Japan/D 2018 · 102 min. · FSK: ab 16 Regie: Sabu Drehbuch: Sabu Kamera: Hiroo Yanagida Darsteller: Shô Aoyagi, Mariko Tsutsui, Keita Machida, Nobuyuki Suzuki, Hayato Onozuka u.a. |
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Boygroup-Gangster (Foto: Rapid Eye Movies) |
Ein Marmeladenglas ist auf dem Originalplakat abgebildet, »Jam« bedeutet aber auch Stau, und genau um diesen geht es hier: um eine Art Gefühlsstau, der sich irgendwann Bahn bricht. Er setzt eine Kettenreation in Gang, die teils absurd, teils blutig ist, wie man es vom Japaner Hiroyuki Tanaka, bekannt als Sabu, gewohnt ist. Seine Figuren hält er permanent in Bewegung. Schon in seinen ersten Filmen D.A.N.G.A.N. Runner, Monday oder im elegischen The Blessing Bell entspinnt sich aus der vertrackten Begegnung konträrer Figuren allmählich der Wahnsinn.
Auch in Sabus 16. Spielfilm Jam kehren Zufall, Bestimmung, Schicksal, Haltlosigkeit, Verzweiflung und Rache wieder. Im Wechsel aus Dynamik und Stillstand fallen die unterschiedlichen Erzählstile seiner letzten Werke zusammen. Häufig starten oder beenden (Auto-)Unfälle den atemlosen Lauf der Figuren. Drei von ihnen prallen in einem absonderlichen Crash buchstäblich aufeinander – eine stilistische Schlüssel-Szene der nonlinear erzählten tragikomischen Gangstergroteske.
Der atemlose Beginn mit kurz angerissenen Detailaufnahmen, Handkamera und hohem Tempo verknüpft zwei der drei Handlungsstränge. Aus noch ungeklärten Umständen rast Takeru (Keita Machida) mit einer schwer verletzten Frau auf der Rückbank durch die Stadt, die es ihm mit einer Attacke im fahrenden Vehikel wenig dankt. Bei einer Vollbremsung knallt die Furie durch die Windschutzscheibe. Ihr Flug im Stil einer Superheldin auf dem Weg zur nächsten Hilfsaktion wird von einem jungen Mann gestoppt, der sich erst in der von weiteren Flashbacks durchzogenen Rückblende als Objekt ihrer Begierde entpuppt.
Hiroshi (Sho Aoyagi) begeistert als Schlagersänger vornehmlich Damen mittleren Alters mit seinen Liebesschnulzen. Als besonders aufdringlich erweist sich sein selbsterklärter Fan Nummer eins, die 55-jährige Masako (Mariko Tsutsui). Nach einem Meet-and-Greet, wo ihr Setlisten-Änderungswunsch auf wenig Gegenliebe stößt, setzt sich ein an Stephen Kings Misery erinnerndes Entführungsszenario in Gang.
Parallel zu ihrem bizarren Tête-à-tête entwickelt sich der Rachefeldzug des aus dem Gefängnis entlassenen Tetsuo (Nobuyuki Suzuki) samt dementer Großmutter im Schlepptau. Während ihre von Yakuza-Punks stetig unterbrochene nächtliche Fahrt an die Odyssee der Manga-Verfilmung Lone Wolf & Cup erinnert, wurden die Kämpfe und Hammerattacken als direkter Kontast roh, ungelenk, unglamourös und bewusst dilettantisch in der Tradition des japanischen Gangsterkinos angelegt.
Tetsuos Ex-Kumpane engagieren den verzweifelten Takeru (Keita Machida) als Chauffeur für ihr nächstes krummes Ding. Nachdem seine Freundin bei einem Zusammenstoß zwischen Polizei und Gangstern angeschossen im Koma liegt, glaubt der naive junge Mann, eine Anzahl guter Taten könne sie wieder ins Leben zurückholen. Dass er unfreiwillig das Gegenteil bewirkt, gehört zu Sabus schwarzem Humor.
Wenn die mit verzerrten Perspektiven spielende Kamera auf kalte Farben setzt, stellt sich Isolation und Verlorenheit ein. Farbtupfer unterstreichen den bitteren Witz. Die Leuchtstäbe der Fans und Hiroshis weinrotes Jackett mit aufgestickten Engelsflügeln verstärken Kitsch und Realismus. In Extremsituationen wird der Film auf »stumm« geschaltet, ansonsten unterstützt ein treibender, ironisch-jazziger Score die surreale Atmosphäre.
Sabu liebt Road Movies und Straßenfilme, an deren Ende entweder der Tod oder neue Hoffnung stehen kann. Wie schon bei Hard Luck Hero (2003) und Hold Up Down (2005) stammt die Besetzung aus dem Boygroup-Umfeld. Während diesen beiden Gangsterkomödien jedoch lange vor dem Finale die Luft ausging, wirkt Jam geschlossener und kompakter.