USA 2016 · 102 min. · FSK: ab 6 Regie: Travis Knight Drehbuch: Marc Haimes, Chris Butler Kamera: Frank Passingham Schnitt: Christopher Murrie |
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Erinnerungen an Ghibli |
Mein Sohn Jonathan ist sechs Jahre alt, geht noch in den Kindergarten und ist – man kann es nicht anders bezeichnen – äußerst filmaffin. Das mag in diesem Alter keine Überraschung sein, aber was mich dennoch immer wieder erstaunt, ist das Spektrum, das Kinder in diesem Alter abdecken. Man kann sehr viel wagen – und eigentlich fast nur gewinnen. Denn der kritische Geist hat in diesem Alter eine gänzlich andere Ausrichtung. Neues, wie schlecht auch dargeboten, ist ein hoher Wert an sich, weshalb es einen schlechten Film nur ganz selten gibt, da mit sechs Jahren die Welt noch fast jeden Tag mit einer Neuigkeit aufwartet, die begeistert.
Als wir uns neulich die Pressevorstellungen von Kubo und Trolls gmeinsam ansahen, die fast double-feature-gerecht in der gleichen Woche liefen, erwartete ich von ihm in diesem Fall allerdings mehr als eine Gleichstellung dieser zwei Filme. Das lag vor allem an meinen eigenen, hohen Erwartungen bezüglich Kubo. Denn ich bin ein großer Fan des produzierenden und ausführenden Stop-Motion-Studios Laika. Laikas Coraline thematisierte den zunehmend gesellschaftsfähig werdenden Über- und Helikopter-Tick von Eltern. Ein herrlich düster und morbider Film, aber gleichzeitig auch konstruktiv und aufbauend kritisch. In ParaNorman ging Laika ebenso souverän mit Tod, Sexualität und Homosexualität um und schuf ein grundsätzliches Plädoyer für das »Anderssein«, dass in den Boxtrolls noch mal um die Demagogie politischer und gesellschaftlicher Intoleranz intelligent und witzig zugleich erweitert wurde. Was für Filme!
Ganz anders bei den Trolls. DreamWorks Auswurf an animierter Ware ist kaum mehr zu folgen und da scheinbar jede auch noch so absurde Nische oder wirtschaftliche Notwendigkeit abgedeckt wird, bleiben Enttäuschungen wie Kung Fu Panda 3 oder Home nicht aus. Und nicht zuletzt auch eine hausgemachte Krise, die seit 2013 zur Entlassung von über 850 Mitarbeitern und 2016 zum Verkauf des Studios geführt hat. Und auch Trolls weckte im Vorfeld nicht gerade Vertrauen in eine tolle Idee, sondern eher Schrecken vor einer kapitalisten Farce par excellence, geht es doch in Trolls um nicht mehr, als einer weltweit populären, vom dänischen Holzschnitzer Thomas Dam initiierten Puppenreihe (Troll Dolls, Trollpuppen), eine kindgerechte, animierte Geschichte zu verschaffen und dabei so viel wie möglich durch deren weltweite Popularität finanziell zu profitieren.
Doch so sehr ich mir Davids Sieg gegen Goliath wünschte, ja erwartete, so enttäuscht war ich am Ende vom Ausgang, der die Welt wieder einmal ein wenig komplizierter gemacht hat. Denn kaum dass ich die ersten Bilder von Kubo sah, wunderte ich mich über das, was Laika bislang einzigartig gemacht hatte, ihre ungewöhnliche Stop-Motion-Technik. Doch im Zuge einer immer perfekter werdenden Welt, scheint auch Laika seine Stop-Motion-Technik zu einem nie dagewesenden Perfektionsgrad verfeinert zu haben, eine Perfektion, die mich ein wenig ratlos zurück ließ, weil mir der Unterschied zu CGI-animierten Filmen kaum mehr wahrnehmbar scheint, ein Kriterium, dass sich auch im internationalen Kritikerspiegel wiederfindet, der Kubo vor allem wegen seiner »perfekten« Animation positiv bewertet.
Warum ich das nicht ganz so »glatte« und »perfekte« Personal von Coraline oder den Boxtrolls vorziehe, mag allerdings wie so oft völlig persönliche Gründe haben. Denn schließlich gefallen mir auch die Hütten in den Alpen lieber, die ihre Urigkeit nicht irgendwelchen Feuer- und Sicherheitsrichtlinien geopfert haben. Doch neben diesem vielleicht »persönlichen« Faible für das Ungerade fehlt es Kubo auch an dem ungewöhnlichen Plot, der Laika in seinem Filmen bislang immer ausgezeichnet hat. Zwar wird auch hier ein generationsübergreifendes Thema verhandelt – die Traumatisierung von Kindern durch den Tod ihrer Eltern bzw. die Abwesenheit von moralischen Bezugspersonen bei der Erziehung gegenwärtiger Generationen von Kindern – doch die dafür konstruierte Geschichte trägt die Idee nur mit Mühe.
Zwar traut sich Laika auch in Kubo immer wieder düstere Momente zu verwirklichen – etwas der eindrückliche Kampf Kubos und seiner Freunde gegen das Riesenskelett, doch besitzt die Geschichte von Kubo, der zwischen die Fronten in einem Kampf zwischen Göttern und Monstern gerät und der, um zu überleben, eine magische Rüstung finden muss, die einst sein Vater, ein legendärer Samurai, getragen hat – besitzt Kubo nicht die sogartige, vor allem moralisch uneindeutige Kraft tatsächlich zu überraschen und zu verunsichern. Kubo ficht stattdessen den schon so oft ausgetragenen Kampf zwischen Gut und Böse, mit erwartbarem Ausgang. Dabei lehnt sich der gegenwärtige Präsident und CEO von Laika, Travis Knight, in seinem Regiedebüt weniger an die DreamWorks-Moral an, sondern erinnert gerade in den – durchaus starken – traumähnlichen Sequenzen an Produktionen des japanischen Studio Ghibli, wie etwa an den auch thematisch verwandten Ghibli-Film Chihiros Reise ins Zauberland. Ohne dabei allerdings nur annähernd die vollendete Schönheit zu erreichen, die Ghibli in bislang fast jeder seiner Produktionen erreicht hat.
Dass Laika den riskanten Schritt sich noch einmal selbst zu erfinden gehen würde, ist dabei fast genauso überraschend wie DreamWorks Hinwendung in den Trolls zu einer musikalischen Komödie mit Personal aus der realen Puppenwelt. Doch was wie ein völlig logischer Schachzug zur Sicherung der eigenen Existenz als Studio erscheint, entpuppt sich als immer wieder bitterböser Zerrspiegel unserer gegenwärtig herrschenden Gute-Laune-Moral. Umso grotesker wirkt der Zerrspiegel als die Trolls, die in ihrem Bestreben nur eine gute Zeit haben, nur singen und kuscheln zu wollen und dabei auch noch aussehen wie lebendig gewordene Gummibärchen mit Haaren, nicht nur von so etwas wie den Pessimisten vom Dienst, den Bergen bedroht werden, sondern auch noch in ihren eigenen Reihen einen »Schwarzen Schlumpf« haben, der »Poppy«, der Prinzessin der Trolls, das Leben immer wieder schwer macht.
Zwar wird auch in den Trolls wie so oft im amerikanischen Zeichentrickfilm am Ende die Moral mit einem Zuckerguss aus Blödheit veredelt, fehlt die letzte Konsequenz, den Weg der bizarren Ideen und Spiegelungen und Transformationen kindlicher und erwachsener Realität konsequent bis zum Ende zu gehen. Doch allein der irrwitzige Wahn der Bergen, dass wahres Glück nur durch den Verzehr eines Trolls möglich sei oder die wahnwitzigen Versuche des Pessimisten in den eigenen Reihen, zu Gunsten eines sicheren Lebens auf gute Laune zu verzichten, erinnern eher an die Errungenschaften Laikas, das Untergründige und Gruselige zuzulassen, als an die Unbefangenheit früherer DreamWorks-Produktionen.
Damit soll allerdings keinesfalls angedeutet sein, dass der DreamWorks-Grusel bereits den von Laika übertrifft, womit ich mich ganz bei Jonathans Beurteilung der beiden Filme wiederfinde, die sich genau darauf und nur darauf bezieht: »Trolls ist spannend und Kubo gruselig.«