Deutschland 2013 · 79 min. Regie: Andy Wolff Kamera: Yusuf Guul, Tobias Tempel, Andy Wolff Schnitt: Michèle Hubinon, Ulrike Tortora |
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Kapitän »Kohlhaas« |
»Na, also die Sache ist so,« sagte Silver: »Wir wollen den Schatz haben, und wir kriegen ihn – das ist für uns die Hauptsache! Sie möchten ebenso gerne Ihr Leben retten, denke ich mir; und das ist für Sie die Hauptsache.«
Robert Louis Stevenson, Die Schatzinsel
Es tut fast immer gut, im Leben eine Alternative zu haben. Das trifft auch und vielleicht besonders auf Filme zu, kann man hier doch wenigsten auch einmal handeln, ohne gleich ein ganzes Leben umzustülpen. Erst kürzlich war das beim Thema Kohlhaas so, jetzt gibt es wieder einen dieser wenigen Momente, wo jeder für sich entscheiden kann, was ihm besser, richtiger, gelungener erscheint. Wieder ist es ein Thema wider den Staat, wieder sind es Querulanten, die im Mittelpunkt stehn – nur ist es dieses Mal die jüngste Gegenwart, die verankert wird: somalische Piraten und ihre entführten Kapitäne.
Paul Greengrass Captain Phillips kam vor ein paar Wochen in die Kinos. Nichts daran war überraschend, vieles stereotyp und langweilig. Wer Pixibücher wie »Ich hab einen Freund, der ist Kapitän« [1] mag, wird hier bestens bedient. Wer Grautöne statt Schwarzweiß bevorzugt, wer es müde ist, in jedem amerikanischen Film mit Militärinhalten gleich auch die Militärberater der US-Armee und eine dementsprechende Werbekampagne mitzubezahlen, wird sich ärgern. Gut also, dass es noch während Captain Phillips in den Kinos läuft, eine Alternative gibt, die vielleicht nicht die Reinwaschkraft vom Vollwaschmittel Greengrass hat, dafür aber durch ihr ausdrückliches Bekenntnis zum schonenden Wollwaschgang grau lässt, was grau ist.
Denn Andy Wolff entscheidet sich in seinem bislang dritten Dokumentarfilm Der Kapitän und sein Pirat nicht dafür, nur die Geschichte eines entführten Kapitäns zu erzählen, sondern auch die Risiken auf sich zu nehmen, der anderen Seite ein Bild zu geben. Ein Bild, das weit über Greengrass Floskelkonvolut hinausgeht, nach der die Piraten früher Fischer waren und heute nur verschwitzte, mit Drogen vollgepumpte und dementsprechend zugedröhnte, zu hektischen Absurditäten neigende »Neger« sind.
Wolff nimmt stattdessen tatsächlich das Wagnis auf sich, in das Land der Täter zu reisen und einen der Piraten zu interviewen, die 2009 die »Hansa Stavanger« entführten. Zwar bestätigen die Interviews und filmischen Ausflüge ins somalische Niemandsland die latente Gewaltbereitschaft und schonungslose Geiselwirtschaft, zeigen aber gleichzeitig auch Menschen, die analytisch denken und handeln und durchaus auch sympathisch sind. Die Doppelbödigkeit, die Wolff hier zulässt, wendet er auch in seinen Interviews mit dem damals entführten Kapitän Kotiuk an, den er noch während dessen Traumatherapie, die er gleich nach Beendigung der Entführung begonnen hatte, filmisch zu begleiten. Kotiuk wird nicht nur differenziert zur Beziehung, die er zu »seinem« Entführer aufbaute, sondern auch zu dem während der Entführung mehr und mehr entgleitenden Verhältnis zu seiner Mannschaft befragt, ohne letztlich – und völlig richtig – Antworten geben zu können, die zu einer endgültigen Wahrheit führen würden.
Wolff ist es hoch anzurechnen, dass er weder Kotiuk zu »mehr« drängt noch in den Gesprächen mit dessen Mannschaft oder der piratischen Gegenseite auf einen eindeutigen moralischen Standpunkt besteht und dadurch eine faszinierend ausgewogene Feldforschung über zwei Männer erreicht, die entweder nichts zu verlieren haben oder schon alles verloren haben.
Nur manchmal hätte man sich dieser Produktion mehr finanzielle Mittel gewünscht. Die filmtechnischen Brüche zwischen dem Material der Drehs in München, Djibouti und Somalia sind immer wieder markant. Doch die Geschichten, die in Der Kapitän und sein Pirat erzählt werden, sind so stark, dass es leicht fällt, diese Defizite zu ertragen. Mehr noch, als einige Bilder fast kohlhaassche Qualität haben: sei es der alles andere als anekdotische Moment, in dem Kotiuk »seinem« Piraten beim Abschied seine Schuhe schenkt (die dieser bis heute in Ehren hält) oder Kotiuks kritische Haltung auch gegenüber der eigenen Reederei, die schließlich zu seiner Entlassung, einem endlosen Gerichtsprozess und eines wegen der mageren Rente gewählten Zwangsexils in Süditalien führt. [2]
[1] Susanne Schürmann und Ralf Butsckow, Ich habe einen Freund, der ist Kapitän, Carlsen Verlag, Hamburg, 1996.
[2] Siehe Alex Rühle über sein Treffen mit Kotiuk in Genua, »Er gehört zu mir«, Süddeutsche Zeitung, 7.12.2013.