Großbritannien/AUS/USA 2010 · 119 min. · FSK: ab 0 Regie: Tom Hooper Drehbuch: David Seidler Kamera: Danny Cohen Darsteller: Colin Firth, Geoffrey Rush, Helena Bonham Carter, Guy Pearce, Timothy Spall u.a. |
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Groschenromanfantasie |
Eine Thron-Schmonzette und Groschenromanfantasie: Der traurige Prinz wir mit Hilfe eines Mannes von der Straße zum großen König. Eine Art umgedrehter Pygmalion. Colin Firth und Geoffrey Rush sind gut, der Rest unbeeindruckend, aber kurzweilig.
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Weil Hollywood heute Teil einer längst reaktionären ideologischen Industrie ist, sind die Aschenputtel von heute nicht mehr die kleinen Angestellten und Dienstboten, sondern die armen Reichen und armen Prinzen der Königsfamilien. Also: Es war einmal ein armer hässlicher Prinz, der hatte viele Fehler. Sein Bruder war viel schöner und erfolgreicher als er, doch eines Tages lernte er seine Fehler abzulegen und wurde viel glücklicher als sein Bruder, und dann sogar König. Natürlich ist dieser Film auch ein »Historienfilmkasperletheater«, wie Ekkehard Knörer in der taz behauptet – aber das wusste er doch bestimmt schon vorher. Es ist sogar noch mehr: Plumpe Monarchiepropaganda, ideologisch belastet. Was will man auch anderes erwarten, wenn Hollywood sich der Monarchie annimmt. Natürlich ist dies ein Formelfilm, in dem man Menschen beim Streiten zugucken muss, obwohl von Anfang an klar ist, dass sie beste Freunde werden müssen.
Natürlich ist dieser Film auch küchenpsychologischer Quatsch, wenn er Bertie, also Prinz Albert von York stottern lässt, weil er im Schatten seines Bruders steht, als Kind Metallschienen am Bein tragen musste und von seinem sadistischen Kindermädchen gequält wurde. Was The King’s Speech aber von The Queen unterscheidet, ist, dass er das Königtum als Konstruktion entlarvt.
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Radio killed the Monarchy-Star.
»Früher, da mussten wir uns nur auf Pferderücken gerade halten, und einigermaßen eine gute Figur machen. Jetzt sind wir dazu verpflichtet, uns in die Wohnräume der Menschen zu begeben, uns bei ihnen einzuschmeicheln. Wir sind zu der würdelosesten Lebensform degradiert worden, die es gibt, der des Schauspielers. Denn heute gibt es das Radio.« Mit den neuen Medien hatten die Menschen schon immer ihre liebe Not. Auch wenn sie Könige sind.
Und in den 20er Jahren hießen die neuen Medien noch nicht Internet, Facebook und YouTube, sondern Radio. Da hörte auch das gemeine Volk plötzlich, wie einer redete und der Klang der Stimme konnte Beruhigung ausstrahlen oder Angst machen, und war für Menschen in der Öffentlichkeit so wichtig, wie heute ihr Aussehen. Der Satz vom Anfang stammt von Georg V. von England, dem Monarchen der den Wechsel zur Radioära erlebte. Er fällt in The King’s Speech, einem Film,
dessen Qualität man erst dann richtig versteht, wenn man ihn sieht. Denn dies ist, um es gleich einmal vorweg zu sagen, der bisher beste Film im neuen Kinojahr. Man muss das so betonen, denn wenn man hört, worum es geht, klingt das nur deshalb attraktiv, weil immerhin Colin Firth die Hauptrolle spielt: Er ist »Bertie«, der Sohn des Monarchen, und stottert. Das ist schlecht fürs Radio, aber nicht so schlimm, weil ja sein älterer Bruder König werden wird, und Bertie daher sowieso nicht viel zu
sagen hat.
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Alles wird anders, als im Januar 1936 George V. stirbt, und der Kronprinz als Edward VIII. sein Nachfolger wird. Hitler bedroht bereits den Kontinent, das Empire wankt und braucht eine starke Identifikationsfigur. Die will der neue König aber nicht sein, denn der bisherige Party-Prinz interessiert sich vor allem fürs schöne Leben und kühle Drinks, und auch für Lady Simpson, die als Geschiedene nicht Königin werden kann. Eine Heirat bedeutete die Abdankung, und die wäre ein Horror für den Hof, denn Bertie ist zwar ein netter, herzensguter Mensch, aber für den Thron nie ausgebildet worden. Und viel schlimmer: Er stottert unglaublich.
The King’s Speech ist nun die Geschichte dieses turbulenten Jahres und der folgenden, und des schnellen Reifeprozeß' jenes Bertie, der als Georg VI. König wurde und England durch den Krieg führte, bevor kurz darauf seine Tochter Elisabeth Königin wurde. Die zwei anderen wichtigen Figuren neben diesem König sind sein Sprachlehrer Lionel Logue und seine Frau Elizabeth, die wir alle als »Queen Mum« kennen. Helena Bonham Carter spielt sie, die für ihren geliebten Gatten einen Sprachlehrer engagiert. Den spielt Geoffrey Rush, der den König mit unorthodoxen Methoden zu einem leidlich guten Redner macht – sein Vorbild: Hitler. Vor allem ist dieser Sprachlehrer aber ein »Mann von der Straße«, der erste, mit dem der König jemals Kontakt hat. Es entsteht eine Freundschaft, man singt und flucht – das Leben selbst ist die Therapie. Und die Respektlosigkeit des Australiers: »Inhalieren Sie keinen Rauch in die Lunge, das kann Sie töten.« – »Meine Ärzte sagen, es entspannt die Rachenmuskeln.« – »Sie sind Idioten.« – »Sie wurden alle geadelt.« – »Dann ist es ja amtlich.«
Diese Passagen sind besonders schön und wohlig, gerade darin aber auch die ideologischsten: Denn sie suggerieren, es gäbe so etwas wie Volksnähe wirklich, als wäre Könige Menschen »wie Du und ich«. Der Schwachpunkt des Monarchen, das Stottern, wird zum Verstärker seiner Legitimation. Reiner Sozialkitsch. So schlägt sich The King’s Speech sympathisierend auf die Seite des Königshauses und behauptete es als Institution, die auch in einer Demokratie angeblich Wert besitzt.
Der Regisseur von alldem ist Tom Hopper, der erst 39 Jahre alt ist, und bereits mit The Damn United einen sehr guten und ungemein witzigen Film gemacht hat, den bei uns aber kaum jemand sah, weil er – eine Bestsellerverfilmung, der Michael Sheen (The Queen) den legendären Fußballmanager Brian Clough spielt – bei uns nur auf DVD zu sehen war. Mit Steven Frears The Queen hat dieser Film dagegen allerhand gemeinsam, obwohl ausnahmsweise mal nicht der dauerbeschäftigte Peter Morgan das Drehbuch geschrieben hat: Ein modernes Königsdrama mit viel Witz und viel historischen Fakten.
Mit letzteren nimmt es der Film nicht allzu genau, Churchills Rolle wird völlig verfälscht, ansonsten Widersprüchliches und Störendes wird schön rausgeglättet: Ob nämlich Edward VIII. wirklich Thronverzicht aus Liebe geübt hat, ist unter den britischen Geschichtswissenschaftlern umstrittener, als man denkt: Eduard soll Nazi-Sympathien gehegt und mit Adolf Hitlers Regime konspiriert haben, lautet eine Theorie. Für die spricht, dass seine Ehefrau, die Amerikanerin Walli Simpson ihre eigenen Beziehungen zu hohen Vertretern des NS-Regimes hatte – wenn auch die Gerüchte um eine Affaire mit dem späteren Reichsaußenminister von Ribbentrop wohl eher unzutreffend sind.
Alles läuft auf die Rede zu, mit der Georg VI., sein Volk auf den Krieg gegen Nazi-Deutschland einstimmt. Es ist ein geschichtsträchtiger Augenblick, dessen Geschichtsträchtigkeit noch zusätzlich gesteigert wird durch Beethovens sehr schönen, sehr pathetischen zweiten Satz der 7. Symphonie – eines der schönsten Stücke klassischer Musik überhaupt.
Der Film, der die Oscars gewinnen wird.
Allerdings ist The King’s Speech noch besser, witziger und in mancher Hinsicht viel subversiver: Er zeigt nämlich die Wirklichkeit hinter der öffentlichen Persona, die banale Wahrheit hinter monarchischem Glanz, die Macht als Inszenierung und guter Wille zum Schein. Er zeigt Monarchie und ihre Legenden als Produkt einer Mediengesellschaft – nicht erst heute sondern schon immer. Es stimmt als
nicht, was Alexanbder von Schönburg, der es besser wissen müsste schreibt: »Er legt mit chirurgischer Präzision das Dilemma des modernen Königtums frei: Die Unvereinbarkeit von königlicher Erhabenheit mit der Pflicht, sich mit den Massenmedien zu verbünden.«
»Mit chirurgischer Präzision« ist eh ein abgegriffenes Bild. Hätte ihnen ihr Hauslehrer beibringen sollen. Insofern ist dieser Film nicht nur ein Buddy-Movie und auch nicht allein ein neues Behindertendrama –
das ist er allerdings auch.
Wie er das macht ist großartig, hoch unterhaltsam und mit sehr guten Gründen geht The King’s Speech in ein paar Wochen mit zwölf Nominierungen als klarer Favorit in die Rennen um die, natürlich vor der Filmgeschichte weitgehend belanglosen, den Boulevard um so mehr faszinierenden Oscars. »Bester Film« und »Bester Hauptdarsteller«. Wetten das?