USA/GB/IRL 2024 · 164 min. · FSK: ab 16 Regie: Yorgos Lanthimos Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou Kamera: Robbie Ryan Darsteller: Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe, Margaret Qualley, Hong Chau u.a. |
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Laszives Lümmeln für Lanthimos | ||
(Foto: Walt Disney Company) |
Über Yorgos Lanthimos neuen Film wurde bereits viel geschrieben und gestritten, zunächst natürlich nach der Premiere in Cannes, wo er den Preis für den besten Schauspieler (Jesse Plemons) gewann, und nun erneut beim Münchner Filmfest.
Es ist ein Episodenfilm, ein Triptychon, das seine drei (Kurz-)Geschichten mit demselben Ensemble besetzt, und die Schauspielerinnen und Schauspieler verschiedene Varianten von sozialen und emotionalen Abhängigkeiten durchlaufen lässt.
Dabei
orientiert sich Lanthimos wieder mehr am Stil seiner frühen Filme, wird nochmal deutlich distanzierter als zuletzt in Poor Things, betrachtet seine Charaktere von einer entfremdeten, klar außenstehenden Position aus, spielt mit ihnen wie in einer Versuchsanordnung.
Das ist handwerklich vollumfänglich gelungen, gerade seine Schauspielführung sticht hervor, noch besser als Plemons spielt Emma Stone, die ihre Oscar-gewürdigte Darbietung des letzten Jahres nochmal übertrifft. Auch die Kamera ist durchaus intelligent eingesetzt, findet die passenden Winkel und Einstellungen; entfremdet noch mehr – gerade im Zusammenspiel mit dem schön seltsamen Kostümdesign, das etwa klassische Schnitte mit unpassenden Farben mixt. Es ist ein homogenes Ganzes, das der Film entwirft, die triptychale Struktur macht in diesem Kontext ebenfalls Sinn, auch wenn sie mehr wie ein Gimmick wirkt, den Ausgangspunkt und die Idee bildet, auf der der Film basiert.
Formal also einwandfrei, darin waren sich grundsätzlich auch alle Kritiker einig. Warum also gibt es Kontroversen? Der Film ist in diesem Punkt spannend, hiervon ausgehend kann er uns (zumindest metatextuell) etwas über Rezeptionshaltungen, über Kunstkritik im Allgemeinen lehren.
Viel diskutiert wurde nämlich der Humor des Films.
Das war schon seit jeher ein Knackpunkt bei Lanthimos, ein Teil seiner Filme, der viele Zuschauer aussteigen ließ. Diesmal zeigt sich jener von einer besonders hässlichen Seite, natürlich wird wieder über Menschen, die an Extremsituationen zerbrechen, gespottet, das war schon immer so, diesmal jedoch eröffnet dieser Spott keine neue Ebene, wird auf nichts Menschliches zurückgeführt, sondern versandet als Hohn.
Kinds of Kindness, das ist in erster Linie ein durchweg zynischer Film, einer, der sich nicht nur vor einzelnen Figuren ekelt, sondern vor der Menschheit im Allgemeinen. Hier findet sich keine Schönheit mehr, auch keine Trauer, eigentlich nichts.
Das sind Punkte, die bereits ähnlich provokanten Künstlern vorgeworfen wurden, im Film sehr stark Lars von Trier, in der Literatur eigentlich bei jeder neuen Veröffentlichung Michel Houellebecq. Und doch gibt es
einen Unterschied zwischen diesen Provokateuren: Wo die beiden Letztgenannten einem Ideal oder einem Wunsch hinterherhinken, der so vielleicht irgendwann, irgendwo in der Welt präsent war, oder zumindest als Utopie immer mitgedacht wird, hat Lanthimos bereits jegliche humane Anmutung, jede Hoffnung und schlimmer noch jede Idee eines Besseren abgeschrieben.
Von Trier und gerade Houellebecq kann man sicherlich viel vorhalten, zynisch sind sie dennoch nicht. Jener Zynismus beginnt schließlich nicht in der Resignation, in der Entfremdung von der Welt, nichtmal in der Aufgabe jener. Er beginnt schon viel früher, durchläuft diesen Schritt erst gar nicht. Er begründet sich in einer vollkommenen Ablehnung der Welt, so sehr, dass er schon gar kein Teil von ihr sein kann. So gesehen passt es zu Lanthimos und seinen Versuchsanordnungen, die auf die Menschheit schauen, ohne selbst den Versuch zu unternehmen, menschlich zu werden.
Wir haben es hier also mit keiner Art oder Auslegung des Humors zu tun, der von Person zu Person (glücklicherweise) unterschiedlich ist, sondern mit einer ideologischen Herangehensweise und Vorprägung des Films. Es erscheint also nur logisch, diesen auch ideologisch anzugehen, sich nicht hinter dem gelungenen Handwerk zu verstecken. Und im Rahmen dieser Lesart muss hart mit Kinds of Kindness ins Gericht gegangen werden: Es ist eine blanke, durchsichtige Provokation, ein Altherrenwitz, der sich nicht mehr anschickt, zwischen einer Vergewaltigung und einer geplatzten Ketchup-Flasche zu unterscheiden. Schlingensief hat diese Form des Provozierens gut zusammengefasst: »Provokation ist ein Mittel für Doofe. […] Bei einer Provokation provoziere ich Sie, und dann habe ich Sie provoziert, und dann gehe ich.« Kinds of Kindness ist genau das.
Was bleibt, ist ein gut gemachter Film, nur inhaltlich derart verquer und unterfordernd, dass die Form ihren Gehalt verliert. Man sollte sich nicht täuschen lassen vom künstlerischen Handwerk, denn was dieser Film erzählt, ist banaler, misanthropischer Nihilismus. Daran gibt es nichts zu loben.
»This is it: The Moment of Truth... ›Isn’t it wonderful?‹«
- Dialogausschnitt
Alle Zuschauer, die die letzten beiden Werke des Griechen Yorgos Lanthimos, Poor Things und The Favourite mochten, sollten hinterher nicht sagen, sie seien nicht gewarnt worden: Der neue Film von Lanthimos hat mit ihnen wenig zu tun. Er spielt in der Gegenwart, und erinnert eher an Lanthimos' Film The Killing of a Sacred Deer.
Kinds of Kindness, also wörtlich übersetzt »Formen der Nettigkeit« besteht eigentlich aus drei komplett getrennten Kurzgeschichten, die zugleich durch drei Leitmotive zusammengehalten und verbunden werden: Es sind zum einen immer die gleichen fünf Hauptdarsteller, die die verschiedenen Rollen spielen. Es geht zum zweiten immer um Essgewohnheiten, in einem Fall inklusive Kannibalismus. Und es geht schließlich immer um Regelbrüche, deren Bestrafung durch Ausgrenzung dazu führt, dass die betroffenen Menschen sich nun erst recht an die absurden Regelsysteme anpassen wollen.
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Der erste Teil erzählt die Geschichte eines gewöhnlichen Mannes, der von einem perversen Chef gequält und manipuliert wird.
In der zweiten Geschichte geht es um eine Frau, die verschwindet und durch eine andere Frau ersetzt wird, die genauso aussieht wie sie, aber vielleicht jemand anderes ist. Vielleicht auch nicht.
Die dritte Geschichte handelt von den Mitgliedern einer Sekte, die ein Geheimnis entdecken, das es ihnen ermöglicht, Tote wieder auferstehen zu lassen.
Dass diese drei Geschichten durch eine gemeinsame Idee oder Struktur so miteinander verwoben werden, dass sie wie ein Triptychon funktionierten, ist durchaus attraktiv. Nur muss man für diesen Film feststellen, dass seine vorgebliche konzeptionelle Prämisse zu nichts führt. Alles wirkt flach in den Geschichten, die Lanthimos erzählt, und hat nur wenige Anknüpfungspunkte zum realen Leben unserer Gegenwart, in der der Film spielt.
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Yorgos Lanthimos ist Kontrollfreak und Rebell zugleich. Der neue Star des internationalen Autorenkinos erzählt surreale Geschichten von kindischen Erwachsenen an phantastischen Orten. Von Menschen, die mit Verlust umgehen müssen und unerfüllte Sehnsüchte haben. Zugleich sind seine Filme voller schwarzem Humor. Mit diesen Elementen baut er seinen eigenen Kosmos.
Lange Zeit war der 1973 geborene Grieche nur eine skurrile Randfigur der Filmszene. Nach den Gewinnen des Goldenen Löwen und von vier Oscars für Poor Things gehört er zur Spitze der internationalen Autorenfilmszene.
In seiner Generation der gut 50-jährigen ist er der große Kontrapunkt zu Ruben Östlund oder Bong Jon-hoo.
Lanthimos ist ein großer Schauspielregisseur, und immer wieder gelingt es ihm, auch für kleinere Rollen große Namen zu gewinnen: Nicole Kidman, Léa Seydoux, Rachel Weisz, Emma Stone, Colin Farrel, Willem Dafoe. In seinen Filmen spielen diese dann aber keine psychologisch ausgefeilten Charaktere, sondern Figuren, Symbole, puppenhafte Wesen, bei denen es sich auch um technisch avancierte Automaten handeln könnte, oder um dressierte Affen, um Avatare des Regisseurs und seines Publikums.
Er erzählt nicht unbedingt von Menschen, auch nicht von psychologischen Triftigkeiten, sondern von Verhältnissen und anthropologischen Konstanten. Er ist der Regisseur des Anthropozän, in dem die Menschen nicht als Subjekte einer Natur gegenüberstehen und mit ihr in ein dialektisches Verhältnis treten, sondern in dem auch alle Umwelt menschengemacht und künstlich erscheint.
Archetypischen, mythologisch aufgeladenen Konstellationen begegnet man oft in Lanthimos' Filmen. Sie handeln von Familienstrukturen, mörderischen Eltern, gewalttätigen Gatten, Selbstmörderinnen, überhaupt von harter Gewalt. Sie greifen offen klassische Mythen auf: Platons »Höhlengleichnis« in Dogtooth (2009), die »Ilias« und »Odyssee« in The Lobster (2015), »Iphigenie« in The Killing of a Sacred Deer (2017), Euripides »Bakchen« in The Favourite, »Frankenstein« in Poor Things.
Universelles wird aber meist zum Thema, um es infrage zu stellen oder der Lächerlichkeit preiszugeben. Humor ist Lanthimos wichtig. Seinen Filmen ist dabei eine verdrehte Mischung aus spezifischer, absurder und oft unangenehmer Komik und Augenblicken schockierender Gewaltausbrüche oder Horror-Elemente eigen.
Gemeinsam ist den Filmen ihr Ton, ihre Atmosphäre und ihre Machart, sowie bestimmte handwerkliche Eigenarten, die auf die Zuschauererfahrung zurückwirken. Lanthimos mag Zeitlupen, und er mag eine bewegliche, dabei aber ruhig geführte Handkamera. Er wählt gern Kameraeinstellungen, die den Figuren die Köpfe am Hals abschneiden und deswegen nur die Körper, vor allem die Hände der Abgebildeten zeigen. Die Sprache dieser Hände ist besonders wichtig für den Regisseur.
Eine
weitere stilistische Eigenheit sind die hellen, kalten Farben, naturalistischer Beleuchtungsstil, und klare Linien, die den Bildern eine symmetrische, geometrisch harmonische Ordnung geben.
Schließlich das sehr bewusst »steife«, »trockene«, eben puppenhafte – oder im Gegenteil: kindlich insistierende, jedenfalls aber nicht »erwachsene« – Spiel und das monotone, auch anderweitig »unnatürliche«, »automatenhafte«, mitunter im »Screwball«-Stil beschleunigte
Sprechen der Darsteller, kombiniert mit absurden Dialogpassagen, in denen Monomanie und Wiederholung so feste Bestandteile sind, wie der Verzicht auf oberflächlich erkennbare Emotionen.
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»Empirie anstatt Emotionen!« proklamiert der von Willem Dafoe gespielte Dr. Godwin Baxter in Poor Things. Lanthimos' Filme sind sämtlich kalkulierte soziologische wie ästhetische Versuchsanordnungen. Zugrunde liegt eine streng überwachte, kontrollierte Ordnung. Sie wird allerdings ebenso geplant irritiert und infrage gestellt. Doch der Ausbruch in Dogtooth oder The Lobster schafft die Ordnung nicht ab, sondern erkennt sie an, oder setzt sie – wie die Rebellion der Abigail in The Favourite – anders wieder ein. Auch in Poor Things ist Bella zwar ein dekonstruktives Moment, das alles durcheinanderwirbelt. Aber doch nur, um am Ende selbst als Forscherin und Anhängerin der positivistisch-empirischen Wissenschaft in privilegierter Stellung ihren Anteil am System zu erhalten, und dieses so zu bestätigen.
Nach Poor Things – keineswegs ein schlichter feministischer Bildungsroman – liegen Analogien zur »Frankenstein«-Geschichte nahe.
Ist Lanthimos aber nun selbst eher eine kinematographische Mary Shelley, die kreativ-verspielt den versteckten Geheimnissen ihrer Zeit auf den Grund gehen möchte, und allzu homogene Bilder in Unordnung bringt oder eher ein Dr. Frankenstein des Films, der durch die Kombination heterogener Teile Chimären erschafft, und Allmachtsphantasien auslebt?
Die Antwort gibt sein neuer Film leider noch nicht.
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Lanthimos will in Kinds of Kindness auf die effekthascherische Seite von »Poor Things« zugunsten eines vergleichsweise nüchternen Films verzichten, ohne Fischaugen-Kameraeffekte und CGI, aber weiterhin mit sozialen Grausamkeiten.
Wie immer bei Lanthimos ist der Film letztlich auf nichts als seine eigene Lanthimos-Welt zugeschnitten, als wäre das Leben der Menschen nichts anderes als eine Reihe von Spielen, deren Regeln uns Zuschauern allerdings unbekannt sind – und genau hier liegt der Unterschied zu postmodernen Aufklärern wie Peter Greenaway, der uns über die Unvernunft der Vernunft nachdenken ließ. Lanthimos macht hingegen nur zynische Witze. Er will provozieren, um sich selbst interessant zu
machen.
Alles nimmt die Form einer sinnleeren narrativen Dekonstruktion und, wenn überhaupt, einer Reflexion über die demiurgische Funktion des Erzählers an: Ein gnadenlos vorgezeichnetes Programm, ein vollständig geskripteter Film, der ohne Gnade oder Mitgefühl voranmarschiert.
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Lanthimos-Fans verzeihen ihrem Meister alles, auch einen Film wie diesen. Der Rest bleibt, inzwischen etwas ratlos, enttäuscht oder verärgert über einen Regisseur zurück, der sich längst zum eitlen Poseur entwickelt hat, der seine Masche endlos variiert, dessen Filme dafür aber von Mal zu Mal leerer werden.
Das Effekthascherische des Films kommt durch Lanthimos' Lieblingsgebiet: Das Kino der Grausamkeit. Der Meister lässt hier seine Muse Emma Stone ihren Finger abschneiden (selber, mit einem Küchenmesser), und dann isst die eklatante Fehlbesetzung Jesse Plemons ihre Leber. Später wird sie unter Drogen gesetzt und vergewaltigt.
In der dritten Episode nimmt sie einen naiven kleinen Hund und schneidet ihm ein Bein ab, um ihn zu einer Tierärztin zu bringen, den sie dann unter
Drogen setzt und fast tötet.
Jesse Plemons ist die eklatante Fehlbesetzung unter Hauptdarstellern, weil es ihm an Mitteln fehlt, und er nicht in der Lage ist, das zu leisten, was die ihm hier zugewiesenen Rollen erfordern.
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Manchmal glaubt man, Lanthimos maskiere sich als Cronenberg. Der Filmemacher filmt alles aus einer klinischen Distanz und mit einer eisigen Kälte. Anstelle von Menschen wirken die Figuren wie Marionetten, die mit einer unechten, unnatürlichen Diktion Dialoge deklamieren, die eine gewollte Fremdheit transportieren sollen, die die Schauspieler aber zu bloßen Transmissionsriemen des Drehbuchs degradieren, zu seelenlosen Automaten. Lanthimos porträtiert keine Menschen, sondern Dominosteine, die er nach Belieben verschiebt oder umstößt. Und wenn er beabsichtigt, Menschen zu porträtieren, dann wird es noch schlimmer.
Kinds of Kindness folgt der inzwischen zur Routine gewordenen Lanthimos-Masche der wohltemperierten, in lakonisch-trockener Sprache und gleichmütig-ausdrucksarmem Spiel dargereichten, eiskalten Grenzüberschreitung. Dies ist ein Kino über Wohlstandsverhältnisse für Wohlstandsbürger, die hier über ihre eigene Infantilität schmunzeln dürfen, ohne in ihrem Alltag nachhaltig irritiert zu werden.
Was Kinds of Kindness
wirklich zeigt, ist eine hochmütige Verachtung des Schöpfers für seine Geschöpfe.