USA 2019 · 131 min. · FSK: ab 12 Regie: Rian Johnson Drehbuch: Rian Johnson Kamera: Steve Yedlin Darsteller: Daniel Craig, Chris Evans, Ana de Armas, Jamie Lee Curtis, Michael Shannon u.a. |
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Hochfest des dialogischen Sprechens und abduktiver Wollust |
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(Foto: Universum/Concorde) |
»Nimm gnädig an, o Gott, diese Gaben deiner Diener und deiner ganzen Gemeinde; ordne unsere Tage in deinem Frieden, rette uns vor dem ewigen Verderben und nimm uns auf in die Schar deiner Erwählten.« – Canon Missae, das eucharistische Hochgebet des römischen Ritus
So banal das klingt: das größte Glück kommt dann doch unverhofft und meist durch den unerwartetsten Hintereingang. Dabei hat Rian Johnson ja immer wieder überrascht, vor allem, wenn er auch das Drehbuch schreiben durfte. Etwa mit seinem meisterlichen Zeitreise-Thriller Looper (2012). Und selbst im Franchise-Sumpfdickicht von Star Wars: Die letzten Jedi (2018) gelang es Johnson, die etablierten Pattern so stark aufzubrechen, dass der gespaltene Star-Wars-Fandom im gerade angelaufenen letzten Teil Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers wieder das zurückbekam, was er glaubte verloren zu haben. Aber auch Johnsons Regieleistungen ohne Drehbuchbeteiligung waren stets Ausnahmeerscheinungen, man denke nur an eine der besten Breaking Bad-Folgen, Ozymandias!
Doch Rian Johnson und klassischer »Whodunit«?! Denn das ist Knives Out – Mord ist Familiensache vor allem. Ein Film, der sich in eine schier endlose Phalanx von Klassikern dieses Teil-Genres einreiht, in dem es über eine komplexe Schnitzeljagd darum geht, einen Mordfall aufzuklären und den Mörder zu stellen. Schon allein die Adaption von Agatha Christie’s Mord im Orient Express (1934) von Sydney Lumet (1974) entwickelte sich zu einem derartigen Dauerklassiker im deutschen Fernsehen, dass wohl jeder Deutsche Albert Finneys Hercule Poirot vor Augen hat, wenn er an den Roman Christie’s denkt. Und die schier endlose Lawine an Epigonen, die die Film- und Fernsehlandschaft bis heute fluten. Sei es im erwachsenen Tatort-Format oder als kindgerechte »Drei-Fragezeichen«. Auch Kenneth Branagh muss sich dieses Fluchs bewusst gewesen sein, denn warum sonst sollte er sich 2017 dafür entschieden haben, diesen Teufel mit dem Teufel, also einer eigenen Adaption von Murder on the Orient Express (und sich selbst in der Hauptrolle) auszutreiben? Wirklich gelungen ist es ihm nicht, war in den letzten Jahren ein Format wie die von Steven Moffat und Mark Gatiss entwickete BBC-Serie Sherlock (2010-2017) deutlich innovativer, weil es den Stereotypen dieses unkaputtbaren Genres nicht nur neuen Hochglanz verliehen und ein wenig aufgeräumt, sondern sie auch konsequent hinterfragt hat.
Rian Johnson geht in Knives Out jedoch noch einen Schritt weiter. Er bedient sich keiner klassischen Vorlage, sondern hat einen völlig neuen Stoff entwickelt – und auch das Drehbuch geschrieben. Und was für ein Drehbuch das ist! Es ist – ohne Frage – klassischer »Whodunit«, in dem es einen Mord und die Suche nach dem Mörder gibt, in dem ein Haus steht, das so »klassisch« ist, dass einem allein schon in der ersten Einstellung ein Schaudern diffuser Erinnerung durchzieht. Doch anders als bei Woody Allen, bei dessen Spätwerk einem vor allem wohlige Erinnerung zuteil wird, versteht es Johnson fast augenblicklich, die Epigonen des »Whodunits« wie eine Domino-Kaskade umzuwerfen und nur für ein paar wohlige Sekunden klickern zu lassen. Dann tritt Stille ein und der Film beginnt, die Sprache setzt ein und alles ist anders als jemals zuvor.
Denn Rian Johnson integriert in seinen Plot nicht nur – wie Agatha Christie das ja auch zu tun pflegte – ein Brennglas, das die gesellschaftlichen Verhältnisse Amerikas auf kleinstem Raum widerspiegelt und zum Entzünden bringt und in einem furiosen »politischen« Finale tiefste White-Supremacy-Ängste demaskiert, nein, er inszeniert auch ein Familiendrama, das sich in seiner bodenlosen Analyse familiärer Dysfunktionaliät mit einem Dogma-Klassiker wie Thomas Vinterbergs Das Fest messen kann, dann aber etwas hat, was nicht einmal Vinterberg hatte: eine Sprache, die so explosiv, süffig, elegant und voller windiger und witziger Gedankenspielereien ist, dass sich die Dialoge jedes der überragenden Schauspieler wie ein Hochgebet der christlichen Lithurgie an Gott Vater ausnehmen.
Dabei würde schon Daniel Craig als Privatdetektiv Benoit Blanc den Besuch dieses Ausnahme-Films lohnen. Weit entfernt von seiner Standardrolle der letzten Jahre als James Bond, zelebriert (und das ist Ernst gemeint!) Craig hier ein Englisch, das selbst den faulsten Sprachmuffel in den nächsten VHS-Englisch-Kurs treiben dürfte, das selbst, wenn man es wie viele Lieder Bob Dylans im Original nicht gleich versteht, auf einer unterbewussten Ebene den subversiven Inhalt zum Klingen bringt.
Doch dann sind da neben Craig noch Chris Evans, Ana de Armas, Jamie Lee Curtis, Michael Shannon, Don Johnson, Toni Collette, Lakeith Stanfield, Katherine Langford, Jaeden Martell und Christopher Plummer, die ein Ensemble bilden, das dieses Hochfest des dialogischen Sprechens, diabolischen Humors und der abduktiven Wollust zu der ersten großen Überraschung dieses Kinojahres macht.