USA 2019 · 137 min. · FSK: ab 12 Regie: Destin Daniel Cretton Drehbuch: Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham Kamera: Brett Pawlak Darsteller: Michael B. Jordan, Jamie Foxx, Tim Blake Nelson, Brie Larson, Rafe Spall u.a. |
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Kaum überraschende Momente | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Wenig schmeichelhafte Ausdrücke findet ein rassistischer Polizist in einer nachwirkenden Szene, wenn er zugibt, es sei letztlich gleichgültig, welchen Schwarzen es im Bezug auf eine Verurteilung trifft. Diese laxe Rechtsauffassung eines Ordnungssystems, das bei einem Mordfall nur nach der Hautfarbe urteilt, kehrt das Justizdrama Just Mercy wiederholt hervor. In der Verfilmung des gleichnamigen autobiografischen Romans mit dem Untertitel „A Story of Justice and Redemption“ des schwarzen Anwalts Bryan Stevenson nimmt einmal mehr ein Außenseiter den ungleichen Kampf gegen die drohende Todesstrafe eines Vorverurteilten auf.
Regisseur Destin Daniel Cretton verlässt in seinem vierten Spielfilm das zuletzt bevorzugte Coming-of-Age-Sujet. Schloss aus Glas etwa fokussierte sich auf bedrängte Jugendliche im Konflikt mit der Familie und den Dämonen der Vergangenheit. Wenn er in Just Mercy die Häftlingsgemeinschaft und den Personenkreis auf ihrer Seite parallel porträtiert, erinnert diese Struktur an seinen Durchbruch Short Term 12 – Stille Helden (2013). Der auf seinem Kurzfilm basierende Sundance-Hit startete die Zusammenarbeit mit Brie Larson, die statt einer Sozialarbeiterin nun eine Bürgerrechtlerin verkörpert. Larson weiß, was sie Cretton zu verdanken hat: Short Term 12 brachte ihr den Part von Room samt Oscar-Auszeichnung ein.
Weitaus eindringlicher als die Rollen von Co-Produzent Michael P. Jordan als idealistischer Harvard-Absolvent und Larson als Mitarbeiterin Eva Ansley von der „Equal Justice Initiative“ sind die Nebenfiguren angelegt. 1986 wurde der schwarze Familienvater Walter McMillian in Alabama unter dem Vorwurf der Ermordung einer weißen Studentin festgenommen. Im Verlauf des Films stellt sich heraus, dass man ihn trotz schwammiger Beweislage sofort in die Todeszelle steckte. Jamie Foxx brilliert mit einer selbst in den emotionalen Szenen stets zurückhaltenden Leistung. Durch sein nuanciertes Spiel wirkt die Verzweiflung umso stärker nach. Da hätte Joel P. Wests Orchestescore im Finale nicht nachhelfen müssen, was sich glücklicherweise nur auf wenige Momente beschränkt.
Das Justizdrama selbst hält kaum überraschende Momente bereit. Bryan Stevenson muss in seinem Kampf gegen ein offensiv gleichgültiges System lediglich die dünne Beweislage mit einem wenig glaubhaften Belastungszeugen zerpflücken und den voreingenommenen Staatsanwalt Chapman (Rafe Spall) überzeugen. Das entpuppt sich als kein leichtes Unterfangen. Dramatischer klingen jedoch Momente des Alltagsrassismus nach. Neben Morddrohungen muss sich die idealistische Crew beim Klinkenputzen um glaubwürdige Zeugen und den Gesprächen mit den schwarzen Gefangenen entwürdigende Behandlungen gefallen lassen.
Der Afroamerikaner Stevenson bekommt jederzeit zu spüren, dass man ihn für einen Störenfried hält. Beim Eintritt ins Gefängnis soll er sich wie ein potentieller Gewalttäter entkleiden. Beim nächtlichen Autostopp durch Polizisten wird ihm eine Waffe an die Schläfe gedrückt. Wie Hohn klingt daher der Hinweis auf das ortsansässige „Nachtigall“-Museum. Destin Daniel Cretton ist sich den Parallelen zu Harper Lees Romanklassiker Wer die Nachtigall stört um Rassismus und den Kampf um Gerechtigkeit durchaus bewusst.
Verweise auf die Sklaventradition im US-Süden durchziehen den ganzen Film. Die weiß gekleideten Sträflinge auf einem Feld erinnern an einstige Baumwollpflücker auf Plantagen. Mehrfach greift Just Mercy die Gospeltradition als Gegengewicht auf. Erneut dienen Spirituals in Notsituationen als Mittel des Trostes und der Stärke. Wenn Johnny D. zuvor fast im Schwarz seiner Zelle verschwindet, spendet ein Gospelgottesdienst Trost, bei dem der Ton ausgeblendet wird und der Score übernimmt.
Cretton reißt mehrere Schicksale an und lässt die kalte Prozedur einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl für sich sprechen. Neben den Darstellerleistungen von Foxx oder Tim Blake Nelson als instrumentalisierter Belastungszeuge mit (im Original) starkem Südstaatenakzent erweisen sich solche Momente intensiver als das letztlich konventionelle Gerichtsdrama.