Die kleine Hexe

Deutschland/CH 2017 · 103 min. · FSK: ab 0
Regie: Michael Schaerer
Drehbuchvorlage: Otfried Preußler
Drehbuch:
Kamera: Matthias Fleischer
Darsteller: Karoline Herfurth, Suzanne von Borsody, Momo Beier, Luis Vorbach u.a.
Familienfilm im besten Sinne oder Suppe ohne Würze?

127 ist doch kein Alter

127 Jahre ist für eine Hexe noch kein ehrwür­diges Alter, und deshalb darf sie in der Walpur­gis­nacht nicht auf den Blocks­berg zum Hexentanz kommen. Aber die kleine Hexe (Karoline Herfurth) tanzt und vergnügt sich so gern, also macht sie sich gegen den Rat ihres besorgten Gefährten, den spre­chenden Raben Abraxas auf den Weg und ist unver­se­hens mitten­drin im illustren Kreis der Berg-, Wasser-, Sumpf-, Nebel-, Wind- und Feuer­hexen, die in ihren fanta­sie­voll grusligen Gewändern ein Höllen­spek­takel machen. Doch schon bald wird sie von der Wetter­hexe Rumpumpel (Suzanne von Borsody), einer der bösesten alten Hexen, entdeckt und zur Oberhexe (Therese Affolter) zitiert. Die verweist sie des Platzes und befiehlt ihr, alle Zauber­sprüche, derer sind’s fast acht­tau­send, zu lernen und gibt ihr dazu das riesige Zauber­buch. Im nächsten Jahr kann sie zur Prüfung wieder­kommen. Nachdem sie das Buch mühsam in ihr Wald­häu­schen geschleppt hat – zur Strafe wurde auch noch ihr Hexen­besen zerbro­chen – ist die kleine Hexe redlich bemüht und es gelingt auch einiges, aller­dings hält sie sich nicht an die Regeln, zum Beispiel sieht sie nicht ein, dass freitags nicht gezaubert werden darf und vor allem, dass eine „gute Hexe“ keinen Kontakt mit Menschen haben darf und auch nur Böses zaubern muss. Die kleine Hexe aber hat ein Herz für die Kinder im Nach­bar­dorf und die armen Frauen im Wald, denen beim Holz­sam­meln geholfen wird. Als die böse Rumpumpel das heraus­findet, stellt sie der Hexenrat vor eine schwere Entschei­dung. Das nächste Walpur­gis­fest steht bevor und die kleine Hexe hat, ohne auf ihren Gefährten Abraxas zu hören, einen Plan gefasst, der dieses Fest für immer verändern wird.

Es ist schon erstaun­lich, dass ein so erfolg­rei­ches Kinder­buch wie Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“, das vor 60 Jahren erschienen ist und – in 47 Sprachen übersetzt – weltweit inzwi­schen einen Absatz von über fünf Millionen Exem­plaren verzeichnet, erst jetzt als deutsche Real­ver­fil­mung für die Leinwand adaptiert wurde. Bereits 1969 entstand nach der Buch­vor­lage ein Mario­netten- und Puppen­film fürs Fernsehen; 1983 wurde Die kleine Hexe als Anima­ti­ons­film gestaltet (Mischung aus Zeichen- und Legetrick) in tsche­cho­slo­wa­kisch-deutscher Kopro­duk­tion (Regie: Zdenek Smetana, Herstel­lung im berühmten Jiri-Trnka-Studio, Prag) und gehörte hier­zu­lande jahrelang zum Reper­toire der nicht­kom­mer­zi­ellen Kinder­kinos.
Otfried Preußler (1923-2013) war sehr zurück­hal­tend mit der Vergabe von Verfil­mungs­rechten seiner Werke, vor allem auch für „Die kleine Hexe“. Der Claussen + Putz Film­pro­duk­tion (Jakob Claussen, Uli Putz) ist es nach ihren Verfil­mungen von „Krabat“ (2008), die Preußlers Aner­ken­nung fand, und „Das kleine Gespenst“ (2013) gelungen, von Susanne Preußler-Bitsch, der Tochter des Schrift­stel­lers und Verwal­terin des lite­ra­ri­schen Erbes, die Rechte für „Die kleine Hexe“ zu erwerben.

Ein Glücks­fall, denn auch mit Karoline Herfurth als „kleine Hexe“ wurde die richtige Wahl getroffen. Sie überzeugt – mit wilder roter Haarmähne und keck verlän­gerter Nasen­spitze – als junge Hexe, die gern zaubert, aber nichts Böses will. Ihr ist die Spiellust anzusehen, wenn sie auf ihrem Besen durch die Lüfte fliegt, über dichte Wälder und felsige Berge (gedreht wurde u.a. im Harz). Ihr unbe­schwertes Lachen ist geradezu anste­ckend, und sie strahlt Selbst­be­wusst­sein aus mit ihrem Wunsch, eine „gute Hexe“ zu sein, ist erfin­de­risch, um die alten bösen Hexen auszu­tricksen. Im Raben Abraxas – hervor­ra­gend animiert und mit der unver­wech­sel­baren Stimme von Axel Prahl als Besser­wisser und Elter­n­er­satz – hat sie einen treuen Gefährten, der ihr mit seinen altklugen Beleh­rungen und seiner Ängst­lich­keit schon mal auf die Nerven geht, aber am Ende eine große Hilfe ist. Alles in allem ist die kleine Hexe eine wunder­bare Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für Kinder.

Der phan­ta­sie­voll wie detail­ver­liebt ausge­stat­tete, auch musi­ka­lisch stim­mungs­volle Film entstand wieder in Kopro­duk­tion mit der Schweizer Produk­tion Zodiac-Pictures, die bereits bei Das kleine Gespenst und bei der Neuver­fil­mung von Heidi, 2015, beteiligt war. Mit der ersten Real­ver­fil­mung der „Kleinen Hexe“ ist ein Fami­li­en­film im besten Sinne gelungen, der ganz nebenbei auch Themen wie Ausgren­zung, eigen­s­tän­diges Denken und selbst­be­stimmtes Handeln ins Spiel bringt, mit seiner inhalt­li­chen und formalen Gestal­tung sein junges Publikum ernst nimmt und auch Erwach­sene, die das Buch aus ihrer Jugend kennen, gut unterhält und Erin­ne­rungen wachruft.
Und wer damit noch nicht genug des Lobes hat, dem sei hier ein Auszug aus der Begrün­dung der FBW-Jury (Deutsche Film- und Medien­be­wer­tung) für das Prädikat „besonders wertvoll“ ans Herz gelegt: »Ihr necki­sches Lachen nimmt nicht nur Kinder mit in die Märchen­welt der kleinen Hexe. In diesem Lachen steckt die gesamte Naivität und Fröh­lich­keit der kleinen Hexe, die sich an den eigenen Zauber­tricks erfreut und jedem Lebewesen freund­lich begegnet. Karoline Herfurth verzau­bert mit diesem Lachen die kleinen Zuschauer und sie zaubert auch ein Lachen auf das Gesicht ihrer Eltern. Sie trägt die farben­frohe, witzige und poetische Verfil­mung des Kinder­buch­klas­si­kers von Otfried Preußler, die den Geist der Vorlage ins neue Jahr­tau­send trans­por­tiert.«

Ein laues Lüftchen streift durch den Wald

Geht man in einen Kinofilm über die kleine Hexe, dann erwartet man doch Spannung, Spaß und dass es ganz schöööööön gruselig wird; Lange­weile sollte jeden­falls nicht aufkommen. Von dem Erwar­teten war in Die kleine Hexe auch alles dabei, aber halt nur ein kleines bisschen.

Und war es in dem Kinder­film wirklich die kleine Hexe, von der Ottfried Preußler im gleich­na­migen Buch so wunder­same Geschichten erzählt? Für uns war die kleine Hexe jeden­falls nicht klein, ihr Hexenhaus übrigens auch nicht. Die Hexe Muhme Rumpumpel (Suzanne von Borsody) hatte zwar eine lange Nase, dazu noch krumme Finger mit häss­li­chen langen Fingernä­geln und einer Warze im Gesicht, mindes­tens. Doch rote Haare alleine reichen nicht für die Haupt­rolle der kleinen Hexe. Mimik und Gestik fehlten Schau­spie­lerin Karoline Herfurth, um diese Figur glaubhaft rüber zu bringen. Ihr Ausdruck war oft wie wegge­zau­bert; und Rabe Abraxas mit seiner knarzigen Stimme (Axel Prahl) kann den Film nicht alleine tragen.

Aller­dings lag ein Zauber über den sich wieder­ho­lenden, schönen Bilder der Natur. Welch Glück hatte doch die kleine Hexe dort zu leben, wo Igel, Reh und Eich­hörn­chen sich »Gute Nacht« sagen. Schade nur, dass die kleine Hexe im Film nicht mehr zu sagen hatte. Wie etwa in dem Buch­ka­pitel „Fastnacht im Walde“, wodurch man sich den Sinn der einzelnen Kapitel gut erschließen konnte.
Die Musik in der Walpur­gis­nacht wiederum war toll, aber teilweise zu leise. In dieser beson­deren Nacht hätte man gerne mehr von den Hexen gesehen oder zumindest die Musik besser hören wollen. Schließ­lich kann man nicht alle Tage auf dem Blocks­berg dabei sein.
Die Bild­ein­stel­lungen dagegen waren oft zu kurz, außer bei den Natur­auf­nahmen. Irri­tie­rend war es auch, wenn von scharf zu unscharf gewech­selt wurde. Manche Details waren aber schon lustig wie Geräusche, Wald­szenen oder das übergroße Hexenbuch. Das sah richtig toll aus. Trotzdem wer würde nicht gerne mit mindes­tens einem guten Hexen­spruch nach Hause gehen, wie man es aus anderen großen Filmen etwa Harry Potter kennt. Die beson­deren Effekte waren oft richtig gut gemacht, nur Rabe Abraxas wirkte teilweise etwas verstei­nert. Wahr­schein­lich weil er 100 Jahre nicht mehr richtig geflogen ist? Wer weiß das schon.

Wir können sagen, dass uns insgesamt in dem Film Schärfe und Würze gefehlt hat. Das „Hexen-1x1“ aus Ottfried Preußlers Kinder­klas­siker haben die Filme­ma­cher wohl nicht verstanden. Wir wollen ja nicht jeden Pups bespre­chen, obwohl manche im Film wirklich anspre­chend waren, und deswegen lassen wir „neun eins“ sein und „zehn keins“. Das ist das Hexen-1x1, jeden­falls kennen wir es so.