Joyland

Pakistan/USA 2022 · 127 min. · FSK: ab 12
Regie: Saim Sadiq
Drehbuch:
Kamera: Joe Saade
Darsteller: Ali Junejo, Rasti Farooq, Alina Khan, Sarwat Gilani, Salmaan Peerzada u.a.
Filmszene »Joyland«
Auf der Suche nach Nähe und Verständnis...
(Foto: Filmperlen)
76. Filmfestspiele Cannes 2023

Die Möglichkeit von Unglück

Saim Sadiqs preisgekrönter Film über eine unkonventionelle Dreierbeziehung im gegenwärtigen Pakistan ist ethnografisch erschütternd und von eindringlicher Poesie

Es tut immer gut, ein Gegen­nar­rativ zu den üblichen Bildern eines Landes und einer Kultur zu erhalten. Mehr noch, wenn es ein Land wie Pakistan ist, das in den letzten Jahren eigent­lich nur durch seine außen­po­li­tisch intri­gante Politik und seine innen­po­li­ti­schen Skandale von sich reden gemacht hat und durch eine von Natur- und Wirt­schafts­ka­ta­stro­phen islam-funda­men­ta­lis­tisch aufge­putschte Bevöl­ke­rung, die immer wieder Lynch­justiz gegen vermeint­liche Islam­blas­phemie übte, aufge­fallen ist.

Dass es auch in diesem Fall eine andere, eine komple­xere Seite gibt, davon erzählt Saim Sadiq in seinem Debütfilm Joyland, der neben zahl­rei­chen Nomi­nie­rungen und Preisen auch in Cannes den Preis der Jury der Reihe Un Certain Regard und die Queere Palme gewann, im eigenen Land aber erst nach heftigen Ausein­an­der­set­zungen zuge­lassen wurde.

Das dürfte weniger an dem immer wieder aufre­genden visuellen Stil und der über­ra­genden Kame­ra­ar­beit von Joe Saade liegen, der Pakistans Lahore zu allen Tages­zeiten mal poetisch entrückt, dann wieder brutal sozi­al­rea­lis­tisch abbildet, sondern an der von Saim Sadiq und Maggie Briggs entwi­ckelten Geschichte. Sadiq und Briggs erzählen vorder­gründig eine Fami­li­en­ge­schichte, die von Mumtaz (Rasti Farooq) und Haider (Ali Junejo), die im Haus von Haiders Vater und seinen Geschwis­tern leben. Mumtaz geht ihrem Job als Kosme­ti­kerin nach und grenzt sich damit ebenso von tradi­tio­nellen Erwar­tungs­hal­tungen ab wie Haider, der weder einen Job hat noch mit Mumtaz einen Nach­kommen gezeugt hat. Als Haider eine Arbeit als Back­ground-Tänzer in einem eroti­schen Tanz­theater in Lahore bekommt, scheint sich das Blatt für Haider zu wenden, aller­dings lässt er seine Familie glauben, er sei Manager und kein Tänzer, um die Familie moralisch nicht zu diskre­di­tieren. Als er jedoch seine neue Chefin, die Tran­s­tän­zerin Biba (Alina Khan) kennen­lernt, die eine Hijra-Gemein­schaft ist und dem dritten Geschlecht angehört, ist Haider erst irritiert und dann faszi­niert, und verliebt sich schließ­lich in Biba, ohne aller­dings die Beziehung zu Mumtaz aufgeben zu wollen.

Hinter dieser an sich schon ambi­va­lenten Geschichte erzählt Sadiq jedoch zahl­reiche weitere Geschichten, Vignetten, die am Ende ein so bedrü­ckendes wie erlö­sendes Mosaik der paki­sta­ni­schen Gesell­schaft bilden, die vor allem unter dem kaum zu ertra­genden Kontrast zwischen Tradition und Moderne leidet und der Sehnsucht aller Betei­ligten, sich aus diesem Korsett zu befreien. Dass dabei durchaus auch Humor hilft und die Befreiung durch eine der Künste, ist fast schon selbst­ver­s­tänd­lich, doch Joyland zeigt so gnadenlos wie akkurat auch, dass es nicht unbedingt die im Iran instal­lierte isla­mi­sche Reli­gi­ons­po­lizei braucht, sondern in einer unter­drückten Gesell­schaft wie der Pakistans der Unter­drü­ckungs­ap­parat sich inzwi­schen in jedem Einzelnen mani­fes­tiert und inter­na­li­siert hat. Besonders deutlich wird das an der tragi­schen, nur am Rande erzählten »Liebes­ge­schichte« von Haiders Vater und seiner Nachbarin, aber vor allem über die tragische Entwick­lung von Mumtaz, die eigent­lich ein selbst­be­stimmtes, modernes Leben führt, aber auch durch die Frau von Haiders Bruder mehr und mehr Kritik an ihrem unab­hän­gigen, beruf­li­chen Status erfährt, die wiederum bis zum Ende nicht erkennen will, dass es nicht nur die Männer waren, die die unheil­brin­gende Dynamik dieser Geschichte ausgelöst haben.

Joyland lässt sich bei all der Tragik immer wieder auch Zeit für die Möglich­keit von Glück: der titel­ge­bende Besuch des Jahr­markts »Joyland«, die intimen Momente zwischen Haider und Mumtaz, die stille, pochende, auch sexuelle Sehnsucht von Mumtaz, Haiders Entde­ckung einer neuen Welt und eines neuen Ichs, auch wenn er damit selbst bei seinen Kollegen auf Ablehnung stößt, die ihn – leider nur im origi­nalen Urdu und nicht im deutschen Unter­titel zu hören – regel­mäßig mit »Behn Tschood – Fick deine Schwester« abkanzeln. Vor allem ist hier auch der Mut von Joyland hoch anzu­rechnen, sich um die Sexua­lität von Haider und Biba zu kümmern, die eine weitere erzäh­le­ri­sche Ebene eröffnet, die so aufregend wie zutiefst ernüch­ternd ist.

So ist es am Ende nicht nur die verzwei­felte Rollen­suche auf Gender-, fami­liärer und wirt­schaft­li­cher Ebene aller Betei­ligten, die durch ein über­ra­gendes Ensemble bis in die kleinste Neben­rolle über­zeu­gend darge­stellt wird, und die diesen Film auch in west­li­chen Kulturen universal lesbar macht, sondern es ist auch die verzwei­felte Suche nach Nähe und Vers­tändnis in einer Gesell­schaft, in der keiner dem anderen mehr traut, in der Liebe am Ende immer auch die Möglich­keit von Unglück bedeutet.