Frankreich/B 2017 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Marc Dugain Drehbuch: Marc Dugain, Chantal Thomas Kamera: Gilles Porte Darsteller: Lambert Wilson, Anamaria Vartolomei, Olivier Gourmet, Catherine Mouchet, Kacey Mottet Klein u.a. |
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Tableau vivant: Historisches Gemälde im Schnappschuss-Modus |
1712. Versailles schläft. Nur der junge Ludwig XV. liegt wach. Obwohl seine Gouvernanten nah bei ihm ruhen, vermag er nicht zu schlummern. Er selbst ahnt noch nicht, welches Schicksal ihn erwartet, doch der Blick in sein dunkles Schlafzimmer, wie von der Hand Caravaggios gemalt, verheißt nichts Gutes. Die düstere Ruhe wird durch ein energisches Klopfen an der Tür durchbrochen – sein Bruder ist tot. Im Jahr zuvor verstarben schon seine Eltern, was Ludwig XV. zum rechtmäßigen Thronfolger seines Ur-Großvaters, des Sonnenkönigs Ludwig XIV. macht.
Drei Jahre später stirbt auch er. Der fünfjährige Ludwig XV. wird unter der Regentschaft von Philippe d’Orléans König und erbt mit dem Thron auch die Verantwortung für das Schicksal seines Königreiches. Um dieses Schicksal dreht sich auch die Erzählung von Ein königlicher Tausch.
1721. Ludwig XV. ist nun elf Jahre alt. Soeben wurden die spanischen Erbfolgekriege beendet, die Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien sollen sich jetzt wieder stabilisieren. Doch Philipp V., König von Spanien, möchte weitere bewaffnete Auseinandersetzungen, nicht zuletzt wegen seiner traumatischen Kriegserlebnisse, um jeden Preis vermeiden und arrangiert mit dem französischen Hofe friedenversprechende Kinderhochzeiten. Sein 14-jähriger Sohn Ludwig von Spanien soll die zwölfjährige Louise Élisabeth, Tochter des Regenten Philippe d’Orléans, heiraten, während seine Tochter, die erst dreijährige Maria Anna Viktoria von Spanien, Ludwig XV. versprochen wird. Nicht die romantische Liebe, die ohnehin erst im 19. Jahrhundert erfunden wurde, sondern ein politischer Schachzug auf Kosten der Kinder soll den Frieden sichern.
Bis zu diesem »Tausch der Prinzessinnen« ist der Film ein einziges Gemälde, ein Kostümfilm, wie man ihn schöner kaum drehen kann. Regisseur Marc Dugain nimmt uns mit auf einen opulenten Spaziergang in der Welt des 18. Jahrhunderts. Durchkomponierte Bilder erzählen von den starren Strukturen des höfischen Lebens. Mit ihren barocken Kostümen und gepuderten Perücken haben die Figuren in prunkvollen Schlössern mit Kandelabern, Wandgemälden, Teppichen und Marmorböden ihren Platz einzunehmen. Genauso sind sie im sozialen Gefüge gefangen, ohne die Möglichkeit, individuelle Ziele zu verfolgen. Allerdings führt Bewegungslosigkeit nicht selten zum Verfall. Der Beweis dafür ist ein mobiler Toilettenthron, der bei Bedarf zur Tafel des Festmahls transportiert wird, sodass sich die königlichen Herrschaften direkt am Tisch ihrer Notdurft entledigen können, ohne sich unnötig von der Tafel entfernen zu müssen.
Doch die jüngere Generation, deren Schicksal über ihre Köpfe hinweg beschlossen wird, beginnt diese pompösen, repräsentativen, sinnlosen Rituale und verkrusteten Strukturen zu hinterfragen. Im Film wirken die Figuren etwas älter als die historischen Persönlichkeiten. Bis auf die kleine Maria Anna Viktoria befinden sich alle in einem Stadium der Pubertät. So perspektiviert Regisseur Dugain deutlich die Befreiung aus den sozialen Strukturen auf das erwachende sexuelle Bewusstsein der Figuren.
Der eigentliche Tausch der Mädchen vollzieht sich als strenges Staats-Ritual, bei dem das Protokoll den Ablauf diktiert: jede Bewegung ist durchinszeniert. Er findet auf der Fasaneninsel, genau auf der Grenze zwischen Frankreich und Spanien, statt. Die Prinzessinnen und ihre Entourage stehen sich gegenüber. Selbst die unterschiedlich farbigen Teppiche des kleinen Schlosses unterstreichen diese Grenzerfahrung – die Schwelle zwischen Ohnmacht und Macht, die die Prinzessinnen durch den Tausch erfahren werden. Der Schwellenübergang sieht auch vor, die eigene Kleidung ab- und die des neuen Hofes anzulegen. Jede macht noch einen Knicks und geht dann ihres Weges. Eskortiert von den Staatsdienern und Hofdamen.
Kaum ist die Grenze überschritten, verlässt der Film seinen ruhigen Spaziergang, den wir bis dahin so genossen hatten. Er kommt ab vom althergebrachten Weg des Historienstreifens. Macht ist nun nicht mehr der Antrieb der Handlung. Macht wird zur Bürde. Diese Tendenz nutzen Louise Élisabeth und Ludwig XV., die Zöglinge des Französischen Hofs. Obgleich sie zur Zeit der Herrschaft des Sonnenkönigs geboren wurden, sind sie die Vorboten der Französischen Revolution. Sie wehren sich gegen ihre Bevormundung, während sich die spanischen Infanten gerne den bestehenden Machtstrukturen beugen. Der sich langsam in sein Amt hineinfindende Ludwig XV. lehnt sich – für den französischen Hof überraschend – gegen die manipulativen Ratschläge seiner Minister auf und kontert mit weisen Worten.
Die revolutionäre Zugkraft, die der neuen Königsgeneration zukommt, manifestiert sich am spanischen Hof immer wieder unverblümt im sexuellen Erwachen. Die rebellische Louise Elisabeth verweigert ihrem begierigen Gemahl standhaft den Liebesakt. Erst als der verunsicherte Junge die alten Machstrukturen – verkörpert durch seinen Vater – ablehnt und somit den revolutionären Gestus von Louise Élisabeth aufnimmt, findet das Paar zueinander.
Da es sich erst um den Vorabend der Revolution handelt, wird die aufrührerische Kraft der jungen Königin nicht belohnt. Anamaria Vartolomei als Louise Élisabeth bereichert einen auf den ersten Blick aus der Zeit gefallenen Kostümfilm mit ihrer großartigen Darstellung der aufmüpfigen Prinzessin, die sich nichts gefallen lässt. Auch nicht vom ebenso überzeugenden Lambert Wilson als König von Spanien am Rande des Wahnsinns. Mit welcher Inbrunst und Leidenschaft er sich den Frieden mit Frankreich herbeisehnt und, sich selbst geißelnd, Gott um Vergebung anfleht, ist wahrlich ein großer Kinomoment, der eindrücklich die dekadente Tendenz der herrschenden Schicht deutlich macht. Auch die Bilder erzählen die bröckelnde Struktur der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Mit der Perspektivierung auf die Unmöglichkeit der Machteinnahme verlassen die Bilder zunehmend ihre repräsentative Gemäldeartigkeit. Während der Tausch der Prinzessinnen noch in durchinszenierten, geometrisch durchkomponierten Bildern vollzogen wurde, spürte man im weiteren Verlauf des Films die psychologische Annäherung an die Figuren. Auch die Bildlichkeit hat sich von dem alten System gelöst.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Chantal Thomas, die auch am Drehbuch mitarbeitete. Sie ist eine Expertin auf diesem Gebiet der französischen Geschichte und setzt somit wohl auch gewisse Kenntnisse des Zuschauers voraus. Wer nichts über die historischen Gegebenheiten und Persönlichkeiten weiß, wird sich immer wieder in den komplizierten Figurenverhältnissen verlieren. Diese Orientierungslosigkeit jedoch unterstreicht eindrücklich das Gefühl, einen Spaziergang durch einen barocken Lustgarten zu machen.