USA 2021 · 145 min. · FSK: ab 12 Regie: Reinaldo Marcus Green Drehbuch: Zach Baylin Kamera: Robert Elswit Darsteller: Will Smith, Aunjanue Ellis, Saniyya Sidney, Demi Singleton, Tony Goldwyn u.a. |
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Keine Gebrauchsanweisung für die Erziehung von Spitzensportlern | ||
(Foto: Telepool/Paramount) |
»It feels so good to be alive
Got all my family by my side
Couldn’t wipe this black off if I tried
That’s why I lift my head with pride« – Be Alive, Beyoncé»I don’t want to be put on a pedestal. I just want to be reasonably successful and live a normal life with all the conveniences to make it so. I think I've already got the main thing I've always wanted, which is to be somebody, to have identity. I’m Althea Gibson, the tennis champion. I hope it makes me happy.« – Althea Gibson, erste afroamerikanische Wimbledongewinnerin
Ein Gedankenspiel: In Deutschland erscheint der Film »König Peter« und handelt von den Anfängen der Karriere Steffi Grafs. Wir sehen die dreijährige Steffi, wie sie von ihrem ehrgeizigen Vater, gespielt von Matthias Schweighöfer, im kleinen Ort Brühl trainiert wird. Der Film endet am 6. Juni 1987, wo sie in Paris ihren ersten Grand Slam-Titel gewinnt und ihren Vater weinend in die Arme schließt. Wincent Weiss hat dazu den Titelsong »Stahlherz-Steffi« komponiert: Der German Dream.
Während dieser Film aber bisher nicht gedreht wurde, schickt sich King Richard von Reinaldo Marcus Green gerade an, mit sechs Nominierungen die diesjährige Oscarverleihung zu rocken. Er erzählt einen der vielen American Dreams, die Geschichte von Richard Williams, dem Vater von Serena und Venus Williams, der seine Töchter aus dem für seine Armut und Kriminalität berüchtigten Compton (Vorort von Los Angeles) zu zwei der besten Tennisspielerinnen aller Zeiten formte. Gespielt wird er von Will Smith, was dem Film nicht nur in den USA eine gigantische Aufmerksamkeit in den Medien und an den Kinokassen garantierte.
Der Film ist ein packendes Sportlerdrama, das sein Gewicht aber nicht auf die großen Kämpfe auf dem Tennisplatz legt (wie etwa Borg vs. McEnroe), sondern auf das Familienleben der Williams’ in Compton und die Erziehungsmethoden des Vaters. Das Drehbuch für King Richard stammt von Zach Baylin. Dieses landete im Jahr 2018 auf der Black List der besten unverfilmten Ideen Hollywoods, welche beliebte, jedoch noch nicht verfilmte Drehbücher auflistet. Die Emotionen verstärkt der Soundtrack von Kris Bowers, nicht zuletzt durch den Original-Song »Be Alive« von Beyoncé.
Williams hat eine ganz genaue Vorstellung davon, wie er die zwei leiblichen Töchter, die er mit seiner zweiten Ehefrau Oracene Price bekommen hat, welche bereits drei Töchter in die Ehe brachte, zur absoluten Weltspitze führen will. Er verfolgt diesen auch schriftlich verfassten Plan mit knallharter Disziplin und Konsequenz und der sportlichen und mentalen Unterstützung durch seine Frau. Mantraartig wiederholt Williams sein »Ihr seid Champions«, zunächst auf den öffentlichen Plätzen in Compton, wo Venus und Serena mit vier Jahren anfangen zu spielen, später auf den Courts in der Tennisschule von Rick Macci in Kalifornien. Anders als andere Tennisväter ist er nicht bereit, die Kontrolle über die Trainingsmethoden und die Entscheidung, wann seine Töchter die ersten Turniere spielen, abzugeben, was den Trainer Rick Macci in die Verzweiflung treibt. Williams’ Negativfolie ist die Karriere von Jennifer Capriati, auch trainiert von Rick Macci, welche mit 13 als erste Tennisspielerin ein Profiturnierendspiel erreichte und dann drei Jahre später abstürzte: Ladendiebstahl, Haft wegen Marihuanabesitz.
Beim Zuschauen dieses immer wieder sehr emotionalen Filmes ist man hin und her gerissen zwischen echter Bewunderung für diesen zielstrebigen Selfmade-Mann und dem Unbehagen gegenüber seiner totalen Kontrolle und sturen Besessenheit. Will Smith spielt diese Ambivalenz großartig. Zu Tränen rührt es, wenn er sich vor seine Töchter stellt, als ein jugendliches Gangmitglied sich zu sehr für Venus interessiert. Er lässt sich zusammenschlagen, aber nicht beirren. Das sind die Einblicke in die Verhältnisse in Compton, geprägt von Polizeikontrollen und Straßengewalt. Die Eltern Williams versuchen dagegen einen Familienzusammenhalt aus Beton zu bauen und den Weg in ein anderes Leben zu ebnen. Vielleicht ist dieser Zusammenhalt idealisiert dargestellt, und nicht jeder wird es gutheißen, dass Serena und Venus auf die Frage des Vaters: »Wer ist dein bester Freund?« in aller Selbstverständlichkeit mit »Daddy!« antworten. Die beiden Töchter scheinen auch überhaupt keine Chance auf persönlichen Freiraum oder Widerspruch zu haben, sie folgen den elterlichen Anweisungen in blindem Gehorsam. Nur einmal meldet sich Serena heimlich bei einem Turnier an, weil sie es als Jüngere einfach nicht mehr ertragen kann, dass nur die ein Jahr ältere Venus dort spielen kann. Damit ist man natürlich bei einer der pädagogischen Kernfragen des Films und generell des Leistungssports: Wie viel Druck darf ich auf mein Kind ausüben, um es zur Spitzensportkarriere zu führen? In King Richard wird diese Frage recht deutlich mit »sehr viel Druck« beantwortet. Der Erfolg scheint den Eltern rechtzugeben. Wenn man Serena Williams vor drei Monaten bei Jimmy Kimmel auf dem Gästesofa erlebt hat, gewinnt man den Eindruck, dass die heute 40-Jährige völlig im Reinen mit ihrer Kindheit und ihrem strengen Drill ist. Vielleicht trugen das Umfeld der Geschwister, vor allem die loyale Beziehung zu ihrer Schwester Venus, der Schutz und die Liebe der Eltern und die Begeisterung für den Sport zur erfolgreichen Karriere und Lebensgestaltung bei.
Auf jeden Fall feiern die Williams-Schwestern die Verfilmung ihrer Kindheit (Entertainment Weekly), vor allem auch wegen Will Smith und den offensichtlich kongenialen Verkörperungen ihrer Personen durch Saniyya Sidney und Demi Singleton. Wie hart der Druck auf dem Weg zum Tennisstar sein kann, erfährt man also nicht in diesem Film, sondern eher aus Büchern wie Rafa. Mein Weg an die Spitze: Die Autobiografie von Rafael Nadal oder das äußerst lesenswerte Open: Das Selbstporträt von Andre Agassi. Hier werden auch die Leiden des steinigen Weges aus der Sicht der Kinder thematisiert, die Folgen der Gnadenlosigkeit des Onkels oder Vaters, was im Film fast komplett wegfällt. Wie geschönt ist diese Filmbiografie also? Wie ehrlich und differenziert kann ein Film sein, der auch die wichtige politische Botschaft transportiert, dass es eines unerschütterlichen Glaubens und einer eisernen Disziplin bedarf, um schwarze Mädchen aus Compton zu Siegerinnen in einer von Weißen dominierten Sportart zu machen?
Will Smith selbst erzählt in »Entertainment Weekly«, dass er diesen Film gemacht habe, um die beeindruckende Leistung der ganzen Familie zu ehren. Schon in Ali (2001), einem der besten Sportfilme aller Zeiten, hatte er dem Aufstieg eines schwarzen Jahrhundertsportlers sein Gesicht geliehen, wobei der damalige Film aufgrund der Haltung Muhammad Alis natürlich wesentlich politischer war. Richard Williams selbst hat nach dem ersten Sieg seiner Tochter in Wimbledon im Jahr 2000 »Straight Outta Compton!« gerufen, auf einen Song der Gruppe N.W.A aus Compton anspielend. Er hat diesen sozialpolitisch-gesellschaftlichen Zusammenhang des Erfolges wohl immer gesehen. Dass er damit nicht allein steht, zeigen auch die vier Nominierungen für die African-American Film Critics Association Awards. Venus Williams war im Jahr 2000 übrigens nicht die erste afroamerikanische Spielerin, die Wimbledon gewinnen konnte. Althea Gibson war dies schon 1957 und 1958 gelungen. Ihr Weg, der sie nach ihrer Tenniskarriere auch zum Profi-Golf führte, war noch viel stärker von rassistischen Widerständen geprägt. Bis 1950 durfte sie zum Beispiel nicht gegen weiße Gegnerinnen spielen (Althea Gibson – Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin, von Bruce Schoenfeld, 2021).
Vielleicht ist es aber auch eine sehr europäische Sichtweise, allzu schönen Erfolgsgeschichten zu misstrauen. Ein deutscher Film über die fantastische Karriere von Steffi Graf würde zumindest die Steuerverstrickungen von Peter Graf thematisieren, wie in dem reißerischen Buch Reiche Steffi, armes Kind. Die Akte Graf von Brinkbäumer/Leyendecker/Schimmöller (1996). Sicher hätte man den Film über die Williams-Schwestern, vor allem bezüglich des Vaters, kritischer anlegen können. Allein das Privatleben von Richard Williams vor und nach den großen Erfolgen hätte da einiges hergegeben.
Als Gebrauchsanweisung für die Erziehung zu Spitzensportlern sollte man den Film allerdings nicht verstehen. Dafür gibt es unter anderem Bücher wie Ich will nach Wimbledon: Der Tenniseltern-Ratgeber von Stephan Medem. Aktuelle Beispiele wie das Schicksal der ehemaligen Nummer-Eins-Tennisspielerin Naomi Osaka, die eine mehrmonatige Pause einlegte und Depressionen eingestand, sollten zur Vorsicht mahnen, wenn es um die Lebensgestaltung junger Sportlerinnen geht. Ein weiteres trauriges Kapitel zum Thema »Wunderkinder des Sports« schrieb vor kurzem der Dopingfall der 15-jährigen russischen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa bei der Winterolympiade in Peking.
King Richard ist ein vielsagender, Shakespeare-Dramen assoziierender Titel für diesen Film und eine vieldeutige Aussage über Richard Williams, die sowohl Bewunderung für seinen Erfolg und seinen Einfluss beinhalten kann als auch Kritik an seiner Selbstherrlichkeit und seinem autoritären Stil. Auf jeden Fall ist es eine interessante und lohnende Idee, die Geschichte der erfolgreichen Tennisschwestern aus der Perspektive des Vaters zu erzählen.