Deutschland 2014 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Dietrich Brüggemann Drehbuch: Anna Brüggemann, Dietrich Brüggemann Kamera: Alexander Sass Darsteller: Lea van Acken, Franziska Weisz, Florian Stetter, Lucie Aron, Moritz Knapp u.a. |
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Fundamentale Schauspielkunst auf mehreren Ebenen |
Gerade mal ein Dutzend Schnitte hat der Film. In vierzehn Tafeln erzählt Kreuzweg von der Leidensgeschichte der Maria Göttler (ja, sie heißt wirklich so: wie in einer Steigerung von »Gott«: Gott, Göttler, am Göttlichsten). In Anlehnung an die Passionsgeschichte Jesu Christi durchläuft die Vierzehnjährige ihr ganz eigenes Martyrium, während der Vorbereitung zur Firmung, dem katholischen Übergangsritus von der Kindheit in die Adoleszenz. Maria bereitet sich auf das heilige Sakrament in einer Gemeinde von Fundamentalchristen, der Paulus-Brüderschaft, vor, die den Kampf gegen den alltäglichen Satanismus in der profanen Welt aufgenommen hat. Jeder einzelne Gläubige ist ein Krieger Gottes und muss sich – so will es auch der unterrichtende Pfarrer – gegen verlockende Rhythmen, freizügige Kleidung und allzu viel Spaß im Leben widersetzen. Für Maria (Lea van Acken) bedeutet dies, dass schon der Besuch eines Kirchenchors zum profunden Problem wird: Dort, wo neben Bachchorälen auch Gospels gesungen werden, ist nach der Lehre der Paulus-Brüder der Satanismus eingezogen: Rhythm'n'Soul lassen die Hüften mitschwingen und verderben so die Reinheit der Seele. Maria, wie viele Teenager auf der Suche nach sich selbst und nach Werten, an denen sie sich auf dem Weg durch die Pubertät festhalten kann, hadert mit ihrem eigenen Körper, den Mitschülern, dem Sportunterricht – aber am wenigsten mit der Religion. Eine verbissene, fundamental-christliche Mutter (unerschrocken gespielt Franziska Weisz) tut ihr übriges hinzu, Maria in eine radikale Haltung zu drängen und sie auf den Leidensweg zu bringen. Die Pubertät ist ein Kreuzweg.
Eine Coming-of-age-Geschichte aus dem katholischem Fundamentalismus-Lager also, irgendwo angesiedelt zwischen Lars von Triers Breaking the Waves (ein Mädchen opfert sich für ein finales »Wunder«), Katrin Gebbes Tore tanzt (jugendliche Radikaliät führt zu Extrem-Religiösität), Hans-Christian Schmids Requiem (religiöser Wahn in einer restriktiven bürgerlichen Welt) und Ulrich Seidl (Franziska Weisz debütierte in Hundstage und verkörpert die Figur der Mutter Seidl-mäßig überzeichnet und gerade noch an der Karikatur vorbeischrammend).
Alles also ganz eindeutig und religionsdiffamierend? So leicht macht es der Film dem Zuschauer nicht. Klar ist Kreuzweg eine Anklage von Seelen-Missbrauch durch Religion, brandaktuell durch die aufgedeckten Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Klar sind die Fundamentalisten, die hier Religion als Gehirnwäsche betreiben, zu verteufeln. Klar hoffen wir für Maria (und schicken im dunklen Kinosaal Stoßgebete an die Leinwand), dass sie aufwacht und »zur Vernunft«, ganz im aufklärerischen Sinne, kommt. Kreuzweg zeigt aber auch auf bestechende Weise, wie Jugendliche Halt brauchen, nach Regeln und Grenzziehungen verlangen und sich an Verbote der Eltern und Autoritäten halten, wenn sie nur genügend moralischen und ideologischen Einfluss auf sie haben. Der Film ist so auch eine Anklage gegen Kälte und Funktionalität in Familien, macht deutlich, wie sich der Weg zu jeglicher Art des Extremismus bahnen kann, und ist insgesamt ein Plädoyer für Nächstenliebe, entsagt also keineswegs christlichen Ideen oder ethischen Grundvorstellungen.
Allein schon die Inszenierung beinhaltet eine deutliche Affirmation der christlichen und auch kirchlichen Sphäre, wenn lange Dialogpassagen der auf Lateinisch vorgetragenen Lithurgie folgen. Auch die vierzehn Tafeln, auf denen die Handlung abgebildet wird, lehnen sich der neutestamentarischen Vorlage des Kreuzwegs von Jesus an. Sie feiern dabei das Schauspiel, wie in einem Oberammergau'schen Passionsspiel für die Leinwand. Die Szenen, die sich allesamt vor dem unbeweglichen Auge einer – bis auf wenige Ausnahmen – starren Kamera abspielen, sind ungeschnitten und müssen somit durchgespielt werden: in 10-minütigen Performance-Kraftakten der Schauspieler ereignen sich subtile Mikrohandlungen, unterstützt durch großartige Choreographie und Bildkompositionen. Die Szenen spielen sich meist am vorderen Bildrand ab; hier liegt die narrative, an den Zuschauer bedrohlich nahe herantretende Handlungsebene. Nach ihrem Einsatz treten die Schauspieler wie im Theater aus der Szene ab, verlassen die narrative Ebene oder verschwinden ganz aus der Kadrierung. Kreuzweg ist somit auch eine Untersuchung von Bildlichkeit, mit protestantischer Strenge, gegen die die Handlung und die Dialoge bisweilen schon fast karikaturhaft dagegenhalten, so übertrieben und fremd erscheint einem die dargestellte Welt.
Die Geschwister Dietrich und Anna Brüggemann, die gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, erlebten in ihrer Jugend einen kurzen Zeitraum in der Pius-Brüderschaft, die Vorbild für die Paulus-Brüder im Film wurde. Dennoch positionieren sie sich in Interviews bewusst nicht anti-religiös, auch wenn Anna Brüggemann, die im Film eine Ärztin spielt, mit den Worten »Ich glaube nicht an Gott« das katholische Glaubensbekenntnis umkehren darf. Der Film huldigt Religiösität, aber er denunziert das Dogma, sympathisiert mit dem rechten Glauben und demonstriert die fratzenhafte Karikatur religiöser Übertreibung. Er inszeniert das finale Wunder in einem Kausalzusammenhang zu dem Opfer, das Maria vermeintlich erbringt, ohne den Zufall als heidnischen Spielleiter des Lebens auch nur anzudenken. Dennoch darf Hanns Zischler in der Rolle des Bestatters am Ende den Aufklärer spielen und dem Fundamentalismus späte Tränen der Erkenntnis in die Augen treiben. In Kreuzweg ist, allem Manichäismus zum Trotz, nichts wirklich eindeutig, und genau darin liegt sein großer Reiz.