Frankreich 2013 · 93 min. · FSK: ab 16 Regie: François Ozon Drehbuch: François Ozon Kamera: Pascal Marti Darsteller: Marine Vacth, Géraldine Pailhas, Frédéric Pierrot, Fantin Ravat, Johan Leysen u.a. |
||
Prostitution als Selbsterfahrungsworkshop |
Der französische Autorenfilmer François Ozon ist bekannt für sein Interesse an der Psyche der Frau. Das Krimi-Komödien-Musical mit dem bezeichnenden Titel 8 Frauen begründete 2002 seinen Ruhm. Ein Jahr später folgte mit dem Erotik-Thriller Swimming Pool Ozons bisher größtes Meisterwerk. In ihm verkörpert Charlotte Rampling eine englische Schriftstellerin in mittleren Jahren, die mit der sexuell äußerst aktiven französischen Tochter ihres Verlegers konfrontiert wird. Die junge Frau in Swimming Pool ist mehr ein Spiegel für die Befindlichkeiten von Charlotte Ramplings Charakter, als eine eigenständige Persönlichkeit. Nun stellt Ozon genau zehn Jahr später mit dem Erotik-Drama Jung & schön die Psyche einer jungen Frau in den Mittelpunkt der Erzählung.
Isabelle (Marine Vacth) ist zwar jung und schön, aber noch immer Jungfrau. Das ändert sich, als sie kurz vor ihrem 17. Geburtstag im Urlaub mit dem Deutschen Felix (Lucas Prisor) schläft. Obwohl sich Felix alle Mühe gibt, den ersten Sex zu einer schönen Erfahrung für Isabelle werden zu lassen, fühlt diese dabei einfach nichts. Wieder zurück in Paris beginnt sich Isabelle per Internet mit zumeist älteren Männern für Geld zu verabreden. Für 300 Euro pro Treffen verkauft sie sich an ihren Nachmittagen, obwohl sie das Geld überhaupt nicht nötig hat. Isabelle scheint einfach Gefallen an dieser neuen und vor ihren Eltern verborgenen Tätigkeit zu finden. Außerdem beginnt Isabelle für den einfühlsamen Georges (Johan Leysen), der bereits ihr Großvater sein könnte, tiefere Gefühle zu entwickeln. Da kommt es zu einem folgenschweren Unglücksfall.
Auf den ersten Blick verbindet Ozon mit Jung & schön eine Lolita-Geschichte mit der Handlung aus Luis Buñuels Klassiker Belle de Jour (1967). Beide Filme handeln von einer attraktiven Pariserin aus gutbürgerlichen Verhältnissen, die sich nachmittags freiwillig prostituiert, nicht weil sie das Geld braucht, sondern um neue Erfahrungen zu machen. Dabei ist die Motivation von Catherine Deneuve als »Belle de Jour« (die Schöne, die nur am Tag zu haben ist) trotz aller Surrealität von Buñuels Film viel eindeutiger, als die von Isabelle in Jung & schön. Zugleich ist Ozons Film bei all seiner Zeigefreudigkeit von einer fast spröden Nüchternheit, die über die Distanzierheit von Belle de Jour weit hinausgeht. In ihrer abgeklärten Art erinnert die von dem Modell Marine Vacth gespielte Isabelle mehr an die Hauptdarstellerin in Jean-Luc Godards Meisterwerk Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß. Godards im selben Jahr wie Belle de Jour erschienener Film erzählt von einer in einer Pariser Trabantenstadt wohnenden Hausfrau, die sich nachmittags prostituiert, damit sie sich Dinge wie schöne Kleidung leisten kann.
François Ozon überlässt es dem Zuschauer herauszufinden, was genau Isabelle zu ihrem Tun antreibt. Er legt verschiedene psychologische Fährten aus, die jedoch niemals eindeutig weiter verfolgt werden. Isabelle scheint auch das Abenteuer zu genießen und ist doch alles andere als ein rebellischer Teenager, der die Eltern bewusst provozieren will. Ebenso wenig scheint sie durch eine unbändige Lust am Sex angetrieben zu sein. Doch es hat den Anschein, dass Isabelle beim bezahlten Sex immerhin mehr fühlt, als bei ihrem ersten Mal mit Felix am Strand. Aber was genau fühlt sie? Es ist wahrscheinlich weniger sexuelle Lust, als ein aufkeimendes Gefühl für ihre eigene Identität. Prostitution wird für Isabelle so zu einer Art von Selbsterfahrungstrip auf ihrem Weg ins Erwachsenendasein.
Das Thema der sexuellen Wünsche und Identität spiegelt sich auf vielfältige Weise innerhalb von Isabelles Familie. Isabelles kleiner Bruder beobachtete sie heimlich beim Masturbieren. Die Mutter hat einen Blick auf einen Freund der Familie geworfen, und der Stiefvater versucht verzweifelt in einer immer mehr eskalierenden Situation, sowohl seiner Rolle als verlässlicher Ehemann als auch als verständnisvoller Ersatzvater gerecht zu werden. Isabelle wiederum ist trotz ihrer außergewöhnlichen Erfahrungen noch nirgendwo angekommen, aber ihre Jugend hat sie definitiv bereits hinter sich gelassen.