Joker: Folie à Deux

USA 2024 · 138 min. · FSK: ab 16
Regie: Todd Phillips
Drehbuch: ,
Kamera: Lawrence Sher
Darsteller: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Zazie Beetz, Brendan Gleeson, Catherine Keener u.a.
Joker: Folie à Deux
Liebe, Warum, Löffelspiel
(Foto: Warner Bros. Entertainment)

(Innen-)Ansichten eines Clowns

Unverhohlene Publikumsverachtung: Todd Philipps gescheiterter zweiter Versuch einer Ehrenrettung von »Joker« ist ein abgestandener hässlicher Problemfilm ohne Action und ohne Humor

»The clown with his pants falling down/
Or the dance that’s a dream of romance/
Or the scene where the villain is mean/
That’s enter­tain­ment!...«

– aus: The Band Wagon; USA 1953

Zu Beginn vor der eigent­li­chen Handlung gibt es eine lange wunder­schöne Anima­ti­ons­se­quenz – ein guter Einstieg, für den der Franzose Sylvain Chomet verant­wort­lich ist: Joker tanzt darin mit sich selbst. Das ist lustig und über­ra­schend, bevor es sich ins Abgrün­dige, Brutale dreht und mit einer bluti­groten Leinwand endet: Rot, Rot, Tot. Eine Reka­pi­tu­la­tion des Originals und zugleich Vorschau auf das Kommende, in der Joker einmal mehr als das eigent­liche Opfer gezeichnet ist, ein Opfer seiner Familie, der Umstände, der Gesell­schaft. Ein trauriger Clown...

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Genau eine solche Täter-Opfer-Umkehr hatte Regisseur Todd Phillips bereits in seinem ersten Teil unter­nommen. Darin verwan­delte er die Comic-Figur, eigent­lich ein Inbegriff an clownesk-destruk­tiver Lust am Chaos und an der Zers­törung falscher Gewiss­heiten, in den Helden eines ernst­ge­meinten Sozi­al­dramas in der Tradition von Martin Scorseses Taxi Driver.

Der Film wurde ein Megahit, der weltweit über eine Milliarde Dollar einspielte, den Goldenen Löwen bei den Film­fest­spielen von Venedig und zahl­reiche Auszeich­nungen erhielt, darunter den Oscar für seinen Star Joaquin Phoenix.
Phillips mag den Joker revo­lu­tio­niert haben, wie nicht wenige Kritiker schrieben – aber nur indem er ihn »enteierte« und um das eigent­lich Joker­hafte beraubte, das Anar­chis­ti­sche, um die Fähigkeit das Uner­war­tete zu tun, das psycho­lo­gisch nicht Nahe­lie­gende.

Statt­dessen wurde diese nur noch »Joker« genannte, reali­täts­nahe Knalltüte und verbit­terte hoch­ge­fähr­liche Einzel­gänger zum Kino-Helden aller Incels (»invol­un­tary celibates«), jener Männer, die unfrei­willig weder roman­ti­sche noch sexuelle Bezie­hungen führen und sich statt­dessen in sozialen Netz­werken zu Frau­en­hass­gruppen zusam­men­finden – all das vermut­lich (und hoffent­lich!) gegen den Willen seiner Macher. Aber das ändert nichts daran, dass Todd Phillips Joker-Inter­pre­ta­tion unter Incels traurigen Kult­status genießt. Wer den ersten Film kennt, versteht warum. Und auch die Fort­set­zung wird daran leider nichts ändern – im Gegenteil bestätigt sie das Frau­en­hass­bild der kaputten Incel-Gemeinde.

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Die Fort­set­zung beginnt zwei Jahre nach dem Ende des ersten Films in der Irren­an­stalt »Arkham Asylum«, wo dieser patho­lo­gi­sche Massen­mörder Arthur Fleck, alias Joker, gespielt von Joaquin Phoenix mit extrem magerem und verun­stal­tendem Körper – Maske trifft hier das irre Method Acting des Schau­spie­lers der sich 23 Kilo herun­ter­hun­gerte, und darauf auch noch stolz ist – inhaf­tiert ist, und von den brutalen Wachen drang­sa­liert. Ein Topos auch des Comics.

Von einer etwas zu wohl­mei­nenden Anwältin beraten wartet er auf seinen Prozess, während er mit seiner Persön­lich­keits­spal­tung zu kämpfen hat.

Diese erste Drei­vier­tel­stunde des Films ist ganz gelungen. Auch als Gefäng­nis­film funk­tio­niert das Ganze. Und die Idee, ein Musical daraus zu machen, ohne die Musi­cal­ele­mente aber zu dick aufzu­tragen, ist sogar hervor­ra­gend.

Doch die düstere Musik hat von Anfang an schon vorweg­ge­nommen, dass dann bald alles in diesem Film aus den Fugen gerät.

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Joker meldet sich zur Gesangs­gruppe im Knast. Dort trifft er ein Mädchen, das er bereits einmal zuvor im Vorü­ber­gehen erspäht hatte, worauf sofort die Funken sprühten: Lee. Dies wird nun, so scheint es zumindest, die alte Geschichte von jenem bestimmten Typ Frauen, die sich in einen Massen­mörder verlieben, ihn im Gefängnis kennen­lernen und ihn retten wollen. Oder, wie in diesem Fall, befreien.
»Was macht so ein netter Typ wie du, an einem Ort wie diesem?« Seine Antwort: »Ich habe fünf Leute umge­bracht. Eigent­lich waren es sechs.« Und dann: »zum ersten Mal fühle ich mich nicht mehr so allein.«

Lee heizt von nun an den Joker in diesem schi­zo­phrenen Irren an, erweckt ihn wieder zum Leben. Als es zum Sex kommt, schminkt sie ihn vorher, flüstert ihm ins Ohr: »Ich will dein wahres Ich sehen«, meint aber den Joker. Und bald ist uns Zuschauern klar: Diese Lee ist womöglich noch viel viel durch­ge­knallter, als der Joker.

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Irgend­wann sehen beide im Knast zusammen einen alten Film: Das Musical The Band Wagon von 1953 mit Fred Astaire...

Sie singen den Song »That’s Enter­tain­ment«, eines der program­ma­ti­schen Lieder Holly­woods. Der Clown, die Liebe und das Böse sind in ihm bereits in der ersten Strophe untrennbar mitein­ander verknüpft: »The clown with his pants falling down/ Or the dance that’s a dream of romance/ Or the scene where the villain is mean/ That’s enter­tain­ment!...«

Durch diesen Song wird das Ganze natürlich auch zu einem so abgrün­digen wie unver­blümten Kommentar zur Enter­tain­ment-Industrie – zumindest ist dieser Film so gemeint.
Die Leute sagen dann Sätze, die die Dreh­buch­au­toren aus medi­en­kri­ti­schen Stan­dard­werken von McLuhan, Postman und Chomsky zusam­men­ge­krit­zelt haben, und behaupten, ungemein ironisch natürlich: »Es kann nicht realer werden als das, es war Live-TV.« Und Ähnliches.

Als er ein Live-Interview gibt, dreht Joker den Spieß um und macht dem Moderator und »den Medien« mora­li­sche Vorwürfe: »Do you really care???« Dabei weint er fast und guckt Phoenix-haft verzwei­felt. Und wir im Publikum sollen aufschreien: »Nein, nein, sie sind böse böse, diese Fern­seh­mo­de­ra­toren!«

Überhaupt sollen wir ihn ganz doll mögen, wasauch­immer er getan hat, sollen Mitleid mit ihm haben, denn er ist zwar ein Massen­mörder, aber eigent­lich war es ja nur die böse Mutter und die bösen Umstände, die ihn vom rechten Weg abgeführt haben.

Es ist fürch­ter­lich.

Und es wird nicht besser als uns Zuschauern auch noch erklärt wird, es wird sogar von einem Musik­lehrer in heiligem Ton ausge­spro­chen, warum Musik eine so große Rolle spielt in diesem Film: »We use music to make us whole. To balance the fractures within ourselves.« Mir kommen die Tränen!

Alles ist in dieser Form extrem didak­tisch. Im Radio ruft eine Frau an und sagt: »Enough is enough! This Idiot does not deserve a trial.« Und eigent­lich hat sie recht, aber das kann man so einfach auch wieder nicht sagen. Und dann gibt es zwischen­durch noch einen Tagtraum des Jokers: Alles sieht darin aus wie eine Show aus den 70er oder 80er Jahren, und wir sehen dann wie böse Medien die guten Menschen ausnutzen.

Tagträume hat er übrigens öfters, und manche sind so brutal, wie man sich die des Jokers vorstellt.

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Dies ist ein Film, der ohne Unterlass Moral predigen möchte.

Die Moral der Eindeu­tig­keit, der Codes des Schwarz-Weiß, des Gut-Böse. Das darf er ja machen, auch wenn so etwas natürlich eher unin­ter­es­sant ist, aber warum nimmt er für dieses Unter­fangen ausge­rechnet eine Figur der Ambi­va­lenz und zerstört sie?
Als Joker endlich der Prozess gemacht wird, darf er sich selbst vertei­digen und als Joker geschminkt im Prozess auftreten. Nach einigen Zeugen­be­fra­gungen erklärt er in seinem Abschluss­plä­doyer: »There is no Joker! There is just me!« Natürlich enttäuscht das alle im Publikum. Dann macht es Bumm, und das Gericht wird in die Luft gejagt. Woraus dann aber auch nichts folgt. Wieder ein visueller Coitus Inter­ruptus.

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Zur Moral der Eindeu­tig­keit gehört auch, dass der Film uns allen sicher­heits­halber vermit­teln möchte, dass die richtige Antwort auf unsere unge­rechten und brutalen gesell­schaft­li­chen Zustände nicht Gewalt oder das Nieder­reißen von allem sein sollten.

Denn »What the World Needs Now is Love, is Love«. Was die Welt jetzt braucht, ist Liebe. Wirklich? Mag schon sein... Viel­leicht muss man einfach nur anfangen, Bernd Höcke und all die anderen, all die Massen­mörder in den Knästen dieser Erde zu küssen und knuddeln – dann wird die Welt wieder gut und wir singen gemeinsam »Heile Heile Gänschen...«

Aber nein. Lassen wir den Quatsch! Auch der Film nimmt ihn ja nicht wirklich ernst. Denn natürlich wird dieser Joker wieder von aller Welt verraten, nicht zuletzt von Frau Lee, die ihn nach Strich und Faden belogen hat. Joker 2: Folie À Deux tut ja nur so, als ginge es ihm um die Liebe und die Leute, insofern sie Menschen sind. Um die Leute geht’s ihm zwar schon, um die nämlich, die eine Kinokarte kaufen. Es geht ihm also nicht um die Leute als Menschen, sondern die Leute als Publikum und Konsu­menten. Und wie das heute so ist, gefällt man dem Publikum ganz besonders gut, wenn man ihm eine reinhaut oder zumindest ins Gesicht spuckt. Genau das macht dieser Film. Er gibt dem Publikum, was es verdient – nach Ansicht der Macher.

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Der Filmtitel Folie à Deux, der aus der Psycho­pa­tho­logie des 19 Jahr­hun­derts stammt, passt hier haargenau, denn er hat einen Doppel­sinn: Dieser liegt darin, dass er einer­seits »Wahnsinn zu zweit« bedeutet – von Lee und Joker nämlich –, also auf zwei Wahn­sin­nige verweist. Zum anderen aber auch auf eine gespal­tene Persön­lich­keit.

Man kann sich nun fragen, wer von den beiden, Fleck oder Joker, der Verrückte ist. Aber die Frage ist falsch gestellt, denn beide sind ja nur zwei Hälften eines Ganzen und schlicht gesagt sind beide so durch­ge­knallt wie es kaum schlimmer gehen kann. Die eine ist nur die manische, die andere die depres­sive Seite eines verrückten Indi­vi­duums.

Joker schwingt sich diesmal aber nicht dazu auf, das Volk aufzu­wie­geln und die Macht zu erobern. Im Gegenteil scheint es der Regisseur absicht­lich darauf anzulegen, das Publikum zu enttäu­schen, indem er dessen Erwar­tungen durch­kreuzt.
Das ist nicht Aufklärung, sondern Zynismus.

So wie auch der Musik­ein­satz und überhaupt der ganze Film ein einziger riesiger Zynismus sind: »That’s life« wird gesungen und dazu laufen Bilder von Terror, von Gewalt, von Toten.

Dies ist der Versuch, Super­hel­den­kino mit einem intel­lek­tu­ellen Film zu verbinden. Heraus­ge­kommen ist das Klischee eines Problem­films: das ist nicht witzig und es ist nicht klug.

Lee sagt ihm (und uns, falls wir es immer noch nicht kapiert haben): »Alles, was wir hatten, war die Phantasie.« Joker heult daraufhin, ist überhaupt eine Heulsuse und wird dann von der Polizei verhaftet und am Schluss, ja, da bekommt er im Gefängnis eine Glas­scherbe in den Bauch gerammt und viel­leicht ist er tot, aber wahr­schein­lich, das muss man befürchten, kehrt er noch in ganz vielen Fort­set­zungen wieder.

Das Schlimmste, was ein Clown tun kann, ist aber zu lang­weilen.

Music was my first love…

Die vielleicht unkonventionellste Fortsetzung, die das Superheldengenre je gesehen hat

Eine Comic­ver­fil­mung als Musical und dazu noch mit Sängerin und Kunst­figur Lady Gaga in einer der Haupt­rollen? Die Fort­set­zung von Todd Phillips' Block­buster Joker aus dem Jahr 2019 ist eines der inter­es­san­testen cine­as­ti­schen Expe­ri­mente des Gegen­warts­kinos. Die Geschichte des Vorgän­gers weiter­erzäh­lend zeigt uns Joker: Folie à Deux wie Arthur Fleck alias »der Joker« (Joaquin Phoenix) in einer Straf­voll­zugs­an­stalt wegen seiner Morde einsitzt. Hier lernt er Harley Quinn (Lady Gaga) kennen. Durch Harleys nahezu psycho­ti­sche Heroi­sie­rung von Arthur und seinem Traum, endlich jemanden gefunden zu haben, der ihn versteht, entwi­ckelt sich zwischen den beiden eine Liebes­be­zie­hung, eine bizarre Abhän­gig­keit und eine beider­maßen geteilte Geis­tes­störung … kurz: eine folie à deux.

Lady Gaga als exzen­tri­sche Kunst­figur passt wie kaum eine andere in die abge­drehte Comicwelt von DC. Als Ergänzung zu Joaquin Phoenix' über­drehter Darstel­lung des Jokers bilden die beiden ein konge­niales Duo der Kurio­sität. Gesangs­ein­lagen sind in der Welt der DC-Geschichten rund um den Joker keine Neuheit. Bereits im Anima­ti­ons­film Batman: The Killing Joke gab der Haupt­ant­ago­nist des dunklen Ritters eine morbide Musi­cal­nummer zum Besten. Nun in Live-Action-Form, sind auch die Musi­cal­num­mern für sich genommen ein Genuss für Augen und Ohren. Wenn der Joker und Harley Quinn gemeinsam »To Love Somebody« von den Bee Gees in einer von Arthur Fleck imagi­nierten Varieté-Show performen und er dabei sowohl seine Angst, ihr nicht vertrauen zu können, als auch seine Anziehung zu ihr zeigt, mag man kaum den Blick von der Leinwand lassen.

Als Kontrast zur über­drehten und exzen­tri­schen Musical-Ebene sehen wir den harten Gefäng­nis­alltag sowie die Gerichts­ver­hand­lung von Arthur. Sparsam mit Licht und reich an Farb­kon­trast fängt die Kamera (Lawrence Sher) das Geschehen ein, unter­s­tützt abermals vom mark­erschüt­ternden Score der islän­di­schen Kompo­nistin Hildur Gudna­dottir, die für den ersten Joker den Oscar für die Beste Filmmusik gewann.

So richtig will sich jedoch das Musical-Element nicht mit dem Rest des Films zusam­men­fügen. Das Brechen der Immersion durch die musi­ka­li­schen Einschübe funk­tio­niert immer dann, wenn Arthur in Gedanken abschweift, und wir uns in einer Art Paral­lel­welt seines Kopfes befinden. Wenn jedoch während der normalen Dialoge zu singen begonnen wird, trägt dies eher zum Span­nungs­ab­fall bei, trotz der für sich genom­menen hohen musi­ka­li­schen Qualität. Des Öfteren verwischt der Regisseur hier die Ebenen, etwa wenn Arthur ein Interview für das Fernsehen gibt oder auf die Frage, wie es sich anfühlt, vor Gericht zu stehen, in freudigen Gesang verfällt. Das Groteske wird hierbei zwar verstärkt, dennoch bleibt viel der sonst düsteren Stimmung auf der Strecke.

Als Fort­set­zung des Vorgän­gers funk­tio­niert der Film jedoch hervor­ra­gend. Durch die Gerichts­ver­hand­lung wird mit Zeugen­aus­sagen der Figuren des ersten Teils wie Sophie Dumond (Zazie Beetz) oder Gary Puddles (Leigh Gill) die Handlung und vor allem die Figur von Arthur Fleck wesent­lich komplexer. Wie denken die Figuren über ihn? Wie haben sie die Gescheh­nisse wahr­ge­nommen? Ein dritter, lohnens­werter Blick auf die anar­chis­ti­sche Gewalt­spi­rale, die im ersten Teil begonnen hat.

Wenn auch »kein reines Musical«, wie Regisseur Todd Phillips betont: trotzdem räumt er ein, dass Musik in seinem zweiten Joker ein wichtiges Element ist. Fest steht: Die Musical-Aspekte fügen definitiv sowohl den Figuren als auch der Handlung im wahrsten Sinne eine völlig neue Note hinzu. Hierbei entstehen jedoch zwei nahezu unter­schied­liche Werk-Charakter, die dann doch zu einem fusio­nieren sollen: Im Musical singt der Joker über seine Beziehung zu Harley Quinn, in der tragi­schen Geschichte geht es um Arthur Fleck, der nach seinen Gewalt­aus­brüchen von der Justiz zur Verant­wor­tung gezogen wird. Richtig rund will die Fusion nicht werden. Heraus­ge­kommen aber ist ein Expe­ri­ment, das einen beson­deren Platz im DC-Film­uni­versum einnimmt.