daß ihnen das nicht aufgefallen wäre. In einer anderen Szene geht es um Simone. Als die Clique nach einer Schulaufführung noch feiern will, muß sie wie so oft, nach Hause. Ihr tyrannische Vater droht mit Schlägen. Alles Bitten und Betteln der Freunde nützt nichts. Sie steigt ins Auto der Eltern. Da stellt sich Tristan in den Weg. Nun schlägt Simones Vater Tristan, aber der bleibt standhaft und bricht so die Macht des Vaters. Simone steigt wieder aus dem Auto aus, löst sich vom Vater und schließt sich der Clique an. Eine hochdramatische, packend inszenierte Szene, herrausragend gespielt. Und dann wird sie ruiniert. Kaum ist der Vater besiegt im Auto und Simone befreit, muß die Mutter, die wohl auch regelmäßig verprügelt wird, aussteigen und Simone sagen, daß jetzt alles besser wird und Vater sie nicht mehr schlagen wird. Welcher Gaul ist dem Drehbuchautor da wohl durchgegangen? Hätte die Mutter nicht auch noch ewigen Weltfrieden versprechen können? Es wäre kaum weniger glaubhaft gewesen.
Absoluter Schwachpunkt des Films ist aber die völlig überfrachtete Rahmenhandlung in der Jetzt-Zeit: Tristans große Liebe ist vor wenigen Tagen bei einem Unfall ums Leben gekommen. Tristan bzw. das Drehbuch nehmen dies zum Anlass für pseudophilosophische Sprüche über Liebe, Glück und Schicksal. Aber der Film kann keine adäquaten Bilder dazu finden. Und während der Off-Kommentar bei der Vorstellung der Clique und den Erinnerungen an 1985 sehr passend und erzählerische effizient ist, kommt er hier über Gesülze nicht hinaus. So kann die Rahmenhandlung nie das Interesse der Zuschauer wecken. Verschärfend kommt hinzu, daß der erwachsene Tristan von Oliver Korittke gespielt wird, der mit seinen Rollen in Die Musterknaben und Bang Boom Bang berühmt wurde. Dort spielt er Riesenbabies, die sich standhaft weigern, Erwachsen zu werden. Seine Rolle in Das Jahr der ersten Küsse bietet nicht das Potential, von diesem Image abzurücken. So wirkt er oft kindischer als Max Mauff in der Rolle des 15jährigen Tristans. Daher gilt für die Rahmenhandlung: Ohren zu und durch. Die im Jahr 1985 angesiedelten Szenen und das erfrischende Spiel der jungen Darsteller entschädigen mehr als ausreichend.