D/DK/Ö/N/F/USA/J 2014 · 164 min. · FSK: ab 6 Regie: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz Drehbuch: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Anthony Lappé, Bjørn Olaf Johannessen, Karim Ainouz u.a. Kamera: Christian Rein, Wolfgang Thaler, Ed Lachman, Øystein Mamen, Ali Gözkaya Schnitt: Toni Froschhammer, Monika Willi, Janus Billeskov Jansen, Jim Helton, Michal Leszczylowski |
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3D als Kulturbrille, auch die Zentralperspektive bleibt gewahrt |
»Churchill hat gesagt, wir formen unsere Bauwerke und unsere Bauwerke formen uns« – einmal hört man in diesem Film diesen Satz. Wie ist es, wenn man das weiterdenkt, dann mit Filmen über diese Bauwerke? Denn wenn die Geformten wieder Filme über die Bauwerke machen und auch diese Filme dann wieder uns formen...
Ein Film über Bauwerke, über Architektur, also etwas, das man sehr selten im heutigen Kino sieht, ist es, was Kathedralen der Kultur am Ende bietet.
Kathedralen der Kultur – der Titel klingt pathetisch; sehnsuchtserfüllt nach jenen Tagen, als das Wünschen noch geholfen hat, als das Abendland in seinen Grundfesten noch stand, und es recht einfach war zu erklären, was denn Kultur überhaupt ist. Im Wort von der Kathedrale schwingt so vieles mit: Hochkultur; die Vergangenheit eines sehr fernen Zeitalters und nicht zuletzt auch: Gottesdienst, Entrücktheit, Heiligkeit.
Es ist also ein verlorenes Paradies, das dieser Film beschwört, ein sehr schönes Idyll, über das zu spotten es gar keinen Anlass gibt. Und tatsächlich wäre es vielleicht das Beste, wir könnten einfach zu dieser Utopie zurück, in eine Welt, in der alles glasklar ist und einfach.
Tatsächlich aber ist nicht viel heute klar und einfach und vielleicht kam man gerade darum auf die Idee, diesen Film Kathedralen der Kultur zu taufen, in der Heiligkeit, die der Titel ausstrahlt, seiner bildungsbürgerlichen Gewissheit. Obwohl es im Grunde ganz anders ist: Im Grunde hat der Regisseur Wim Wenders einfach fünf Freunde gebeten, für eine Fernsehserie für den Kulturkanal ARTE ihre Lieblingsbauwerke vorzustellen – jeweils genau 26 Minuten lang, so lang wie eine Kultureinheit auf ARTE. So weit so gut, aber eben mit fast drei Stunden etwas lang und seiner Auswahl sehr zufällig, sehr willkürlich. Man muss schon Wim Wenders heißen, damit man so etwas überhaupt machen darf.
Wirklich bemerkenswert ist dieser Episoden-Dokumentarfilm, dessen einzelne Abschnitte eigentlich nichts miteinander zu tun haben, aus zwei Gründen, den zwei Gründen, die sie doch miteinander verbinden. Zum einen ist dies die 3D-Technik. Eigentlich ist 3D ja schon wieder vorbei... Bei den Fans kommt sie nur begrenzt an, sie ist teuer, und für Blockbuster nur begrenzt geeignet. In den letzten zwei Jahren aber verlässt diese Technik die künstlichen Paradiese der Superhelden und wird zur Kulturbrille: Ang Lee drehte mit Life of Pi einen stillen, poetischen Film. Und besonders Wim Wenders, der Veteran des deutschen Autorenkinos zeigt sich als gläubiger Anhänger und Promotor der neuen Technik. Auf Pina folgt nun Kathedralen der Kultur...
Für Architektur ist dies gut geeignet: 3D bläht die Räume in manchen Momenten tatsächlich so monumental auf, dass sie wie eine Kathedrale erscheinen. Sie schafft aber auch Distanz – wir sehen bei 3D die Technik ja immer doppelt mit, in den Pop-up-Effekten, die Objekte scheinbar »aus der Leinwand heraus treten«, und durch die Brille, die auf unserer Nase sitzt.
Wohl weil er diese Distanz geahnt hat, und dem Ganzen selbst nicht traut, traf Wenders eine zweite folgenschwere Entscheidung: Die zur märchenhaften Heimeligkeit durch eine aufgesetzte und dadurch recht aufdringliche, distanzlose Pseudopoesie: Denn die Gebäude zum Sprechen zu bringen, das bedeutet in diesem Film, dass sie tatsächlich – reden.
Wie klingt es, wenn ein Gebäude redet? Zum Beispiel wie ein Hörbuch, das Meret Becker liest: »Scharoun hat mich entworfen nah einer Grundidee von drei ineinander verschachtelten Pentagrammen. Niemand weiß genau, wie diese Idee entstanden ist. Auf jeden Fall bin ich so selber zu einem riesigen Musikinstrument geworden – und einem außergewöhnlichen Raumkörper.«
Hier handelt es sich um die Berliner Philharmonie – das Bauwerk, das Wenders selbst ausgesucht hat.
Oder es klingt, wie im Fall des Centre Pompidou wie postmodernes Bildungsfernsehen mit der Stimme von Ulrich Matthes: »Ich bin eine lebendige pulsierende Kulturmaschine. ... Nach all den Jahren habe ich mich an die ständige Beobachtung durch unzählige Millionen Augen gewöhnt.«
So ist es in der Praxis eher niedlich als heilig, was Wenders tut. Ob er damit der Kultur, die er im Titel so beschwört, einen Dienst erweist, darf man bezweifeln. Denn ist nicht gerade dies das Problem unseres Umgangs mit Kultur? Die Verniedlichung des Sperrigen, die Vereinfachung des Komplizierten, das Konsumierbarmachen von allem und jedem. Die Illusion, dass man alles in den gleichen 26 Minuten erklären und irgendwie abschließend verständlich machen kann.
Diese Kritik am Grundansatz des Films ändert allerdings nichts daran, das er sich lohnt, Denn in zwei Beiträgen kritisiert der Film gewissermaßen sich selbst. Da wäre zum einem Robert Redford. Seine Vorstellung des kalifornischen »Salk Institute«, eines modernistischen Bauwerks aus Beton, Holz und Glas, Redford nimmt sich die Freiheit auf den fragwürdigen Audio-Kommentar des Gebäudes einfach zu verzichten. Stattdessen hört man eine Collage aus Tönen und Stimmen. Auch hier allerdings mit viel Musiksoße, auch hier im Predigerton des Bekehrten. Denn auch Redford hat große Botschaften.
Am besten gelungen in diesem sehr sehr merkwürdigen Projekt ist der Beitrag des vor ein paar Wochen verstorbenen österreichischen Regisseurs Michael Glawogger.
Er erzählt von der russischen Nationalbibliothek in Sankt Petersburg. Sein Beitrag ist eine Ode wie ein Abgesang auf das Buch, das in den Schluchten des Digitalen immer mehr verschwindet. Glawogger erzählt vom Verlust des Haptischen, des Geruchs alter Bücher, aber auch der Zettelkästen alter Archive und des Wissens der Archivare, das an ihnen hängt. Er hat an Wenders' Projekt gerade deshalb teilgenommen, weil er ein erklärter »3D-Skeptiker« war, der den Verlust des analogen
Filmkorns beklagte.
Und Glawogger erzählt nicht so sehr vom Gebäude sondern von den Menschen, dem Wandel der Buchkultur von der Bibel zum Kindle. Bei ihm spricht nicht das Gebäude, sondern Menschen und Literatur. Hier muss man Kultur nicht bestaunen, hier lebt sie einfach. Ein tolles Vermächtnis.