Killing Them Softly

USA 2012 · 97 min. · FSK: ab 16
Regie: Andrew Dominik
Drehbuch:
Kamera: Greig Fraser
Darsteller: Brad Pitt, Scoot McNairy, Ben Mendelsohn, James Gandolfini, Vincent Curatola u.a.
Amerika ist kein Land, sondern ein Geschäft

Es macht keinen Spaß mehr...

»I know many Americans have questions tonight: How did we reach this point in our economy? How will the solution I propose work? And what does this mean for your financial future?
These are good questions, and they deserve clear answers.«
(US-Präsident George W. Bush, 24.9.2008)

Von Thomas Jeffer­sons Sklaven zu Obama: Andrew Dominiks Killing Them Softly zeigt die »US of fucking America« als verrot­teten Ort und als Geschäft. Es gibt keine Werte mehr, höchstens noch Regeln. Dies alles wird, inklusive einer Reihe von Morden, in diesem Mafiafilm in Bilder von poeti­scher Schönheit gegossen. Immer wieder fängt die Kamera Spie­ge­lungen ein, täuscht über Perspek­tiven, arbeitet mit Über­blen­dungen, Pastiches und Unschärfen. Inhalt­lich wieder geht in diesem Film immer wieder um die abge­ris­sene Verbin­dung zwischen denen, die die Verant­wor­tung tragen, und denen, die mit den Ergeb­nissen leben müssen. Moral: »Oh for fuck sake, this country is fucked.«

»When a man comes around«, singt Johnny Cash, und Brad Pitt steigt aus einem Flugzeug. Er spielt einen Killer. Ein Gangster wird von Gangstern ange­heuert, um Gangster zu töten, die von den falschen Gangstern Geld gestohlen haben. Das ist zwar nicht der Beginn von Killing Them Softly, aber der Kern der Handlung. Zuvor haben wir zwei Dilet­tanten dabei zugesehen, wie sie einen illegalen Glücks­spiel­salon ausraubten. Dessen Betreiber heißt Markie Trattman, und wird von Ray Liotta (Good­fellas) ganz großartig gespielt. Während des Raubes spricht er einen der Räuber an: »I hope that you know what you are doing. ... You know that they will kill you? That does not have to happen.« Aber es passiert, und davor wird auch Markie auf der Strecke bleiben, weil er seinen Laden nicht im Griff hatte.

Die ameri­ka­ni­sche Mafia als desor­ga­ni­siertes Verbre­chen. »In the US of fucking America, the whole game is run by criminals anyway«, meint Brad Pitts Auftrags­mörder. Im Radio spricht derweil Präsident George W. Bush: »We've seen triple-digit swings in the stock market. Major financial insti­tu­tions have teetered on the edge of collapse, and some have failed. As uncer­tainty has grown, many banks have restricted lending, credit markets have frozen, and families and busi­nesses have found it harder to borrow money…« Es ist Herbst 2008, kurz vor der Präsi­dent­schafts­wahl, aus der Obama als Sieger hervor­ging, und man kann, wenn man sich die Mühe macht, im Internet ziemlich genau die Tage rekon­stru­ieren, an denen dieser Film spielt. Immer wieder hört irgend­je­mand Radio, immer wieder schaut irgendwer fern, sodass die Reden von Bush und Obama im Herbst 2008 die ganze Handlung grun­dieren und begleiten. Und kommen­tieren.

Geredet wird auch sonst sehr viel, und während dieser neue Film vom Austra­lier Andrew Dominik (dem Regisseur von Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford) seine kleineren Längen hat, und im Prinzip wenig Über­ra­schungen bietet, ist er zugleich sehr unter­haltsam, wenn man Lust hat zuzuhören, und sich auf den hard-talk der hard-guys einzu­lassen, der Mobs, die ihre Jobs erledigen. Im Zentrum stehen regel­mäßige, sehr witzige, lakonisch-absurde Dialoge à la Pulp Fiction zwischen einem Sekretär der Mafia, gespielt von Richard Jenkins, und dem von Brad Pitt gespielten Auftrags­killer. Diese Dialoge laufen zum Beispiel am Anfang so: »What do you want me to do?« fragt Pitts Jackie Cogan. »Talk to him!« – »What does that mean?« – »Well, talk to him« – »A beating?« – »Well, not neces­sa­rily« – »Ah… he’s gonna be hit, and we know it. The guys on the street think he’s done something, and he’s gonna going away with it with a beating. He' gonna be hit.« – »I see what you mean. The public angle… But murder... it’s ugly« – »Oh for fuck sake« – »But… You don’t know them… the people, I work for... they are no deci­si­onma­kers... like retarded...« – »Oh for fuck sake, this country is fucked.«

Gespräche dieser Art sind das Herz des Films. Außer Pitt und Jenkins muss man noch James Gandol­fini (»Sopranos«) nennen, der jenen »Mickey? You mean New York Mickey?« spielt, der dann irgend­wann von Pitt einge­flogen wird, um einen Teil der Jobs zu erledigen – wir sind im Zeitalter der Arbeits­tei­lung.

Dazu kommt noch die besondere, sehr gut gewählte Musik: Nico und Velvet Under­ground singen »Heroin«, eine moderne Stimme singt »In the windmills of my mind«, Michel Legrands Titelsong aus The Thomas Crown Affair, und dann hört man Schlager aus der Depres­si­ons­zeit: Cliff Edwards' »It’s Only A Paper Moon« und »Life is Just a Bowl of Cherries« von Rudy Vallee.

Jenseits solcher ästhe­ti­schen Mehrwerte, mit denen man diesen Film gut aushält, fehlt Dominik aber ein wirk­li­cher Gedanke. Was will er mit diesem Film? Was will er mit dem Gangs­ter­genre? Für witzige Killer ist das alles fast 20 Jahre zu spät: 1994 gewann Pulp Fiction die Goldene Palme. Man kann natürlich sagen, wie in Die Ermordung des Jesse James… ist dies wieder ein Film über die Über­le­gungen und das Zögern vor einem Mord, darüber, wie lange es dauert, wie viel gear­beitet und vor allem geredet werden muss, bis man endlich einen Menschen umbringen kann. Und darum, wie sinnlos dies manchmal ist, wie einer eigent­lich nur getötet wird, um die Erwar­tungen anderer Leute nicht zu enttäu­schen. Nehmen wir nochmal Markie, den Ray Liotta in seinen paar kurzen Auftritten ungemein eindrucks­voll und prägnant auf die Leinwand bringt – eine Figur, die sich ins Hirn einfräst. Er muss sterben, obwohl alle Einge­weihten wissen, dass er mit dem Überfall nichts zu tun hat. Er wird getötet, weil die Leute glauben, dass er etwas damit zu tun hat, egal ob er es wirklich war.

Killing Them Softly ist ein Portrait der Mafia, das so ungla­mourös ist wie nur möglich, und alle Mafia­my­then sarkas­tisch aushebelt. Diese Mafia ist spießig und büro­kra­tisch, sie streitet um Selbst­be­tei­li­gung bei Anfahrts­kosten, um die Qualität der für die Killer gebuchten Hotels – drei Sterne, oder vier? – und braucht für jeden ausge­ge­benen Tausender ein eigenes Formular und eine Geneh­mi­gung: »A grand? Jesus, I need auto­ri­sa­tion ... Please don’t smoke in my car.«

Frauen gibt es in diesem impli­ziten Abgesang auf Obamas Wahl­ver­spre­chen übrigens fast gar nicht, außer als Prosti­tu­ierte und als Gesprächs­thema der Männer. Immerhin tut Dominik nicht einmal mehr so, als hätten Frauen hier noch etwas anderes zu suchen. Einmal mehr zeigt ein Hollywood-Film reine Männer- und Väter­welten.

Die Paral­le­li­sie­rung der Film­hand­lung und der Mafia­ver­bre­chen mit der Hochphase der Finanz­krise 2008 und der US-Politik ist in gewissem Sinn schlicht, aber sie ist wirkungs­voll. Eigent­lich liegt dem Drehbuch ein Roman des ehema­ligen Staats­an­walts George V. Higgins zugrunde, der 1974 spielt, kurz nach der Watergate-Affaire. Wie damals erscheint es auch heute völlig einleuch­tend, wenn dieser Film ein voll­kommen destruk­tives Bild Amerikas zeigt, ein Panorama freud­loser Effizienz: Es macht keinen Spaß mehr, nichts, nicht das Geld­aus­geben und noch nicht mal das Töten von Leuten. Auftrags­killer fliegen nicht mehr Business-Class, sondern Economy. »Oh for fuck sake, this country is fucked.« Und am enttäu­schendsten ist die Politik der vermeint­li­chen Progres­siven. Am Ende des Films ist im Fernsehen Obama zu hören, der gerade gewählt wurde: »We are all equal.« Brad Pitt stöhnt. Dann redet er über Thomas Jefferson, die Sklaven, die er hatte und über Doppel­moral. Seine Rede und damit der Film endet mit folgenden Sätzen: »Du willst mir erzählen, dass Gemein­sinn zählt? Bring mich nicht zum lachen. Wir leben in Amerika. Amerika ist kein Land, es ist ein Geschäft.«