IRL/F/E/USA 2017 · 82 min. · FSK: ab 0 Regie: Mark Noonan Kamera: Kate McCullough Schnitt: Jordan Montminy |
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Kevin Roche: weniger an Ausrufezeichen als an Räumen interessiert... |
Seitdem 1997 das von Frank Gehry entworfene Guggenheim-Museum Bilbao eröffnet wurde, strömen Scharen von Touristen in den bis dahin als eher unattraktiv angesehenen baskischen Küstenort, um diese spektakuläre Bauskulptur zu besichtigen. Dabei sind die eigentlichen Exponate höchstens von sekundärem Interesse. Die zum Teil recht konventionellen kubischen Ausstellungsräume hat Gehry sowieso mehr schlecht als recht in seine gigantische Architekturskulptur integriert. Er selbst sagte einmal, dass der Unterschied zwischen einem Architekten und einem Künstler darin bestehe, dass er irgendwie Fenster in seine Skulpturen integrieren müsse.
Trotzdem hat sein Beispiel Schule gemacht. Der „Bilbao-Effekt“ ist längst zum geflügelten Wort avanciert. Heute versucht weltweit jede größere Stadt diesen Effekt zu wiederholen, indem sie Stararchitekten, wie Gehry oder die jüngst verstorbene Zaha Hadid, engagiert, um Gebäude zu errichten, deren Wert als Wahrzeichen und potenzielle Touristenmagneten wichtiger, als ihre eigentliche Funktion ist. Im besten Fall kommen dabei oft astronomisch teure architektonische Meisterwerke, wie die Hamburger Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron heraus. Der Drang nach einem Bilbao-Effekt treibt jedoch oft extrem skurrile Blüten. So wurden seither in Spanien selbst in kleineren Städten haufenweise von renommierten Architekten entworfene Museen eröffnet, ohne dass für diese überhaupt nennenswerte Exponate vorhanden waren.
Architekten wie Gehry oder Hadid sind längst so berühmt wie die bekanntesten Modeschöpfer. Sie alle sind Designer, die sich nur darin unterscheiden, ob sie die zweite oder dritte Haut für die Menschen entwerfen. Dahingegen ist der Name des irisch-amerikanischen Architekten Kevin Roche bis heute in der breiten Öffentlichkeit deutlich weniger bekannt. Dabei ist der mittlerweile 95-jährige Roche, ebenso, wie Gehry oder Hadid, nicht nur Träger des Pritzker-Preises – also der prestigeträchtigsten Auszeichnung seiner Zunft, sondern gilt zudem als einer der einflussreichsten noch lebenden amerikanischen Architekten überhaupt. Wieso diese auffällige Diskrepanz existiert, zeigt Mark Noonan in seiner Dokumentation Kevin Roche – Der stille Architekt.
Der Dokumentarfilm entwirft das Porträt eines bescheidenden Mannes, der selbst nichts davon wissen will, angeblich ein Stararchitekt zu sein. Seine Bauwerke, wie der New Yorker Sitz der Ford Foundation oder das Oakland Museum of California, versuchen nicht durch große expressive Gesten zu beeindrucken, sondern bestechen insbesondere aufgrund ihrer hohen Aufenthaltsqualitäten: Die äußerlich fast abweisend wirkende Ford Foundation birgt in ihrem Inneren ein gewaltiges offenes und üppig bepflanztes Atrium, zu dem hin sich die Büroräume orientieren und das als ein großer Kommunikations- und Erholungsort für die Mitarbeiter dient. Die Ausstellungsgebäude des Oakland Museums of Califormia verschwinden mit ihren stark begrünten Dächern fast inmitten einer weitläufigen Parklandschaft. Im Film erzählt Kevin Roche, dass er statt einer weiteren weihevollen Stätte für die Hochkultur, einen öffentlichen Ort schaffen wollte, der selbst ansonsten wenig kulturinteressierte Parkbesucher auf beiläufige Art in die Ausstellung hineinzieht.
Dass all dies keine leeren Sprüche sind, sondern höchstwahrscheinlich tatsächlich genauso funktioniert, wie Roche es schildert, macht Mark Noolans Dokumentation auf wunderbare Weise im Kino erfahrbar: Das Herzstück von Kevin Roche – Der stille Architekt sind die Blicke auf und insbesondere in diese Gebäude sowie die zahlreichen flüssigen Kamerafahrten durch die von Roche entworfenen Außen- und Innenräume. Der langsam gleitende Bilderfluss verdeutlicht das zentrale Anliegen des Erschaffers dieser zumeist sehr reduzierten Bauwerke: Kevin Roche ist weniger am Bauen monumentaler ikonischer Ausrufezeichen als vielmehr am Erschaffen von Räumen gelegen, in denen sich die jeweiligen Nutzer und Besucher wirklich wohlfühlen.
Dieser nutzerorientierte Entwurfsansatz unterscheidet Roche nach seinen eigenen Worten im Film auch von einem seiner wichtigsten Lehrmeister: dem damals bereits in die USA emigrierten ehemaligen deutschen Bauhausarchitekten Ludwig Mies van der Rohe. Dessen radikaler Minimalismus erschien Roche deutlich zu abstrakt. Zugleich zeigt die Dokumentation, dass der gebürtige Ire zu den wenigen Architekten gehört, die van der Rohes berühmte Devise „less is more“ tatsächlich verstanden haben: Die von ihm entworfenen Räume sind zwar sehr schlicht, aber äußerst sorgfältig durchgestaltet. Das Ergebnis ist eine Einfachheit, die nicht billig, sondern oftmals geradezu erhaben wirkt.
Hierzu passend ist auch der Film von seiner formalen Seite her auf die absoluten Dokumentarfilm-Basics reduziert: Neben vielen spektakulären Blicken und interessanten Interviews mit Roche bietet die Doku nur das übliche Archivmaterial und wenig kritische Interviews mit Kollegen und Wegbegleitern sowie magere Informationen zum Werdegang des Architekten. Doch all dies ist in Kevin Roche – Der stille Architekt zu vernachlässigendes Beiwerk, dessen spärliches Vorhandensein einen unverstellten Blick auf das eigentlich Interessante freigibt. Weniger ist hier tatsächlich mehr.