Kontinental '25

Rumänien 2025 · 109 min.
Regie: Radu Jude
Drehbuch:
Kamera: Marius Panduru
Schnitt: Catalin Cristutiu
Darsteller: Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanta, Oana Mardare, Serban Pavlu u.a.
Kontinental '25
(Foto: Berlinale | Radu Jude)

Die Welt: Ein Dinopark

2021 gewann er den Goldenen Bären, nun ist er mit seinem neuen Film im Wettbewerb zurück: Radu Jude präsentiert »Kontinental ’25«

Ein Wald inmitten von Cluj, der inof­fi­zi­ellen Haupt­stadt Trans­sil­va­niens: Der Obdach­lose Ion durch­streift ihn fluchend auf der Suche nach Pfand­fla­schen, wir werden ihn die nächsten Minuten auf seiner Odyssee durch die Stadt verfolgen – Begeg­nungen mit Dino-Anima­tro­nics und Robo­ter­hunden inklusive. Es ist der Auftakt von Konti­nental ‘25, der von Beginn an mit Erwar­tungs­hal­tungen spielt, sie gezielt bricht, stre­cken­weise gar verspottet. Aus dem doku­men­ta­risch anmu­tenden Anfang ergibt sich dann die Ausgangs­lage, die »Wohnung« (ein Heizungs­keller) Ions wird geräumt, er will nicht ins Heim, erhängt sich am Radiator.
Für Gerichts­voll­zie­herin Orsolya ein harter Schlag, Gewis­sens­bisse schlei­chen sich ein. Was hätte sie tun können, was läuft falsch in der Welt, und vor allem: Wie dagegen rebel­lieren?

Das klingt nun nach schlimmstem Problem­film, wer Jude kennt, der ahnt aber bereits, dass es soweit nicht kommt. Das Thema ist ernst, sicher, doch das hält ihn nicht davon ab seinen bösen Witz einzu­streuen, ironische Brechungen, Absi­che­rungen und Provo­ka­tionen zu etablieren. Man muss mitt­ler­weile nicht mehr erwähnen, wie gut das gelingt, wie ziel­si­cher Jude zwischen galligem Humor und welt­li­chen Problemen chargiert, Klas­sen­fragen, Bana­li­täten, philo­so­phi­sche Diskurse und absurde Profa­ni­täten zusam­men­bringt. Das funk­tio­niert auch hier wieder ganz großartig, es ist ein himmel­schreiend komischer Film geworden, immer kurz vorm Zynismus, diesen aber nur hervor­blitzen lassend, ohne ihm je wirklich zu verfallen.

Doch diese Heran­ge­hens­weise kennen wir nun schon, das erwartet man, nun muss auch etwas damit gemacht werden. Und hier wird es dann doch kompli­zierter, denn von der Fülle der Ideen einmal abgesehen, worum geht’s denn überhaupt wirklich in Konti­nental ‘25?

Keine leichte Frage, der Film verschließt sich einem strin­genten Narrativ, wir folgen (statt Ion) nun Orsolya durch Cluj, wohnen ihrem Bittgang in Folge der Tragödie bei. Im Wechsel dazu werden immer wieder lang gehaltene Aufnahmen von Gebäuden der Stadt hinein­mon­tiert. Mal Wahr­zei­chen, mal Shop­ping­center, mal Wohn­häuser. Eine Kluft entsteht zwischen öffent­li­chen und privaten Räumen, eine Gegenü­ber­stel­lung, die sich beständig annähert, nie aber eine Symbiose eingeht. In Gesprächen zu Hause etwa läuft permanent der Fernseher, Fußball­spiele sind zu sehen, öffent­lich-recht­liche Programme (Highlight: Eine kuriose Winzer­sen­dung), Nach­rich­ten­sen­dungen. Dazu gesellen sich – ebenfalls statisch gefilmte – lange Dialoge an öffent­li­chen Plätzen oder in Bars, Umge­bungs­geräu­sche inklusive. Es zeigt sich: Ein »Privat­leben« gibt es nicht, zu präsent sind die geo- und innen­po­li­ti­schen Konflikte, domi­nieren den Einzelnen zu jeder Sekunde.

Wie damit umgehen, wie sich wehren gegen diese omni­prä­sente Deter­mi­niert­heit?

Das Subjek­tive streitet sich mit dem Objek­tiven, will in selbiges übergehen (nichts anderes ist schließ­lich Buße tun; das Sehnen nach dem Ablegen der persön­li­chen Schuld), bleibt aber doch in sich zurück, findet keine passenden Antworten auf die verrückt gewordene Welt. Diese Unmög­lich­keit tritt in den erwähnten Gesprächen zu Tage, arti­ku­liert sich auf verschie­denen Ebenen. Mal ist es das gönner­hafte Spenden an Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­tionen, während der Obdach­lose vor der eigenen Haustür zu erfrieren droht, mal längst zu Kalen­der­sprüchen verkom­mene buddhis­ti­sche Weis­heiten, an anderer Stelle die Beratung des Pastors samt erlö­sender Bibel­sprüche.

Man pickt sich das heraus, was eben gerade am besten passt, komfor­tabel eine mora­li­sche Rein­wa­schung erzeugt, die Schuld von einem nimmt und zumindest häpp­chen­weise die Welt »verbes­sert«. Ein tatsäch­li­ches Aufbe­gehren ist das natürlich nicht, nicht einmal vers­tänd­li­cher Selbst­schutz: Die Probleme werden nicht ignoriert, sie werden sich gefügig gemacht, selbst­ge­recht in Klein­teilen wegmo­ra­li­siert. Nicht phil­an­thro­pisch, nur um das schlechte Gewissen klein zu halten.

Immer wieder scheitert diese Verklau­su­lie­rung, Kriegs­vi­deos etwa werden gezeigt, da helfen keine Ratschläge, keine Über­wei­sungen, dort scheitert ein gezieltes/ erhofftes/ erwünschtes Objektiv-werden, versagt der Versuch, in die Welt einzu­greifen.
Damit hat Jude natürlich recht, ob es nun die große Erkenntnis ist, bleibt aber fraglich. Weitere Ausfüh­rungen nämlich erspart er sich, in den tatsäch­li­chen philo­so­phi­schen Diskurs möchte er nicht gehen. Das ist unbe­frie­di­gend, zumal schon koket­tiert wird mit einem bürger­li­chen Wissens­schatz. Brecht-Zitate auf Bild- und Ton-Ebene, Luther kommt vor, die östliche Philo­so­phie wurde bereits erwähnt. In diesem Kontext drängt sich eigent­lich Kier­ke­gaard auf, der all die genannten Probleme verhan­delt, der große Philosoph der Schuld und Subjek­ti­vität ist.

Es muss ja nicht ausge­rechnet er sein, doch ein Gegen­punkt, ein syste­ma­ti­scher Denk­aus­gleich wäre schön gewesen, hätte vom gele­gent­lich über­hand­neh­menden Name­drop­ping wegge­führt, der Gefahr von kari­ka­tu­ris­ti­schen Schein­de­batten vorge­beugt.
Fairer­weise – es wäre dann ein Diskurs­film geworden, das wird durch das letzt­end­liche Umschiffen und Anreißen dieser Themen vermieden. So tragen sie zur Grund­stim­mung bei, ernste, fundierte Schwer­punkte fehlen.

Inwiefern distan­ziert sich dieses Kino also vom Problem­film?
Nun, es ist lustiger, unge­hemmter, freier und über­ra­schender, auch wenn sich diese Attribute zumeist auf Einzel­mo­mente belaufen. Die Digi­tal­ka­mera (gedreht wurde auf dem iPhone) hat Ruckler, fokus­siert in manchen Szenen mehrmals kurz­zeitig um, es gibt Symbol­spie­le­reien (ist der Obdach­lose gespielt oder echt, sind seine Szenen geskriptet oder impro­vi­siert) en masse. Das ist auf Formebene inter­es­sant, gefun­denes Fressen für jeden Expe­ri­men­tal­film-Fan. Dabei bleibt es aber größ­ten­teils, die Klammer, die Entwick­lung von Konti­nental ‘25 verharrt im Aufzeigen der absurd gewor­denen Welt.

Das ist stim­mungs­voll und in sich geschlossen, wirkt aber sehr reduziert, sehr spontan, mehr wie ein Zwischen­pro­jekt als ein ausge­tüf­teltes, konzen­triertes Werk. So bleibt man nach den unter­halt­samen, anre­genden 109 Minuten ein wenig ratlos zurück. Es ist schön, dass so spezi­elles Kino im Wett­be­werb läuft, doch bei aller Liebe für Jude: In einer Nebensek­tion wäre dieser Film besser aufge­hoben. Das ist explizit kein Quali­täts­ur­teil, nur ein Hinweis betref­fend die Erwar­tungs­hal­tung, den Rahmen dieses sehr guten, wenn­gleich etwas (zu?) beiläu­figen Films.

Ansichten politischer Heimsuchung

Radu Jude zeigt im Wettbewerb der Berlinale KONTINENTAL ’25, ein politisch-satirisches Stadt-Portrait

Bunt bläht sich der Kiefer­lappen eines Dino­sau­riers, zahnig sperrt sich der Rachen eines Allos­aurus, mitten im Naherho­lungs­wald von Cluj. Ion, ein Sammler der modernen Großstadt, klaubt Plas­tik­müll zwischen den Laub­bäumen auf, versinkt mit einem Fuß knöchel­tief im Matsch. Permanent fluchend schleppt er zwei gefüllte Müllsäcke durch den Wald, unbe­ein­druckt von der mecha­ni­schen Surrea­lität, die wie eine absurde Bild­mon­tage erscheint. Gabriel Spahiu, mit Cristi Puius Der Tod des Herrn Lazarescu der Schau­spieler, der die Neue Rumä­ni­sche Welle losge­treten hat, spielt ihn geduckt, wiesel­haft, wendig. Wenig später wird er sich das Leben genommen haben, ein Räumungs­kom­mando in Beglei­tung einer Gerichts­voll­stre­ckerin ist der Grund. Eine Kaffee­länge hatten sie ihm gegeben, um sein Zeug aus dem Keller­ver­schlag zu räumen, Zeit genug für ihn, sich an der Heizung zu hängen.

Ein dyspho­ri­scher, vers­tö­render Auftakt für den neuen Film von Radu Jude. Mit Konti­nental ‘25 ist er auch unter der neuen Berlinale-Leitung von Tricia Tuttle wieder im Wett­be­werb vertreten. Der Film knüpft in vielem an Bad Luck Banging or Loony Porn an, mit dem Jude 2021 den Goldenen Bären gewonnen hat, ist aber weniger heterogen und auch weniger radikal, leichter konsu­mierbar und minimal narra­tiver. Geblieben ist eine allein­ste­hende Frau, die nach dem Prolog den Film als Prot­ago­nistin übernimmt. Die Gerichts­voll­zie­herin Orsolya (Eszter Tompa) hat schwere Gewis­sens­bisse nach dem Tod von Ion und beginnt eine Städte-Tour zwischen Ablass­handel – eine groß­zü­gige Spende an eine Roma-Orga­ni­sa­tion – und Ablenkung – eine Sauftour mit einem ehema­ligen Studenten. Die endet als besof­fener Loony Porn im Stadtpark von Cluj.

Cluj, die Stadt in Sieben­bürgen, ist der dritte Prot­ago­nist in Judes skurriler Moritat, die immer wieder in den allge­gen­wär­tigen Großstadt-Horror von zu vielen Reizen kippt. Während riesige Wanzen im Fernsehen in einer Tier­sen­dung heran­ge­zoomt werden, eine mecha­ni­sche Spiel­zeu­gente im nächt­li­chen Flur den Weg verstol­pern lässt oder Aibo, der Robo-Dog, Ion, den Flaschen­sammler bedroh­lich angeht, sehen wir das moderne Cluj im Kolli­si­ons­kurs mit der K.u.K.-Zeit. In Konti­nental ‘25 ploppt das Poli­ti­sche an jeder Ecke hervor, wie in den meisten Filmen von Jude. Wahl­pla­kate verspre­chen »Ehre und Treue im Dienste meines Landes«, unter der iphone-Kamera von Marius Panduru, mit der unter Low-Budget-Bedin­gungen gefilmt wurde, verkehrt sich das unmit­telbar in einen großen Witz. Orsolya vollzieht den Auftrag für die Firma »k.u.k. Europe«, die das Haus abreißen will. Die Stadt ist insgesamt Inves­ti­ti­ons­fläche, heute für Europa – überall wehen nicht nur die Euro­pa­fahnen, überall wird auch gebaut, Bagger stehen zwischen den Rohbauten im Schlamm wie zuvor die Dinos im Wald – wie einst für die K.u.K.-Monarchie.

Jude zeigt diese Pracht­bauten von Beginn des letzten Jahr­hun­derts in langen Einstel­lungen, Zucker­bä­cker­stuck an den Fassaden, eine stoische Bestands­auf­nahme. Orsolya selbst gehört der unga­ri­schen Minder­heit Clujs an und steht damit für die wech­sel­volle Verscha­che­rungs­ge­schichte der Stadt, die mal Ungarn (19. Jahr­hun­dert), dann wieder Rumänien (Frie­dens­ver­trag 1920), dann wieder Ungarn (1940, unter deutscher Besatzung mit dem deutschen Namen Klau­sen­burg), dann wieder Rumänien (1946) zuge­schlagen wurde. Ein einziges Hin und Her, für das die unga­ri­sche Minder­heit einsteht. Und Orsolya hadert im Tele­fon­ge­spräch mit ihrer Mutter an ihrer Ethnie.

Es werden weitere poli­ti­sche Verwer­fungen aufge­macht. Ein Essens­bote, den Orsolya als alten Schüler begrüßt und mit dem sie die oben erwähnte Nacht durch­zecht, trägt deutlich sichtbar das Schild »Ich bin Rumäne« auf dem Liefe­ran­ten­ruck­sack. Sonst mähen ihn die Auto­fahrer vom Rad, sagt er, weil sie denken, er sei Inder. Die Natio­nal­frage ist auch im Stadtbild vorhanden, viel Trikolore hängt in der Stadt.

Judes Film ist stationär und thesen­haft, in langen Einstel­lungen werden Debatten über Moral, Schuld und Vergebung entfaltet, manchmal von hinten gefilmt, während Orsolya mit jemandem auf der Parkbank sitzt, manchmal sitzen die Figuren auch unter einem histo­ri­schen Monument, die Aufschrift deutlich lesbar: »Monu­mentul Rezis­tenței Anti­comu­nist« steht auf einem, Monument für die unter Ceaușescu Gefan­genen des anti­kom­mu­nis­ti­schen Wider­stands.

Vor lauter Botschaften – Orsolya unter­zieht sich noch einer Buddhismus- und einer christ­lich-ortho­doxen Lektion – kann man leicht den Anfang vergessen, der klar und einfach war, sich doku­men­ta­risch anfühlte, und den Obdach­losen als prekären Flaneur der Großstadt vers­tänd­lich machte, der auch auf die sozialen Regeln pisst – wenn er in einen Abfall­eimer uriniert. Perfect Days von Wim Wenders erwähnt einer am Straßen­rand, den Film vom armen, aber zen-buddhis­ti­schen Kloputzer, der voller Weisheit steckte. Ach ja, doch wieder eine Botschaft.

Und trotzdem: Wird dies alles nicht diskursiv aufgelöst. Die Thesen werden durch das Prisma der Unei­gent­lich­keit gebrochen, die Figuren meinen es zwar so, aber nicht der Film. Das ange­hal­tene Tempo, der Montage-Rhythmus mit den Skur­ri­li­täten und den Mahnmalen der Geschichte und Frei­zeit­in­dus­trie, die Absur­dität dieser rumä­ni­schen Wirk­lich­keit wirken dem entgegen. Am Ende machen die Figuren der Stadt Platz, der Film versenkt sich noch einmal in die Ansichten einer politisch heim­ge­suchten Stadt.