Japan/F/D 2015 · 109 min. · FSK: ab 0 Regie: Naomi Kawase Drehbuch: Naomi Kawase Kamera: Shigeki Akiyama Darsteller: Kirin Kiki, Masatoshi Nagase, Kyara Uchida, Miyoko Asada, Etsuko Ichihara u.a. |
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Essen isst Geschichte |
Frühling, Kirschblütenzeit in Japan. Sentaro ist Koch und betreibt tagein, tagaus einen kleinen Imbiss. Seine Spezialität sind Dorayaki, jene Pfannkuchen, die mit »An« gefüllt werden, einer rotbraunen süßlichen Bohnenpaste – und ein japanisches Nationalgericht.
Sentaro will nicht viel reden, man spürt, dass er sich gestört fühlt, wenn jemand ihm zu nahe kommt. Erst recht, als Tokue auftaucht, eine schrullige alte Dame, die sich auf seine Anzeige für eine Teilzeitkraft meldet.
Aber er will die alte Frau nicht anstellen, erst recht, als sie ihm erklärt, seine Paste sei nicht gut. Aber die Alte insistiert, hartnäckig und überzeugt ihn schließlich, auch weil ihr eigenes selbstgemachtes An ungleich besser schmeckt als seins. So bildet sich mit ihnen ein ungleiches Arbeitspaar: Tokue krempelt Sentaros Kleinbetrieb gehörig um und weiht ihn zudem in einige Geheimnisse des richtigen Kochens ein: Kochkunst brauche Zeit, erfahren wir, und vielleicht schmecken die Bohnen ja wirklich dadurch besser, dass man mit ihnen spricht?
Bald stehen lange Kundenschlangen vor Sentaros Imbiss. Doch mit dem Erfolg kommen auch neue Probleme. Die Freundschaft wird auf die Probe gestellt, doch beide werden sich auch menschlich eine große Hilfe.
Die zunächst unscheinbare Geschichte einer alten Frau, die dem Besitzer der Garküche mit ihren sinnlichen Rezepten zum Erfolg verhilft, bekommt bald noch eine weitere, tiefere Dimension und überraschende Wendung: Denn anhand der zunächst scheinbar nur ein bisschen sentimentalen Geschichte der Frau mit ihren verkrüppelten Händen erzählt die japanische Autorenfilmerin Naomi Kawase dann von der Geschichte der Lepra-Kranken in Japan; die Krankheit breitete sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal aus. Bis 1996 aus der Gesellschaft ausgeschlossen, war den Kranken gesetzlich verboten, Kinder zu bekommen. Sie wurden gezwungen, abgetrennt von allem sozialen Leben in Heimen zu leben. Kirschblüten und rote Bohnen ist mehr als nur eine Anekdote über soziale Verdrängung.
Es ist ein Plädoyer für Respekt und Toleranz für Minderheiten, in Japan immer noch nicht selbstverständlich. Einem Land, das mit allem, wofür sich die Gesellschaft schämt, Probleme hat – aber auch im Deutschland der sogenannten Flüchtlings-»Krise« der Erinnerung wert ist.
Immer wieder geht es Kawase auch um Generationenverhältnisse – hier kommt noch eine junge Schülerin hinzu, als Vertreterin ihrer Generation.
So wie in Kawases Meisterwerk Still the Water, der im Sommer ins Kino kam, ist es hier das Essen, das verbindet – egal ob in einem schicken Restaurant oder in einer kleinen Imbissbude, so wie in anderen Kinowerken. Man denke an Babettes Fest oder Eat Drink Man Woman.
Kawase erzählt im Wechsel der vier Jahreszeiten von Liebe und Tod, Kochen und Zen-Buddhismus, kleinen Weisheiten und japanischen Emotionen: Mal tief ins Herz treffend, dann wieder scheinbar reserviert – großartig: Japanische Gefühle gehen durch den Magen, und Kawase gelingt es, das Unsichtbare als sinnliche Erfahrung im Alltag spürbar zu machen.