JFK Revisited – Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy

JFK Revisited: Through the Looking Glass

USA 2021 · 118 min. · FSK: ab 12
Regie: Oliver Stone
Drehbuch: ,
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Brian Berdan, Kurt Mattila, Richard B. Molina
Filmszene »JFK Revisited - Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy«
Magische Zeiten sind nur durch magische Kugeln zu stoppen
(Foto: DCM)

Magische Kugeln und das Versagen der Medien

Dilettantismus oder Verschwörung? Oliver Stone will in JFK Revisited Gegenöffentlichkeit für den Kennedy-Mord, und abweichenden Meinungen Gehör verschaffen

Gibt es eigent­lich noch irgend­je­manden, der glaubt, dass John F. Kennedy 1963 tatsäch­lich durch Lee Harvey Oswald ermordet wurde?
Oliver Stone glaubt es jeden­falls nicht. Wenn nämlich auch nur die Hälfte von dem wahr ist, was uns Stone in seinem Doku­men­tar­film JFK Revisited – Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy präsen­tiert, dann ist klar: Lee Harvey Oswald war es schon mal nicht. Und wer andere Möglich­keiten sondiert, hängt nicht nur nach Stones Ansicht keines­wegs irgend­wel­chen kruden »Verschwö­rungs­theo­rien« an, sondern präsen­tiert einem US-System, das an Aufklä­rung nicht inter­es­siert scheint, Tatsachen. Oder wie Stone im Film selbst sagt: »Not conspi­racy-theory, but conspi­racy-fact.«

Mit JFK Revisited – Die Wahrheit über den Mord an John F. Kennedy, der in dieser Woche in Deutsch­land ins Kino kommt, kehrt der wohl poli­tischste lebende Hollywood-Regisseur nach 30 Jahren zum Thema seines weltweit erfolg­reichsten Spiel­films JFK zurück, und zu dem Moment, an dem Amerika aus seiner Sicht endgültig seine Unschuld verlor. Stone breitet doku­men­ta­ri­sches Material aus, Inter­views und Film­do­ku­mente, kassi­fi­zierte Akten, Zeugen­aus­sagen. Seine Leitfrage: »Was passierte wirklich? Und warum?«

Den Gegner stark zu machen ist Stones Sache dabei nicht. Das wird zwar in solchen Fällen gern von jenen anemp­fohlen, die »Ausge­wo­gen­heit« einklagen, und »jour­na­lis­ti­sches Handwerk«. Stone zeigt jedoch, warum das zwar ehrenwert sein mag, aber manchmal einfach nicht funk­tio­niert: Der Gegner ist nämlich schon stark, und nicht nur das: Er ist über­mächtig. Und bloß weil dieser Regisseur nun endlich einmal alles das zusam­men­fasst, ordnet und bündelt, was alles gegen die herr­schende Theorie spricht, nach der der 35. US-Präsident durch einen Einzel­täter mit einer »Magic Bullet« getötet worden ist, bedeutet dies nicht, dass diese herr­schende Theorie nicht weiterhin durch Tausende von Büchern und Medien­bei­trägen gestützt würde.
Gegenüber dieser Übermacht ist Oliver Stone an Gegenöf­fent­lich­keit inter­es­siert. Er will den abwei­chenden Meinungen ein Gehör und ein Forum verschaffen, erst recht aber will er der Weltöf­fent­lich­keit klar­ma­chen, dass es bei diesem Fall diverse unge­klärte Fragen und himmel­schrei­ende Wider­sprüche und Inkon­sis­tenzen gibt.

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Stone versteht sich dabei als Ermittler und Aufklärer, er arbeitet jour­na­lis­tisch, und auch wenn er dabei immer wieder mal in die Rolle des Anklägers wechselt, macht er klar: Seine Arbeit ist es, Fragen zu stellen und hart­nä­ckig nach­zu­fragen, solange die Antworten nicht befrie­digen.
Die Aufgabe ist es dagegen nicht, immer selber Antworten zu liefern, »konstruktiv« zu sein. Oliver Stone ist im aller­besten Sinne der Tullius Dest­ruc­tivus der US-ameri­ka­ni­schen Politik.

»Gegenöf­fent­lich­keit« und »abwei­chende Meinung« bedeutet des Weiteren keines­wegs, dass Stone und jene Wissen­schaftler und Ermittler, auf die er sich beruft, die er in seinem Film auftreten lässt, nicht sehr wohl viele Belege für ihre Thesen und Posi­tionen hätten. Oder dass die soge­nannten Fakten gerade in diesem Fall besonders felsen­fest stehen würden. Vielmehr sind sie in viel größerem Maß inter­pre­ta­ti­ons­ab­hängig und inter­pre­tierbar, als es die offi­zi­ellen Ermitt­lungs­be­richte bis heute glauben machen. Dass nicht wenige von ihnen von den als Verschleie­rungs­behörden auftre­tenden Insti­tu­tionen erst »fabri­ziert« wurden, ist Bestand­teil von Oliver Stones Theorien, die er mit ernst­zu­neh­menden Fach­leuten teilt und für die er nun in seinem Film viele Zeugen anführt und inter­viewt.

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Stone macht aber noch mehr: Er belegt, wie nach der Tat vieles unter den Teppich gekehrt und selektiv ermittelt wurde, wie »Wahrheit« alle paar Jahre neu erfunden wird. Und er belegt die Sala­mi­taktik der US-Behörden, die immer wieder nur dann Dinge zugaben und ihre Versionen der Ereig­nisse verän­derten, wenn kein Wider­spruch mehr möglich war.

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Man muss nun in die Details gehen. Gerade weil manche jeden Zweifel an den offi­zi­ellen Versionen der Ereig­nisse von Dallas als absurde Verschwö­rungs­theo­rien und Paranoia abtun. Das ist anstren­gend und unbequem. Aber es ist auch hoch­span­nend. Genau wie Stones Film. Was sind nun die wich­tigsten Punkte seiner Argu­men­ta­tion?

Erstens die Frage der Schüsse. Drei Patro­nen­hülsen hat man von Oswalds vermeint­li­cher Schuss­po­si­tion gefunden. Aber wieviele Schüsse wurden wirklich abgegeben? Und aus welcher Richtung?
Ausgiebig beschreibt Stone die Behaup­tung einer »Magic Bullet«, also einer Kugel, die, sollte Oswald wirklich allein gehandelt und es nur drei Schüsse gegeben haben, auf wunder­same Weise sieben verschie­dene Wunden verur­sacht haben muss (!!), als sie zunächst den Präsi­denten traf, dann ihren Lauf mehrfach verän­derte und schließ­lich den vor Kennedy sitzenden texa­ni­schen Gouver­neur John Connally an Brust und Knie verletzt hat. Das größte Rätsel: Diese Kugel wurde bisher höchst­wahr­schein­lich nicht gefunden. Das angeb­liche nahezu unbe­schä­digte Geschoss, das erst Stunden später auf einer Kran­ken­haus­bahre entdeckt wurde, ist kaum das, was den Präsi­denten tatsäch­lich getroffen hat.

Zweitens gibt es viele Unklar­heiten bei den Zeugen­aus­sagen. So steht vor allem der vermeint­liche Fluchtweg von Lee Harvey Oswald im Wider­spruch zu anderen Ermitt­lungen.

Drittens die Kran­ken­haus-Behand­lung des Präsi­denten, die Autopsie und der Zustand des Leichnams: Mehrfach wider­riefen die in Dallas damals behan­delnden Ärzte ihre Aussagen und äußerten sich angeblich später, man habe sie seiner­zeit von Behör­den­seite gezwungen, ihre Aussagen zu verändern.
Warum zum Beispiel wurde auch die Autopsie des Leichnams nicht, wie gesetz­lich vorge­schrieben, vor Ort in Dallas durch­ge­führt, sondern in Washington? Warum wurden dort dann für die Autopsie – obwohl vorhanden – keine Experten hinzu­ge­zogen, sondern nur Ärzte, die keine Erfahrung mit Schuss­wunden hatten? Dilet­tan­tismus oder Verschwö­rung?
Stone glaubt, dass die Post-Mortem-Unter­su­chung absicht­lich relativen Amateuren anver­traut wurde, dass deren hand­schrift­liche Notizen absicht­lich verschwanden und dass die daraus resul­tie­renden Fotos gefälscht wurden. Doktor Cyril Wecht, der foren­si­sche Pathologe, der zuerst das makabre Geheimnis von JFKs fehlendem Gehirn aufdeckte, gibt im Film eine sehr eindeu­tige Exper­ten­aus­sage. Warum gab es zwei Leichen­pho­to­gra­phen? Warum wurde die Leiche auf bestimmten Photos nach­weis­lich mani­pu­liert? Warum wurde ein falsches Gehirn photo­gra­phiert? Was passierte mit Kennedys eigenem Gehirn?

Viertens ist die genaue poli­ti­sche Identität von Lee Harvey Oswald unklar. Er könnte Mitar­beiter des CIA wie des FBI gewesen sein, oder beider. Ein Pro-Cuba-Aktivist oder ein Fidel-Castro-Gegner.
Es gibt zahl­reiche Vermu­tungen hierzu. In jedem Fall ist deutlich, dass CIA und FBI die Spuren ihrer Kontakte und ihrer Ermitt­lungen zu Oswald verwi­schen wollten. Stone ist sich sicher: »Kein US-Gericht würde Oswald auf Basis dieser Fakten verur­teilen.«

Fünftens die sonstige Rolle der Geheim­dienste vor, während und nach dem Attentat.

Sechstens das Versagen der poli­ti­schen Aufklä­rung. Die vielen Fehler der Warren-Kommis­sion werden von Stone genüßlich breit­ge­treten. Dazu gehört, dass die angeb­liche Austritts­wunde in Kennedys Kehlkopf mehrfach in den Akten »verschoben« wurde, unter anderem vom späteren Präsi­denten Gerald Ford, der ein Kommis­si­ons­mit­glied war. Angeblich erzählte Ford später als Präsident seinem fran­zö­si­schen Kollegen Giscard d’Estaing, der Mord sei nicht die Tat eines Einzel­tä­ters gewesen: »It was a set up, but we don’t know by whom«, wird Ford in Stones Film zitiert.

Siebtens und vor allem das Versagen der Medien. Besonders CBS und New York Times hätten sich, so Stone, niemals auch nur auf die Möglich­keit eines anderen Tatab­laufs einge­lassen. Sie hätten sich nie detail­liert mit den mehrere Dutzend Bände umfas­senden Ermitt­lungs­akten beschäf­tigt. Dagegen, so Stone, »stützen sie bis heute den Warren-Report«, obwohl dieser längst widerlegt sei.

Man kann in dieser kurso­ri­schen Auflis­tung ein Beispiel für den Main­stream der Medien sehen, für massen­wirk­same, national einfluss­reiche, und sich selbst als Quali­täts­me­dien bezeich­nende Zeitungen und Fern­seh­sender, die ihre Aufgabe nicht erfüllen und die die poli­ti­sche Agenda, die von Insti­tu­tionen und Regie­rungen vorge­geben werden, nicht infrage stellen.

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Diese Medi­en­kritik hat Stone in Inter­views zum Film präzi­siert und zugleich zu einer Kritik an Political Correct­ness und Cancel-Culture erweitert: »Censor­ship has taken over. This fear of offending, of saying something wrong is really against the American Dream.«

Wer diese Kritik an vielen Medien für über­trieben oder zu pauschal hält, der sollte sich ansehen, wie einige der genannten Medien umgekehrt mit Stones Film umgehen, seit dieser in Cannes seine Premiere erlebte: Spöttisch, arrogant, von oben herab, versucht man, den Regisseur der Lächer­lich­keit preis­zu­geben. Zum Beispiel hier: »Stones Film ist ... eine Prozes­sion weißer, männ­li­cher Autoren und Experten in lang­wei­ligen Hemden, die einen mit ihren Theorien und alten Büchern belehren.«. Zum Beispiel das Bran­chen­ma­gazin Variety: »Enthüllt JFK Revisited einen entschei­denden Beweis? Nein, das tut es nicht. Er sagt, dass Lee Harvey Oswalds Gewehr keine 'smoking gun' war – und behauptet, dass er nicht einmal im Texas School Book Depo­si­tory war. (Denken Sie eine Weile darüber nach.) Dennoch stellt der Film auf andere Weise fast jeden Moment als 'smoking gun' dar. In den 30 Jahren seit der Veröf­fent­li­chung von JFK ist Stone nie von der Über­zeu­gung abge­kommen, dass es eine verbor­gene Geschichte der Dinge gibt, eine, die die offi­zi­elle Geschichte zu vertu­schen versucht.«

Und wenn diese Über­zeu­gung zutreffen und den Tatsachen entspre­chen sollte? Kann nicht sein, was nicht sein darf?

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Schließ­lich die entschei­dende Frage: Wer hat Kennedy ermordet und warum? Auch Oliver Stone kennt hier die Antwort nicht, und er gibt auch nicht vor, sie zu kennen.
Er beschreibt die drei plau­si­belsten Mord-Theorien: Exil­ku­baner als Täter verwirft Stone. Statt­dessen gehören die Täter für ihn »dem System« an. Erste mögliche Ursache: Man wollte eine Inten­si­vie­rung des Vietnam-Kriegs, Kennedy hatte einen US-Rückzug geplant. Zweite mögliche Ursache: Kennedys Pläne für eine neue allge­meine Friedens- und Entspan­nungs­po­litik, wie sie im Zugehen auf Kuba nach der Kubakrise, auf Ägyptens Präsi­denten Nasser im Nahost-Konflikt und auf die UdSSR in der allge­meinen Konstel­la­tion des Kalten Kriegs zum Ausdruck kommt.

Kennedy hatte diese neue Außen­po­litik in den Monaten vor seiner Ermordung in mehreren Reden skizziert. Zum Beispiel am 10.6.1963:
»What kind of peace do I mean? What kind of peace do we seek? ... Not the peace of the grave or the security of the slave. I am talking about genuine peace, the kind of peace that makes life on earth worth living, the kind that enables men and nations to grow and to hope and to build a better life for their children--not merely peace for Americans but peace for all men and women--not merely peace in our time but peace for all time.«

Stones abschließende, rheto­ri­sche Frage: »Who bene­fitted? And who has the power to cover it up?« Von einem »right wing plot« sprach seiner­zeit JFKs Bruder Robert Kennedy. In jedem Fall scheint das US-System in den letzten knapp 60 Jahren an Aufklä­rung aller offenen Fragen nicht ernsthaft inter­es­siert zu sein.

Ande­rer­seits gibt es auch ein großes Argument gegen alle Thesen von einer System­ver­schwö­rung. Die Möglich­keit, dass ein unbe­deu­tender, psychisch kranker, politisch fehl­ge­steu­erter Klein­bürger wie Lee Harvey Oswald eine so schreck­lich monu­men­tale Tat begehen konnte, ist der eigent­liche unglaub­liche Abgrund. Für jeden intel­li­genten Menschen ist das womöglich die größt­mö­g­liche narziss­ti­sche Kränkung.