Die Kairo Verschwörung

Walad Min Al Janna

S/F/FIN/DK 2022 · 121 min. · FSK: ab 12
Regie: Tarik Saleh
Drehbuch:
Kamera: Pierre Aim
Darsteller: Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mehdi Dehbi, Mohammad Bakri, Jawad Altawil u.a.
Filmszene »Die Kairo Verschwörung«
Nicht nur ein religiöses Coming-of-Age...
(Foto: X Verleih)

Leben und Sterben in Schönheit, Staat und Glauben

Tarik Salehs kluger Thriller ist nicht nur kritische Introspektion islamischer Machtstrukturen, sondern auch bittere Abrechnung mit einem autokratischen Staat

»Keiner, dem Gott das Buch, die weise Urteils­kraft und das Prophe­tentum gegeben hat, wird zu den anderen Menschen sagen: ›Betet mich anstelle von Gott an!‹ Er wird eher sagen: ›Seid Gottes­an­hänger [rabbâ­ni­yyûn] aufgrund des Buches, um das ihr wisst, und des Studiums, das ihr betrieben habt!‹«
– Koran, Sure 3 Vers 79

»There can be no religious discourse which is in conflict with its envi­ron­ment and with the world and therefore, we Muslims need to modify this religious discourse. And this has nothing to do with convic­tion and with religious beliefs, because those are immutable. But we need a new discourse that will be adapted to a new world and which will remove some of the miscon­cep­tions.«
– Abdel Fattah al-Sisi (Feld­mar­schall und Präsident Ägyptens seit 2014)

Seit Tarik Saleh 2017 mit seiner in Sundance ausge­zeich­neten Nile Hilton Affäre den ägyp­ti­schen Staat über einen Thriller so spannend wie intel­li­gent hinter­fragte, hat Saleh Dreh­verbot in Ägypten. Doch das sieht man seinem neuesten Film, der ebenfalls in Ägypten, vor allem in Kairo spielt, im ersten Moment nicht an. Denn Saleh, der inzwi­schen in Schweden Zuflucht gefunden hat, hat für seine nun deutlich verschärfte Kritik am insti­tu­tio­nellen Islam und dem ägyp­ti­schen Staats­wesen doku­men­ta­ri­sche Stadt­auf­nahmen aus dem modernen Kairo mit osma­ni­scher Moschee­ar­chi­tektur in Istanbul amalgiert. Zwar dürfte jedem Kairo-Kenner ein wenig aufstoßen, dass die im Zentrum von Salehs Erzählung stehende Al-Azhar-Moschee nichts mit der Archi­tektur aus der ägyp­ti­schen Fatimiden-Dynastie zu tun hat, sondern eindeutig osma­ni­schen Ursprungs ist, doch das sollte Neben­sache bleiben, denn Salehs Geschichte ist eine überaus starke Geschichte und im letzten Jahr in Cannes zurecht mit dem Preis für das beste Drehbuch ausge­zeichnet worden.

Im Zentrum dieser Geschichte steht der junge Adam (Tawfeek Barhom), der Sohn eines Fischers an der ägyp­ti­schen Mittel­meer­küste, der ein Stipen­dium an der renom­mierten Al-Azhar-Univer­sität in Kairo erhält. Doch Adam hat kaum Zeit, sich über sein unver­hofftes Glück zu freuen, denn kaum hat er seine ersten Kurse besucht, als der Scheich der al-Azhar, das Oberhaupt des sunni­ti­schen Islams, plötzlich verstirbt und ein Macht­kampf um seine Nachfolge ausbricht. Der bei der Staats­si­cher­heit tätige Ermittler Ibrahim (Fares Fares) wird damit beauf­tragt, den Kandi­daten zu unter­stützen, der vom Präsi­denten favo­ri­siert wird, und instru­men­ta­li­siert Adam, ihn dabei zu unter­stützen.

Über dieses Kern­per­sonal spinnt Saleh ein immer komplexer werdendes erzäh­le­ri­sches Netz, das zum einen von einem reli­giösen Coming-of-Age, zum anderen aber auch von einer poli­ti­schen Desil­lu­sio­nie­rung erzählt. Denn Salehs Film ist auch ein bitterer Abgesang auf den Arabi­schen Frühling, der in Ägypten letzt­end­lich mit dem Putsch von Abdel Fattah al-Sisi zu Grabe getragen wurde. Und ein fast schon wütendes Pamphlet gegen einen Staat, der zwar den radikalen, funda­men­ta­lis­ti­schen Islam bekämpft, dabei aber selbst zu dem Monster wurde, das er bekämpft und gleich­zeitig die hehren Ideale einer der ange­se­hensten isla­mi­schen Univer­si­täten korrum­piert.

Saleh geht dabei faktisch manchmal ein wenig zu weit, etwa wenn er behauptet, dass einige isla­mi­sche Strö­mungen das Singen von Suren tabui­sieren – was nicht korrekt ist – doch gleich­zeitig schafft er gerade mit dem Rezi­ta­tions-Duell eine der stärksten Szenen des Films, in dem nicht nur deutlich wird, wie schön der Islam sein kann, wie lyrisch perfekt sich die rezi­tierten Suren aus dem Koran anhören können, sondern auch wie gespalten die isla­mi­sche Welt allein schon in ihren kleri­kalen Grund­festen ist und wie gefähr­lich diese Entwick­lung ist, eine Gefahr, die den Betei­ligten durchaus bewusst ist und durch einen der Prot­ago­nisten in Salehs Film korrekt analy­siert wird: »Die Macht ist ein zwei­schnei­diges Schwert. Man kann sich leicht selbst daran schneiden.«

Saleh zeigt aber nicht nur einen gespal­tenen Islam, der von Doppel­moral und Korrup­tion zerfressen ist, sondern einen Staat, der ebenso zersetzt ist, dessen gute Elemente zwischen den Macht­blö­cken genauso zerrieben werden wie auf der anderen Seite. Sind die Bilder, die Saleh für den todbrin­genden Staat findet, Bilder, die über inves­ti­ga­tive Recher­chen in inter­na­tio­nalen Medien bereits vertraut wirken, sind die Innen­an­sichten aus der isla­mi­schen Welt so über­ra­schend wie präzise, entsteht dadurch ein immer wieder auch großartig gefilmtes (Pierre Aïm), para­no­ides, völlig hoff­nungs­loses Tableau, das die gegen­wär­tigen Krisen im Nahen Osten nicht nur trans­pa­rent macht, sondern im Stil eines Romans von John le Carré auch subtil und spannend erzählt.