Rumänien 2025 · 109 min. Regie: Radu Jude Drehbuch: Radu Jude Kamera: Marius Panduru Schnitt: Catalin Cristutiu Darsteller: Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanta, Oana Mardare, Serban Pavlu u.a. |
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(Foto: Berlinale | Radu Jude) |
Ein Wald inmitten von Cluj, der inoffiziellen Hauptstadt Transsilvaniens: Der Obdachlose Ion durchstreift ihn fluchend auf der Suche nach Pfandflaschen, wir werden ihn die nächsten Minuten auf seiner Odyssee durch die Stadt verfolgen – Begegnungen mit Dino-Animatronics und Roboterhunden inklusive. Es ist der Auftakt von Kontinental ‘25, der von Beginn an mit Erwartungshaltungen spielt, sie gezielt bricht, streckenweise gar verspottet.
Aus dem dokumentarisch anmutenden Anfang ergibt sich dann die Ausgangslage, die »Wohnung« (ein Heizungskeller) Ions wird geräumt, er will nicht ins Heim, erhängt sich am Radiator.
Für Gerichtsvollzieherin Orsolya ein harter Schlag, Gewissensbisse schleichen sich ein. Was hätte sie tun können, was läuft falsch in der Welt, und vor allem: Wie dagegen rebellieren?
Das klingt nun nach schlimmstem Problemfilm, wer Jude kennt, der ahnt aber bereits, dass es soweit nicht kommt. Das Thema ist ernst, sicher, doch das hält ihn nicht davon ab seinen bösen Witz einzustreuen, ironische Brechungen, Absicherungen und Provokationen zu etablieren. Man muss mittlerweile nicht mehr erwähnen, wie gut das gelingt, wie zielsicher Jude zwischen galligem Humor und weltlichen Problemen chargiert, Klassenfragen, Banalitäten, philosophische Diskurse und absurde Profanitäten zusammenbringt. Das funktioniert auch hier wieder ganz großartig, es ist ein himmelschreiend komischer Film geworden, immer kurz vorm Zynismus, diesen aber nur hervorblitzen lassend, ohne ihm je wirklich zu verfallen.
Doch diese Herangehensweise kennen wir nun schon, das erwartet man, nun muss auch etwas damit gemacht werden. Und hier wird es dann doch komplizierter, denn von der Fülle der Ideen einmal abgesehen, worum geht’s denn überhaupt wirklich in Kontinental ‘25?
Keine leichte Frage, der Film verschließt sich einem stringenten Narrativ, wir folgen (statt Ion) nun Orsolya durch Cluj, wohnen ihrem Bittgang in Folge der Tragödie bei. Im Wechsel dazu werden immer wieder lang gehaltene Aufnahmen von Gebäuden der Stadt hineinmontiert. Mal Wahrzeichen, mal Shoppingcenter, mal Wohnhäuser. Eine Kluft entsteht zwischen öffentlichen und privaten Räumen, eine Gegenüberstellung, die sich beständig annähert, nie aber eine Symbiose eingeht. In Gesprächen zu Hause etwa läuft permanent der Fernseher, Fußballspiele sind zu sehen, öffentlich-rechtliche Programme (Highlight: Eine kuriose Winzersendung), Nachrichtensendungen. Dazu gesellen sich – ebenfalls statisch gefilmte – lange Dialoge an öffentlichen Plätzen oder in Bars, Umgebungsgeräusche inklusive. Es zeigt sich: Ein »Privatleben« gibt es nicht, zu präsent sind die geo- und innenpolitischen Konflikte, dominieren den Einzelnen zu jeder Sekunde.
Wie damit umgehen, wie sich wehren gegen diese omnipräsente Determiniertheit?
Das Subjektive streitet sich mit dem Objektiven, will in selbiges übergehen (nichts anderes ist schließlich Buße tun; das Sehnen nach dem Ablegen der persönlichen Schuld), bleibt aber doch in sich zurück, findet keine passenden Antworten auf die verrückt gewordene Welt. Diese Unmöglichkeit tritt in den erwähnten Gesprächen zu Tage, artikuliert sich auf verschiedenen Ebenen. Mal ist es das gönnerhafte Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen, während der Obdachlose vor der eigenen Haustür zu erfrieren droht, mal längst zu Kalendersprüchen verkommene buddhistische Weisheiten, an anderer Stelle die Beratung des Pastors samt erlösender Bibelsprüche.
Man pickt sich das heraus, was eben gerade am besten passt, komfortabel eine moralische Reinwaschung erzeugt, die Schuld von einem nimmt und zumindest häppchenweise die Welt »verbessert«. Ein tatsächliches Aufbegehren ist das natürlich nicht, nicht einmal verständlicher Selbstschutz: Die Probleme werden nicht ignoriert, sie werden sich gefügig gemacht, selbstgerecht in Kleinteilen wegmoralisiert. Nicht philanthropisch, nur um das schlechte Gewissen klein zu halten.
Immer wieder scheitert diese Verklausulierung, Kriegsvideos etwa werden gezeigt, da helfen keine Ratschläge, keine Überweisungen, dort scheitert ein gezieltes/ erhofftes/ erwünschtes Objektiv-werden, versagt der Versuch, in die Welt einzugreifen.
Damit hat Jude natürlich recht, ob es nun die große Erkenntnis ist, bleibt aber fraglich. Weitere Ausführungen nämlich erspart er sich, in den tatsächlichen philosophischen Diskurs möchte er nicht gehen. Das ist unbefriedigend,
zumal schon kokettiert wird mit einem bürgerlichen Wissensschatz. Brecht-Zitate auf Bild- und Ton-Ebene, Luther kommt vor, die östliche Philosophie wurde bereits erwähnt. In diesem Kontext drängt sich eigentlich Kierkegaard auf, der all die genannten Probleme verhandelt, der große Philosoph der Schuld und Subjektivität ist.
Es muss ja nicht ausgerechnet er sein, doch ein Gegenpunkt, ein systematischer Denkausgleich wäre schön gewesen, hätte vom gelegentlich überhandnehmenden Namedropping weggeführt, der Gefahr von karikaturistischen Scheindebatten vorgebeugt.
Fairerweise – es wäre dann ein Diskursfilm geworden, das wird durch das letztendliche Umschiffen und Anreißen dieser Themen vermieden. So tragen sie zur Grundstimmung bei, ernste, fundierte Schwerpunkte fehlen.
Inwiefern distanziert sich dieses Kino also vom Problemfilm?
Nun, es ist lustiger, ungehemmter, freier und überraschender, auch wenn sich diese Attribute zumeist auf Einzelmomente belaufen. Die Digitalkamera (gedreht wurde auf dem iPhone) hat Ruckler, fokussiert in manchen Szenen mehrmals kurzzeitig um, es gibt Symbolspielereien (ist der Obdachlose gespielt oder echt, sind seine Szenen geskriptet oder improvisiert) en masse. Das ist auf Formebene interessant,
gefundenes Fressen für jeden Experimentalfilm-Fan. Dabei bleibt es aber größtenteils, die Klammer, die Entwicklung von Kontinental ‘25 verharrt im Aufzeigen der absurd gewordenen Welt.
Das ist stimmungsvoll und in sich geschlossen, wirkt aber sehr reduziert, sehr spontan, mehr wie ein Zwischenprojekt als ein ausgetüfteltes, konzentriertes Werk. So bleibt man nach den unterhaltsamen, anregenden 109 Minuten ein wenig ratlos zurück. Es ist schön, dass so spezielles Kino im Wettbewerb läuft, doch bei aller Liebe für Jude: In einer Nebensektion wäre dieser Film besser aufgehoben. Das ist explizit kein Qualitätsurteil, nur ein Hinweis betreffend die Erwartungshaltung, den Rahmen dieses sehr guten, wenngleich etwas (zu?) beiläufigen Films.
Bunt bläht sich der Kieferlappen eines Dinosauriers, zahnig sperrt sich der Rachen eines Allosaurus, mitten im Naherholungswald von Cluj. Ion, ein Sammler der modernen Großstadt, klaubt Plastikmüll zwischen den Laubbäumen auf, versinkt mit einem Fuß knöcheltief im Matsch. Permanent fluchend schleppt er zwei gefüllte Müllsäcke durch den Wald, unbeeindruckt von der mechanischen Surrealität, die wie eine absurde Bildmontage erscheint. Gabriel Spahiu, mit Cristi Puius Der Tod des Herrn Lazarescu der Schauspieler, der die Neue Rumänische Welle losgetreten hat, spielt ihn geduckt, wieselhaft, wendig. Wenig später wird er sich das Leben genommen haben, ein Räumungskommando in Begleitung einer Gerichtsvollstreckerin ist der Grund. Eine Kaffeelänge hatten sie ihm gegeben, um sein Zeug aus dem Kellerverschlag zu räumen, Zeit genug für ihn, sich an der Heizung zu hängen.
Ein dysphorischer, verstörender Auftakt für den neuen Film von Radu Jude. Mit Kontinental ‘25 ist er auch unter der neuen Berlinale-Leitung von Tricia Tuttle wieder im Wettbewerb vertreten. Der Film knüpft in vielem an Bad Luck Banging or Loony Porn an, mit dem Jude 2021 den Goldenen Bären gewonnen hat, ist aber weniger heterogen und auch weniger radikal, leichter konsumierbar und minimal narrativer. Geblieben ist eine alleinstehende Frau, die nach dem Prolog den Film als Protagonistin übernimmt. Die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa) hat schwere Gewissensbisse nach dem Tod von Ion und beginnt eine Städte-Tour zwischen Ablasshandel – eine großzügige Spende an eine Roma-Organisation – und Ablenkung – eine Sauftour mit einem ehemaligen Studenten. Die endet als besoffener Loony Porn im Stadtpark von Cluj.
Cluj, die Stadt in Siebenbürgen, ist der dritte Protagonist in Judes skurriler Moritat, die immer wieder in den allgegenwärtigen Großstadt-Horror von zu vielen Reizen kippt. Während riesige Wanzen im Fernsehen in einer Tiersendung herangezoomt werden, eine mechanische Spielzeugente im nächtlichen Flur den Weg verstolpern lässt oder Aibo, der Robo-Dog, Ion, den Flaschensammler bedrohlich angeht, sehen wir das moderne Cluj im Kollisionskurs mit der K.u.K.-Zeit. In Kontinental ‘25 ploppt das Politische an jeder Ecke hervor, wie in den meisten Filmen von Jude. Wahlplakate versprechen »Ehre und Treue im Dienste meines Landes«, unter der iphone-Kamera von Marius Panduru, mit der unter Low-Budget-Bedingungen gefilmt wurde, verkehrt sich das unmittelbar in einen großen Witz. Orsolya vollzieht den Auftrag für die Firma »k.u.k. Europe«, die das Haus abreißen will. Die Stadt ist insgesamt Investitionsfläche, heute für Europa – überall wehen nicht nur die Europafahnen, überall wird auch gebaut, Bagger stehen zwischen den Rohbauten im Schlamm wie zuvor die Dinos im Wald – wie einst für die K.u.K.-Monarchie.
Jude zeigt diese Prachtbauten von Beginn des letzten Jahrhunderts in langen Einstellungen, Zuckerbäckerstuck an den Fassaden, eine stoische Bestandsaufnahme. Orsolya selbst gehört der ungarischen Minderheit Clujs an und steht damit für die wechselvolle Verschacherungsgeschichte der Stadt, die mal Ungarn (19. Jahrhundert), dann wieder Rumänien (Friedensvertrag 1920), dann wieder Ungarn (1940, unter deutscher Besatzung mit dem deutschen Namen Klausenburg), dann wieder Rumänien (1946) zugeschlagen wurde. Ein einziges Hin und Her, für das die ungarische Minderheit einsteht. Und Orsolya hadert im Telefongespräch mit ihrer Mutter an ihrer Ethnie.
Es werden weitere politische Verwerfungen aufgemacht. Ein Essensbote, den Orsolya als alten Schüler begrüßt und mit dem sie die oben erwähnte Nacht durchzecht, trägt deutlich sichtbar das Schild »Ich bin Rumäne« auf dem Lieferantenrucksack. Sonst mähen ihn die Autofahrer vom Rad, sagt er, weil sie denken, er sei Inder. Die Nationalfrage ist auch im Stadtbild vorhanden, viel Trikolore hängt in der Stadt.
Judes Film ist stationär und thesenhaft, in langen Einstellungen werden Debatten über Moral, Schuld und Vergebung entfaltet, manchmal von hinten gefilmt, während Orsolya mit jemandem auf der Parkbank sitzt, manchmal sitzen die Figuren auch unter einem historischen Monument, die Aufschrift deutlich lesbar: »Monumentul Rezistenței Anticomunist« steht auf einem, Monument für die unter Ceaușescu Gefangenen des antikommunistischen Widerstands.
Vor lauter Botschaften – Orsolya unterzieht sich noch einer Buddhismus- und einer christlich-orthodoxen Lektion – kann man leicht den Anfang vergessen, der klar und einfach war, sich dokumentarisch anfühlte, und den Obdachlosen als prekären Flaneur der Großstadt verständlich machte, der auch auf die sozialen Regeln pisst – wenn er in einen Abfalleimer uriniert. Perfect Days von Wim Wenders erwähnt einer am Straßenrand, den Film vom armen, aber zen-buddhistischen Kloputzer, der voller Weisheit steckte. Ach ja, doch wieder eine Botschaft.
Und trotzdem: Wird dies alles nicht diskursiv aufgelöst. Die Thesen werden durch das Prisma der Uneigentlichkeit gebrochen, die Figuren meinen es zwar so, aber nicht der Film. Das angehaltene Tempo, der Montage-Rhythmus mit den Skurrilitäten und den Mahnmalen der Geschichte und Freizeitindustrie, die Absurdität dieser rumänischen Wirklichkeit wirken dem entgegen. Am Ende machen die Figuren der Stadt Platz, der Film versenkt sich noch einmal in die Ansichten einer politisch heimgesuchten Stadt.