Deutschland 2017 · 67 min. · FSK: ab 0 Regie: Joya Thome Drehbuch: Joya Thome, Philipp Wunderlich Kamera: Lydia Richter Darsteller: Lisa Moell, Denny Sonnenschein, Salim Fazzani, Ivo T. Michligk, Moritz Riek u.a. |
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Alles geht – erst Recht mit so einer Hauptdarstellerin! |
Der Kinderfilmmarkt ist hart umkämpft und genauso von rückläufigen Zuschauerzahlen gepeinigt wie der Filmmarkt für Erwachsene. Die Risikobereitschaft originäre Stoffe zu verfilmen, ist dementsprechend gering. Verfilmt werden stattdessen fast ausschließlich etablierte Marken und Bücher. Letztlich waren es die schon als Endlos-TV-Serie durchgenudelten Pfefferkörner, bald kommt die fünfte Generation der Fünf Freunde, von dem Riesenerfolg von Bibi & Tina gar nicht zu reden und auch Wendy lief so gut, dass der zweite Teil schon abgedreht ist. Das soll natürlich nicht heißen, dass diese Filme grundsätzlich schlecht sind, sondern nur die vertrackte Lage für die Produzenten verdeutlichen, die natürlich darum wissen, dass sich eine wie-und-wo-auch-immer etablierte Marke besser verkaufen lässt, als völlig neuer Stoff. Die Produzenten der gerade in die Kinos geflogenen kleine Hexe, Uli Putz und Jakob Claussen, haben das kürzlich in der Süddeutschen Zeitung bestätigt, auch sie verfilmen im Kinderbereich keine Originalstoffe mehr. »Wir müssen darauf schauen, dass die Öffentlichkeit etwas von den Filmen erfährt«, sagte Uli Putz, »wenn man eine Marke hat, ist es etwas einfacher. Ansonsten müsste man einfach noch viel mehr Geld fürs Marketing ausgeben.«
Dass es dennoch so etwas wie Hoffnung gibt, beweist nicht nur der für den besten deutschen Kinderfilm der Filmkritik nominierte, fulminante Nur ein Tag, sondern auch der Eröffnungsfilm des letztjährigen, 35. Münchner Kinderfilmfests, Joya Thomes Königin von Niendorf, der es tatsächlich einmal ganz anders versucht als die im gegenwärtigen deutschen Kinderfilm vorherrschende Blödelei und Stereotypendreschei, der es wirklich wagt seine Hauptdarstellerin fast ohne ein Lächeln durch den Film zu schicken. Und nicht nur das: der zeigt, dass es wirklich noch Originaldrehbücher im deutschen Kinderfilm gibt, es ohne bekannte Vorlage, irgendein Kinderbuch oder eine schon existierende Serie wirklich gelingen kann, einen tollen Kinderfilm zu machen und ihn auch noch in die Kinos zu bringen.
Toll an der Königin von Niendorf ist vor allem der Mut von Joya Thoma – die Tochter von Rudolf Thome – eine Geschichte zu erzählen, die eher an Filme der Berliner Schule erinnert als die den deutschen Kinderfilmmarkt dominierende »Legobausatzschule«. Thome erzählt die Geschichte der 10-jährigen Lea (Lisa Moell) aus Brandenburg, die ihre Sommerferien ohne ihre Freundinnen verbringen muss. Sie fährt mit ihrem Fahrrad durch die leeren Straßen ihres Dorfes, pflegt die Freundschaft zu einem erwachsenen Aussteiger, dem Musiker Mark (Mex Schlüpfer) und versucht schließlich Zugang zu einer Jungen-Bande zu bekommen, die Mädchen eigentlich nicht aufnimmt. Dann sieht man sie wieder bei ihren Eltern, erfährt von politischen Küngeleien, die ihren Musikerfreund betreffen, taucht wieder in die sommerliche Traurigkeit dieser abgehängten deutschen ländlichen Tristesse ein und so geht es weiter, bis irgendwann die Mutproben kommen.
Berliner Schule für Kinder? Das soll gehen? Ich verspreche es und bitte jeden, der Zweifel hegen sollte, es auszuprobieren; Eltern mit ihren Kindern, Enkel mit ihren Großeltern oder am besten alle zuammen. Sie werden sehen, dass es geht, erst Recht mit einer so tollen Hauptdarstellerin wie Lisa Moell. Denn es ist ja nicht nur der etwas überstrapzierte Begriff »Berliner Schule«, die man hier assoziativ hineininterpretieren kann, sondern auch Thomes unglaublicher Spagat in ihren Einstellungen auch an die goldene Ära des neuen deutschen Kinderfilms zu erinnern – etwa an Wolfgang Beckers Vorstadtkrokodile, Hark Bohms Nordsee ist Mordsee oder die Geschichten des Feuerroten Spielmobils. Und das, ohne dabei aber auch nur ansatzweise historisierend zu wirken, sondern genau im Hier und Jetzt verankert zu sein. Und dabei Themen anzurühren, die mit deutschen Kinderfilmen gemeinhin nicht mehr in Verbindung gebracht werden: Schwulsein und Anderssein überhaupt, ostdeutsche Tristesse, korrupte Kungeleien, Identitätssuche und ein Sommer, den ich schon lange nicht mehr so schön fotografiert gesehen habe. Und nicht zu vergessen die musikalische Untermalung, die überrascht, die kontemplativ illustriert und den ruhigen Erzählfluss und die wundervolle Kamera immer wieder lyrisch verdichtet.