Neuseeland/USA/CZ 2019 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Taika Waititi Drehbuch: Taika Waititi Kamera: Mihai Malaimare jr. Darsteller: Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell u.a. |
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Statisten in einem Gag-Feuerwerk? (Foto: Disney) |
»Lass dir Alles geschehn: Schönheit und Schrecken.«
Man muss nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste.
Lass dich von mir nicht trennen.
Nah ist das Land,
das sie das Leben nennen.
– Rainer Maria Rilke, 3. Vers, 'Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht', in »Das Stunden-Buch«
Selten hat mich ein Film so ratlos und zwiegespalten zurückgelassen wie Taika Waitikis mit sechs Oscars nominierte Nazi- und Hitler- oder meinetwegen auch Hass-Satire Jojo Rabbit. Vor allem die ersten zwanzig Minuten zeigt Waitiki eine radikale Komödie, die dem NS-Grauen mit einem ähnlich überraschend radikalen Humor begegnet wie die großen Klassiker, Chaplins Der große Diktator, Lubitschs Sein oder Nichtsein oder Mel Brooks Frühling für Hitler.
Wie komplex Waitiki hier arbeitet, zeigt allein schon die Auswahl der Mittel, die von purem Slapstick bis zu einem innovativen Mix aus Verfremdungseffekten des epischen Theaters von Brecht reichen. Waitiki bedient sich zum einen einer drastischen Wes-Anderson-Ästhetik: das Personal von bösen Nazis ist leicht überschminkt, die Kleidung nicht ganz »korrekt« und die Sprache, die hier im Original gesprochen wird, ist ein hart akzentuiertes Englisch, so wie es Deutsche oft in der Schule sprechen, bevor sie einige Zeit im englischsprachigen Ausland Erfahrungen gesammelt haben. Diese »äußeren« Brüche korrespondieren mit dem »inneren« Plot, in dem der 10-jährige begeisterte Pimpf (also »Jungvolk«-Zugehöriger) Jojo Betzler (Roman Griffin Davis) erste und sehr unangenehme Erfahrungen in einem Wochenendlager der Organisation machen muss und auf allen Ebenen verletzt in die Stadt zu seiner alleinerziehenden Mutter zurückkehren muss. So verfremdet sind diese Momente, dass es für ein paar Augenblicke sogar möglich scheint, dass wir uns hier nicht in den letzten Wochen des »Dritten Reichs«, sondern in einem der Wochenend- und Jugendausbildungslager für Kleine Germanen der neuen Rechten befinden, auf die uns Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger im letzten Jahr in ihrem semidokumentarischen Film hingewiesen haben.
Doch spätestens mit Jojos Rückkehr in die Stadt – die Szenen sind in Nord-Tschechien gedreht – wird deutlich, dass Waitiki es historisch meint, dass trotz deutsch gesungener Lieder von den Beatles und David Bowie und englischsprachiger Darsteller, die Englisch wie Deutsch reden, hier eine ernste Geschichte erzählt werden soll. Denn Jojo entdeckt, dass seine Mutter Rosie (Scarlett Johansson) das jüdische Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) in einem Wandschrank versteckt. Für Jojo bricht eine Welt zusammen, gleichzeitig versucht er sich mit den neuen Tatsachen irgendwie zu arrangieren. In diesen Momenten hätte Waitiki die Tragik der Geschichte ausspielen können und eine menschliche Tiefe erzeugen können, so wie es Roberto Benignis in Das Leben ist schön gelungen ist. Doch ähnlich wie Timo Vuorensola in seinem Iron Sky interessiert Waitiki weniger eine Schilderung des subtilen Grauens, sondern die Groteske, das statisch Comic-hafte, das auch Tarantinos Personal in Inglourious Basterds ja eigen ist. Doch meistert Tarantino diese Gratwanderung durch überbordendes Personal und ein feingeschliffenes, dialoggesättigtes, spannungsbetontes Narrativ, so geht Waitiki im Mittelteil die Luft aus.
Denn den größten Teil seiner Überraschungselemente hat Waitiki bereits in den ersten zwanzig Minuten seines Gag-Feuerwerks verspielt, vor allem auch die komödiantisch vielleicht größten Momente, die ersten Auftritte von Jojos imaginärem Ersatzvater, der von Waitiki selbst verkörperte Adolf Hitler, eine für andere unsichtbare Persönlichkeit, die so wie in Ate de Jongs Post-Punk-Komödie Drop Dead Fred dem Kind zum einen therapeutischen Beistand leistet, zum anderen eine übergriffige Vaterrolle verkörpert. Da Hitler nur sporadisch auftreten kann, bleibt Waitiki nur Jojos Mutter Rosie und das jüdische Mädchen Eva, die in den zunehmend kammerspielartigen Szenen aber mehr Platzhalter für erkenntnisgewinnende Dialoge statt wirkliche Charaktere sind, die eine Entwicklung durchlaufen. Nur ab und an tauchen jetzt noch Nazis auf, die aber so wie im ganzen Film kaum etwas von ihrem dämonischen Potenzial entfalten, da sie entweder Anspielung auf Spielbergs Jäger des verlorenen Schatzes sind, oder wie Pitch Perfect-Rebel Wilsons Fräulein Rahm oder Sam Rockwells Hauptmann Klenzendorf nicht mehr als Statisten in einem Gag-Feuerwerk sein dürfen.
Erst am Ende läuft Waitiki wieder zu Hochform auf, als er nicht nur über sein Kinderpersonal erwachsene Wahrheiten formulieren lässt, sondern sich über eine großartige mit David Bowies »Helden« unterlegte Schlussszene und das im Abspann (auf Englisch) zitierte Gedicht von Rainer Maria Rilke »Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht« endlich die ganze Wucht dieser tragikomischen Geschichte entfalten darf und sich der in sich zerrissene Film doch fast wieder zu einem triptychon-artigen Ganzen fügt.