Deutschland 2005 · 86 min. · FSK: ab 16 Regie: Florian Schwarz Drehbuch: Michael Proehl Kamera: Philipp Sichler Darsteller: Jule Böwe, Christoph Bach, Walter Kreye, David Scheller u.a. |
||
Zugbekanntschaft |
Viel zu wenig träumt das Kino Europas, zumal das deutsche, heute noch die Träume der Nacht, die einmal die seinen waren. Kein noch so kleiner Schatten des Expressionismus fällt auf das international zu recht gefeierte, in der Heimat oft mit der Sicherheit des schlechten Geschmacks geschmähte junge deutsche Kino, das derzeit an den Filmhochschulen entsteht. Fast nichts mehr zu spüren ist auch von der existentiellen Hoffnungslosigkeit und romantischen Spannung des Film Noir; statt leerer Angst haben die Menschen nun soziale Probleme – »zwischen Herz und Hartz IV« hieß verräterisch präzise die Formel, mit der die »Perspektive deutsches Kino« bei der Berlinale warb.
Dort lief auch Katze im Sack, ein Ausnahmefilm in dieser Landschaft. Ein Beweis, dass es neben jenen ästhetischen Wahlverwandten, die man in Paris schon als »Berliner Schule« feiert, auch noch ein anderes junges deutsches Kino von künstlerischem Rang gibt. Ein Film, der nichts hat von jener TV-Ästhetik, die so vieles knechtet, der nicht stromlinienförmig, nicht gut gelaunt, nicht pädagogisch wertvoll, aber auch nicht spießig rebellisch ist. Der aber eben auch keine langen Einstellungen, keine betonte Konzentration und knechtische Nüchternheit, keine Bresson und Antonioni-Zitate hat. Der mit 80.000 Euro produzierte Erstling des Ludwigsburger Filmhochschülers Florian Schwarz steht näher bei Truffaut, näher bei Preminger, näher bei Melville und der Erzähl-Tradition des Film Noir.
Ein Film Noir in Leipzig – das kann, denkt man, eigentlich nicht gut gehen. Und anfangs holpert Katze im Sack auch ganz schön. Geduld muss man aufbringen, bis die drei Personen die Geschichte, die sie suchen, auch gefunden haben – aber schon in dieser frühen Phase ist spürbar, dass man es hier mit etwas Besonderem zu tun hat, einem Willen, aufs Ganze zu gehen, dem Mut, eigenen Empfindungen zu vertrauen, sich von Atmosphären und nicht von der Plotrationalität der Drehbuchkurse leiten zu lassen. Und wenn alles dann in die Gänge gekommen ist, die drei Figuren in einem Raum zusammen getroffen sind, entpuppt sich Katze im Sack als absolute Entdeckung, als ein Film, der in seiner Haltung ebenso überzeugt, wie handwerklich mit herausragender Kamera, elegantem Schnitt.
Die Story wirkt rätselhaft im besten Sinn. Man weiß als Zuschauer nicht, wohin es geht, was werden wird, an welchen Personen man innerlich dran bleiben soll – und ist deswegen von allen gleich seltsam fasziniert, wie von wilden Tieren im Zoo, die man genau und neugierig betrachtet: Ein undurchsichtiger Landstreicher, vielleicht sogar Gefängnisausbrecher und ein alternder Sicherheitstechniker, der innerlich längst am Ende ist, sind auf die gleiche Frau scharf, Doris, die als Barfrau arbeitet, und mindestens ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Der Junge hat sie im Zug getroffen, der Alte liebt sie unglücklich und sie selbst weiß nicht, was sie will, schwankt wie die beiden anderen Verlorenen hin und her zwischen Lust und Laster, Sehnsucht und Selbstzerstörung, langer Einsamkeit und kurzen Tröstungen.
Alles dies ist präsent, doch nie aufdringlich in jenem großartigen Mittelteil des Films, der die drei virtuos in einer Bar zusammenführt, bevor sie weiter durch die Nacht irren. Vorzüglich gelingt mehr als alles sonst die Figur des Überwachungsexperten Brockmann. Walter Kreye verströmt die Melancholie des Erfahrenen, Wissenden. Er spielt diesen wüsten alten Sack, der sich und sein Leben noch so gerade festhält, voller Nonchalance. Ähnlich wie bei Bill Murrays Auftritt in Lost in Translation, mit dem er nicht nur deshalb vergleichbar ist, weil auch Kreye zwei wunderschöne Karaoke-Lieder singt, trägt auch dieser Darsteller hier all die Rollen und Figuren mit herum, die er seit 20 Jahren im Fernsehen gespielt hat – sie sichtbar zu machen und hindurch scheinen zu lassen, ist die Kunst dieses lange unterschätzten Schauspielers, aber auch seines
Regisseurs.
Unter ständigen Perspektivwechseln verknüpft dieser Noir-Thriller das Schicksal seiner Figuren, mehrfach werden sich alle drei finden und verlieren, Liebe und Tod wird ihnen begegnen, vor allem aber die eigene Verzweiflung. Ohne wohlfeile Diagnosen und gesellschaftspolitische Arbeitskataloge ist Katze im Sack wahrhaftiger und in seiner Haltung radikaler, als die meisten deutschen Filme, in ihrer folgenlosen Revolte gegen fett gewordene
68er-Väter.
Doch weit mehr als von seiner Story – beim Max-Ophüls-Festival wurde das Script mit dem hochdotierten Drehbuchpreis ausgezeichnet – lebt Katze im Sack von der Musik (Slut, 2raumwohnung) und einer flirrenden selbst musikalischen Kamera, die bis zum Schluss neugierig bleibt, und damit ein Geheimnis bewahrt. Atmosphärisch ist der Film stellenweise ein Meisterwerk in der Art, wie er zwischen Hoffnung und Enttäuschung oszilliert, Traum und
Erwachen, Schund und Pop. Schwarz gelingen magische Momente voller Glück und Resignation, im Ganzen bewahrt er einen unverwechselbaren Ton.
Das Ergebnis ist ein märchenhafter, ein wenig wahnsinniger Liebesfilm, der die Moral aller Liebesfilme, die ewige Hochzeit, dementiert, dessen Inszenierung sinnliche Eleganz sowie Mut zu Pathos und Übertreibung hat, und der die Schönheit der Bewegung, die Essenz des Mediums, feiert. Kino, das nach Fatalität schmeckt, und nach
Erwartung.