Pakistan/USA 2022 · 127 min. · FSK: ab 12 Regie: Saim Sadiq Drehbuch: Saim Sadiq Kamera: Joe Saade Darsteller: Ali Junejo, Rasti Farooq, Alina Khan, Sarwat Gilani, Salmaan Peerzada u.a. |
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Auf der Suche nach Nähe und Verständnis... | ||
(Foto: Filmperlen) |
Es tut immer gut, ein Gegennarrativ zu den üblichen Bildern eines Landes und einer Kultur zu erhalten. Mehr noch, wenn es ein Land wie Pakistan ist, das in den letzten Jahren eigentlich nur durch seine außenpolitisch intrigante Politik und seine innenpolitischen Skandale von sich reden gemacht hat und durch eine von Natur- und Wirtschaftskatastrophen islam-fundamentalistisch aufgeputschte Bevölkerung, die immer wieder Lynchjustiz gegen vermeintliche Islamblasphemie übte, aufgefallen ist.
Dass es auch in diesem Fall eine andere, eine komplexere Seite gibt, davon erzählt Saim Sadiq in seinem Debütfilm Joyland, der neben zahlreichen Nominierungen und Preisen auch in Cannes den Preis der Jury der Reihe Un Certain Regard und die Queere Palme gewann, im eigenen Land aber erst nach heftigen Auseinandersetzungen zugelassen wurde.
Das dürfte weniger an dem immer wieder aufregenden visuellen Stil und der überragenden Kameraarbeit von Joe Saade liegen, der Pakistans Lahore zu allen Tageszeiten mal poetisch entrückt, dann wieder brutal sozialrealistisch abbildet, sondern an der von Saim Sadiq und Maggie Briggs entwickelten Geschichte. Sadiq und Briggs erzählen vordergründig eine Familiengeschichte, die von Mumtaz (Rasti Farooq) und Haider (Ali Junejo), die im Haus von Haiders Vater und seinen Geschwistern leben. Mumtaz geht ihrem Job als Kosmetikerin nach und grenzt sich damit ebenso von traditionellen Erwartungshaltungen ab wie Haider, der weder einen Job hat noch mit Mumtaz einen Nachkommen gezeugt hat. Als Haider eine Arbeit als Background-Tänzer in einem erotischen Tanztheater in Lahore bekommt, scheint sich das Blatt für Haider zu wenden, allerdings lässt er seine Familie glauben, er sei Manager und kein Tänzer, um die Familie moralisch nicht zu diskreditieren. Als er jedoch seine neue Chefin, die Transtänzerin Biba (Alina Khan) kennenlernt, die eine Hijra-Gemeinschaft ist und dem dritten Geschlecht angehört, ist Haider erst irritiert und dann fasziniert, und verliebt sich schließlich in Biba, ohne allerdings die Beziehung zu Mumtaz aufgeben zu wollen.
Hinter dieser an sich schon ambivalenten Geschichte erzählt Sadiq jedoch zahlreiche weitere Geschichten, Vignetten, die am Ende ein so bedrückendes wie erlösendes Mosaik der pakistanischen Gesellschaft bilden, die vor allem unter dem kaum zu ertragenden Kontrast zwischen Tradition und Moderne leidet und der Sehnsucht aller Beteiligten, sich aus diesem Korsett zu befreien. Dass dabei durchaus auch Humor hilft und die Befreiung durch eine der Künste, ist fast schon selbstverständlich, doch Joyland zeigt so gnadenlos wie akkurat auch, dass es nicht unbedingt die im Iran installierte islamische Religionspolizei braucht, sondern in einer unterdrückten Gesellschaft wie der Pakistans der Unterdrückungsapparat sich inzwischen in jedem Einzelnen manifestiert und internalisiert hat. Besonders deutlich wird das an der tragischen, nur am Rande erzählten »Liebesgeschichte« von Haiders Vater und seiner Nachbarin, aber vor allem über die tragische Entwicklung von Mumtaz, die eigentlich ein selbstbestimmtes, modernes Leben führt, aber auch durch die Frau von Haiders Bruder mehr und mehr Kritik an ihrem unabhängigen, beruflichen Status erfährt, die wiederum bis zum Ende nicht erkennen will, dass es nicht nur die Männer waren, die die unheilbringende Dynamik dieser Geschichte ausgelöst haben.
Joyland lässt sich bei all der Tragik immer wieder auch Zeit für die Möglichkeit von Glück: der titelgebende Besuch des Jahrmarkts »Joyland«, die intimen Momente zwischen Haider und Mumtaz, die stille, pochende, auch sexuelle Sehnsucht von Mumtaz, Haiders Entdeckung einer neuen Welt und eines neuen Ichs, auch wenn er damit selbst bei seinen Kollegen auf Ablehnung stößt, die ihn – leider nur im originalen Urdu und nicht im deutschen Untertitel zu hören – regelmäßig mit »Behn Tschood – Fick deine Schwester« abkanzeln. Vor allem ist hier auch der Mut von Joyland hoch anzurechnen, sich um die Sexualität von Haider und Biba zu kümmern, die eine weitere erzählerische Ebene eröffnet, die so aufregend wie zutiefst ernüchternd ist.
So ist es am Ende nicht nur die verzweifelte Rollensuche auf Gender-, familiärer und wirtschaftlicher Ebene aller Beteiligten, die durch ein überragendes Ensemble bis in die kleinste Nebenrolle überzeugend dargestellt wird, und die diesen Film auch in westlichen Kulturen universal lesbar macht, sondern es ist auch die verzweifelte Suche nach Nähe und Verständnis in einer Gesellschaft, in der keiner dem anderen mehr traut, in der Liebe am Ende immer auch die Möglichkeit von Unglück bedeutet.