Irland/GB 2024 · 105 min. · FSK: ab 16 Regie: Rich Peppiatt Drehbuch: Rich Peppiatt Kamera: Ryan Kernaghan Darsteller: Móglaí Bap, Mo Chara, DJ Próvai, Josie Walker, Fionnuala Flaherty u.a. |
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Die Balaclava gibt’s vom Verleih zum Nachhäkeln | ||
(Foto: Atlas Film) |
Eine kleine, unscheinbare Garage in Belfast wird während einer rauschhaften, drogengeschwängerten Nacht zum Ausgangspunkt einer steilen Karriere. In Rich Peppiatts Biopic Kneecap über die titelgebende Rap- und HipHop-Gruppe, die sich nach den Kniescheibenschüssen der IRA-Terroristen benannt hat, läuft der Film hier nach einer halben Stunde zu einer ersten exzessiven Höchstform auf. Klamotten werden vom Körper gerissen. Es wird gekifft, gekokst, Alkohol fließt in Strömen. Dazu testet, singt und komponiert man; schnelle Beats peitschen die Szene an. Liam Óg, Naoise und JJ gehen ihre ersten gemeinsamen musikalischen Schritte. Bald werden sie zu aufstrebenden Musikidolen, die mit ihren derben, vulgären Texten Behörden und Sittenwächter in Aufruhr versetzen und mit ihrem Einsatz für die diskriminierte irisch-gälische Sprache ins Zentrum eines Kulturkampfes geraten.
Die Wege der Musiker kreuzen sich bereits zuvor auf unverhoffte Weise. Liam Óg wird von der Polizei aufgegabelt. Als er sich auf der Wache weigert, Englisch zu sprechen, wird der Irisch-Lehrer JJ als Dolmetscher hinzugezogen, der dem jungen Mann kurzerhand aus der Patsche hilft und sein Notizbuch nebst darin versteckten Drogen rettet. Also tun sich Liam Óg, dessen Kumpel Naoise und JJ zusammen, um mit ihrer Kunst gegen die Spießigkeit und für die eigene kulturelle Identität zu rebellieren. 2017 brachte das reale Trio aus Móglaí Bap, Mo Chara und DJ Próvaí, so die Künstlernamen, eine erste Single heraus. Kneecap präsentiert sich nun als rasanter retrospektiver Streifzug durch eine von politischen Konflikten zerrüttete Lebensrealität und hebt sich damit von einem erheblichen Teil anderer Biopics ab. Gerade zum Jahresanfang 2025 wird das Kinoprogramm nicht müde, die Biographien und Karrieren bekannter Stars zu durchforsten, sei es Pharrell Williams, Bob Dylan oder Maria Callas. Robbie Williams hat man für Better Man in einen CGI-Affen verwandelt. Das müde Trugbild eines Experiments ist dabei entstanden. Ein austauschbares Werk mit blassem Gimmick, das einmal mehr das Außerordentliche seines Künstlers mittels Suchtnarrativ in ein mahnendes Moralstück und eine Läuterungsgeschichte über die ach so dunklen Schattenseiten der Berühmtheit verwandelt.
Kneecap hat diesen ewig gleichen Narrativen wohltuend voraus, dass er seine grelle, raue, anarchische Attitüde weitgehend aufrecht erhält. Autor und Regisseur Rich Peppiatt inszeniert die drei Musiker in fiktionalisierten Versionen ihrer selbst und mit allerlei ästhetischen Spielereien. Schriftzüge kritzeln die Leinwand voll. Während eines Backstage-Drogentrips verwandeln sich Menschen in Stop-Motion-Knetfiguren. Die eigene Montage wird gleich am Beginn witzelnd kommentiert, wenn das Klischee der altbekannten Unruhe-Bilder aus Belfast auf den Kopf gestellt werden soll. Ein Graben zwischen Naoise und seinem Vater Arló wird über den Kamerablick in die Seitenspiegel eines Autos in Bilder übersetzt. Überhaupt ist das einer der eindringlichsten Aspekte des Films. Michael Fassbender spielt besagte Vaterfigur, einen IRA-Terroristen, der untergetaucht ist und im Schatten lebt. Ein Kopfnicken an Steve McQueens Gefängnisfilm Hunger, in dem der Hollywood-Star den Aufständigen Bobby Sands verkörperte. »Jedes gesprochene Wort Irisch ist eine Kugel für die Freiheit Irlands!«, gibt Arló Naoise und Liam Óg schon im Kindesalter zu verstehen. Der widerständige Geist im Verhältnis zur marginalisierten irisch-gälischen Sprache wird sie auf ihrem Weg zur Popularität verfolgen. Wie ein Gespenst zieht der rebellische Vater in der Gegenwart seine Kreise. Auch hier hebt sich dieser Film, der als Irlands Oscar-Beitrag auserkoren wurde, von anderen Biopics ab, die allein um ihre weltfremden Künstlerblasen kreisen.
Kneecap will den Blick weiten und ein Generationenporträt aus den späten 2010er-Jahren entfalten. Der sogenannten Ceasefire-Generation soll hier auf den Zahn gefühlt werden, die in den Nachwehen des Nordirlandkonflikts aufwächst. Nach außen hin soll Frieden herrschen, im Innern brodeln die Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, Republikanern und Unionisten ungebrochen und stehen immer wieder vor der Eskalation. Die brutalen Erfahrungen und Konflikte der Elterngeneration sind noch präsent, während sich junge Menschen in den Hedonismus, in Partys flüchten und gegen die Autoritäten aufbegehren. Man versucht, für die eigene Kulturgeschichte einen mal verletzlichen, mal zynischen, mal ironischen, mal brutalen Umgang zu finden – selbst beim Rollenspiel im Bett.
Und wahrscheinlich ist auch das ein Geheimrezept dieses Films, der sich seit seiner Sundance-Premiere im vergangenen Jahr zu einem internationalen Kritiker- und Publikumsliebling entwickelt hat: Ein jeder kann sich in den diversen Konfliktkonstellationen zwischen Öffentlichem und Privatem eine Haltung und Facette nach Belieben herauspicken. Diejenigen, die sehen wollen, wie marginalisierte Stimmen gegenüber einer Dominanzkultur ihre Rechte und Autonomie einfordern. Diejenigen, die darin die Feier eines gewissen Konservatismus im Bewahren einer vermeintlich authentischen kulturellen Identität sehen wollen. Diejenigen, die es lieben, wenn Kino mit grellen Farben, lauten Tönen, Sex, Drogen und Gewalt einen gewissen Furor und Exzess entfesselt, und jene, die so etwas gern in eine wiederholt gebrochene, stilistisch überhöhte und exotisierte Untergrunderzählung und damit eine gewisse Distanz geschoben sehen wollen. Kneecap scheut die Einseitigkeit in seiner Figurenzeichnung und eine schlichte Belehrung. Zum Glück! Doch vielleicht verortet sich das Drehbuch unter seiner aufmüpfigen, coolen Oberfläche mit solchen Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen deutlicher in einem Mainstreamkino, als es der Film selbst, als es seine Fans gern wahrhaben wollen.