GB/USA 2020 · 164 min. · FSK: ab 12 Regie: Cary Joji Fukunaga Drehbuch: Neal Purvis, Robert Wade, Cary Joji Fukunaga, Phoebe Waller-Bridge Kamera: Linus Sandgren Darsteller: Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, Lashana Lynch, Ben Whishaw u.a. |
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Auch was für Proust-Fans: Léa Seydoux als Madeleine Swann. Links: Doppel-0-Agentin Nomi (Lashana Lynch) | ||
(Foto: UPI) |
»We have all the time in the world« – auch wenn Louis Armstrongs Song schon gleich zu Beginn spielt, ist auf der Suche nach der verlorenen Zeit hier nicht nur Madeleine Swann, auch wir sind es mit ihr. Wo ist das, was ein James-Bond-Film einmal war?
Mit vertrauter Musik und den bekannten ikonischen 007-Bildern geht es los. Trotzdem kann und muss man allen Zuschauern versprechen: So einen James-Bond-Film hat es noch nicht gegeben – und ob das nur eine gute Nachricht ist?
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Dies ist ein Film voller Überraschungen: Für Bond wie für die Zuschauer. Es beginnt gemächlich, fast wie eine TV-Soap für’s Seniorenpublikum: Der ehemalige Agent im Geheimdienst Ihrer Majestät hat sich nach einem abrupten, nur halb erzwungenen, eher der eigenen Angst geschuldeten Abschied von der Psychologin Madeleine Swann (die, gespielt von Léa Seydoux, im Film natürlich später wieder auftaucht) verrentet ins Privatleben zurückgezogen. Doch die Vergangenheit, insbesondere der fiese Blofield (Christoph Waltz) lässt ihn nicht los, und so wird er zunächst von der CIA reaktiviert und dann bald erneut hineingezogen in das Leben ständiger Ortswechsel, Verfolgungsjagden und Weltrettungsaktionen.
Bis es soweit ist, dauert es allerdings ganz schön lang, und man fragt sich, warum? Denn jeder Zuschauer weiß ja, wie es enden muss.
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Es ist nun überhaupt nicht interessant, an einer Figur wie James Bond Machtkritik oder Gewaltkritik zu üben. So wenig es interessant ist, an einem Film wie Dune den Faschismus zu kritisieren oder das Messianische der Handlung. Machtkritik ist interessant an Filmen, die gegen Macht kämpfen wollen, und die behaupten, selber Machtkritik zu üben. Da muss Filmkritik die versteckte Macht aufdecken, so wie sie in einem Film wie James Bond den Wandel in Gewaltdarstellungen zeigen und so etwas wie Gewaltkritik oder Machtkritik aufdecken muss, nicht umgekehrt. Man muss Filme gegen den Strich lesen und gegen den Strom interpretieren, wenn man irgendetwas aus ihnen erfahren möchte.
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Seit 2006 der Ex-Freund von Heike Makatsch, der britische Schauspieler Daniel Craig, den Job mit der Lizenz zum Töten ausfüllt, ist von Anfang an, bereits mit seinem ersten Film Casino Royale, ein anderer Ton in die James Bond-Franchise eingezogen.
Daniel Craig als James Bond war schon immer eine Doppel-Null. Der Bond, den er spielte, war gar kein »richtiger« James Bond. Will sagen: Ihm
war alles ausgetrieben, was die Figur von anderen Filmreihen-Helden unterscheidet, was sie einzigartig macht. Denn die Welt retten tun viele; gegen Superverbrecher kämpfen tun viele. Zuletzt war Tom Cruise, also natürlich Ethan Hunt in Mission: Impossible, der bessere James Bond.
Craigs 007 war ein Bond der Merkel-Ära: Vorsichtig, risikoscheu, politisch korrekt und uninteressant. Er war defensiv, er führte einen Abwehrkampf, er war immer tendenziell unterlegen, getrieben, nie selbstgewiss überlegen. Mit dem »neuen Mann« hatte das allerdings auch nichts zu tun. Dieser Bond war nicht nur blond, sondern ein Fall für den Psychiater (zu dem er von seinen Vorgesetzten geschickt wird); ein auch zerbrechlicher Mann, der seine Emotionen nicht immer unter
Kontrolle hat. Ein oft gequälter, nach innen gekehrter Charakter, der sich gefühlt mehr mit sich selbst, seiner Vergangenheit und persönlichen Problemen beschäftigt als mit der Bekämpfung der Feinde der freien Welt.
Das alles passte 2006 perfekt zum Zeitgeist: Zur da gerade erwachsen werdenden »Generation Y« der Millennials, die mehr Fragen hat als Antworten, mehr auf ihre Gefühle hört und ihren Empfindlichkeiten gerne viel Raum gibt. Das passte auch zur Empfindlichkeit des
Westens nach 9/11, dessen Wunden sich nicht schließen wollten, der sich selbst einen Sündenfall nach dem anderen eingestehen musste, dessen Narrativ mit den Türmen von New York und den gewalttätigen Gegenpositionen der Terroristen zerbrochen war.
Craigs James Bond kämpfte nicht vorrangig gegen Russen, Chinesen oder Islamisten, was sich ja angeboten hätte. Er kämpfte auch nicht gegen verrückt gewordene Medienmogule, oder gegen Herrscher der sozialen Netzwerke, die nach der
Weltmacht greifen wollen – was sich ebenfalls angeboten hätte.
Sondern Craigs James Bond kämpfte vor allem gegen sich selbst. Und gegen irgendwelche ungreifbaren reichen Irren, mit denen er oft mehr gemeinsam hatte, als mit M, Q oder der britischen Regierung.
Und die Frauen? Nun ja. Sie traten paradoxerweise, je mehr in der Gesellschaft über Gleichstellung debattiert wurde, auf der Leinwand um so mehr in den Hintergrund. Es blieben nur ein paar »starke« Chefinnen als Symbol von Egalität. Es verschwanden aber all die Femmes fatales, mörderischen Kampf-Girls und verführerischen Agentinnen, die die früheren 007-Filme bevölkert hatten und die Bond selbstbewusst und auf Augenhöhe gefährlicher wurden als Blofield und die Russen. Sie verschwanden zusammen mit dem übrigen Playboy-Leben des Agenten. Denn mit Craig wurde Bond auch zum harten Arbeiter: Verschwitzt, gesund und wahnsinnig puritanisch. Im neuen Film hat er, hört hört, sogar eine »richtige Beziehung«. Und er wird Vater!
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Nur einmal, für eine großartige Viertelstunde, in der Episode, die auf Cuba spielt, darf im neuen Film der alte Hedonismus aufleben, und es wird angedeutet, wie eine neue 007-Zukunft aussehen könnte. Schnell und witzig, mit Lässigkeit und Kampfkunst und Ironie. Und wenn es wirklich mal einen weiblichen James-Bond geben sollte, muss ihn die Spanierin Ana de Armas spielen – ihr Auftritt als MI-6-Agentin auf Cuba ist phänomenal, und man versteht auch sofort, warum diese Frau demnächst Marilyn Monroe spielen wird.
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Ansonsten geht es für Bond diesmal gegen einen weiteren gefährlichen Verrückten mit dem allzu sprechenden Namen Lyutsifer (Rami Malek als »Joker«-Abklatsch) und einen bösen Virus, einen biologischen Kampfstoff, der die ganze Welt bedroht und sich in die DNA einzelner Menschen für immer einsetzt. »Man lebt nur zweimal« lautete schon früh eine alte James-Bond-Weisheit. Aber in diesem actionreichen, längsten Bond-Film aller Zeiten stirbt 007 auch mehr als einmal.
Das ist
abwechslungsreich, aber größtenteils auch erwartbar.
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Zumindest alle Craig-Skeptiker werden aufatmen, dass jetzt endgültig Schluss ist mit seinem James Bond, und dass 007 wieder einmal neu erfunden werden wird. Das wird todsicher geschehen.
Denn – und hier müssen jetzt spätestens alle zu lesen aufhören, die sich die Schlussüberraschung nicht nehmen lassen wollen – es gibt in diesem Film nicht nur eine zweite Nummer 007, die den Rentner ersetzt. Sondern am Schluss geschieht etwas, was alle Bond-Filme bisher vermieden haben:
Der Held stirbt im Raketenhagel in selbstlosem Selbstopfer (das aber auch wieder ein individualistisches Motiv hat! Weib und Kind sollen gerettet werden und der Gefühlsmensch Bond könnte es, würde er überleben, nicht schaffen, ihnen fernzubleiben).
Trotzdem heißt es am Schluss im Abspann: »James Bond will return.« No Time to Die behauptet, dass Individualität ein Trugschluss sei. Der König ist tot, es lebe der König.
Alles in allem erzählt uns dieser Film damit mehr als jeder James Bond zuvor etwas über Austauschbarkeit. Die Austauschbarkeit von Freund und Feind, von Lebensmodellen, von Menschen. Selbst die eines James Bond.
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Statt dass Bond am Ende mit einem Wodka-Martini am Pool endlich mal ausspannt, erzählt eine Psychologin, die so heißt, wie das wichtigste Gebäck bei Proust und deren Vater ein Killer war, ihrer Tochter, die von einem inzwischen toten Mann gezeugt wurde, der auch ein Killer war, und damit uns allen ein Märchen: »Once Upon a Time there was a Man. His name was James Bond...«
Das versetzt uns selbst in die Rolle eines Kindes, dem die Mutter ein Märchen erzählt, und das langsam einschläft, und dies enthüllt uns irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit dann doch noch die wahre Natur dieses Helden, der immer eine Wunscherfüllungsphantasie war und das auch nach Daniel Craig wieder werden wird.