USA 2017 · 95 min. · FSK: ab 0 Regie: Greta Gerwig Drehbuch: Greta Gerwig Kamera: Sam Levy Darsteller: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Lucas Hedges, Timothée Chalamet u.a. |
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Coming of Age in Sacramento: Lady Bird und ihre Freundin von der Katholischen Schule |
Bisher war Greta Gerwig vorrangig als Darstellerin in Indiefilmen wie der Romanze Frances Ha bekannt. Doch gleichzeitig war die Mimin bereits seit den Anfängen ihrer Schauspielkarriere auch anderweitig filmisch aktiv. So verfasste sie das Drehbuch zu Frances Ha gemeinsam mit dem Regisseur und ihrem jetzigen Partner Noah Baumbach. Und 2008 hatte sie nicht nur eine Rolle in Nights And Weekends, sondern teilte sich mit dem Filmemacher Joe Swanberg sowohl die Arbeit am Skript als auch die Regie des Films. Die Coming-of-Age-Dramödie Lady Bird ist jedoch der erste Film, den Gerwig im Alleingang geschrieben und inszeniert hat.
Obwohl Greta Gerwig betont, dass Lady Bird kein autobiografischer Film sei, allenfalls inspiriert vom eigenen Aufwachsen in Sacramanto, wo der Film spielt, kommt man als Zuschauer kaum umhin, in der sich selbst »Lady Bird« nennenden 17-jährigen Christine McPherson (Saoirse Ronan) ein Alter Ego der Filmemacherin zu sehen: Wie Gerwig besucht auch Christine eine katholische Highschool in Sacramento, wo sie, wie die Filmemacherin, Mitglied einer Theatergruppe wird. Christines Mutter (Laurie Metcalf) arbeitet in der kalifornischen Hauptstadt ebenfalls als Krankenschwester. Und auch die sich nach einem aufregenderen Leben sehnende Christine träumt von einem Studium an der amerikanischen Ostküste, wohin auch Gerwig gegangen ist.
Ähnlich wie etwa die Filme von Jim Jarmusch besticht Lady Bird weniger durch einen besonders ausgefeilten Handlungsbogen, als durch die mit liebevollem Blick betrachteten Eigenheiten der Charaktere sowie durch die präzise erfasste Komik vieler Situationen und den genauen Blick auf kleine Details. Das Einzigartige an dem Film besteht in Gerwigs Fähigkeit, im Durchschnittlichen das Besondere zu sehen und in dem Kniff hinter der zunächst banalen Charakteristik fast aller Protagonisten später eine unerwartete zweite Ebene zu eröffnen. Dieses Spiel exerziert Gerwig derart konsequent durch, dass diese doppelte Codierung zum Lady Bird am stärksten prägenden Element wird.
Dies beginnt bereits bei Gerwigs empathischen Blick auf ihre Heimatstadt Sacramento: Obwohl Sacramento die Hauptstadt des bevölkerungsstärksten US-Bundesstaats Kalifornien ist, ist die Stadt mit rund einer halben Million Einwohnern für US-amerikanische Verhältnisse relativ klein. Entsprechend provinziell und eng empfindet auch Lady Bird ihre Heimatstadt. Trotzdem porträtiert Gerwig Sacramento als eine sonnige, recht grüne und freundliche kleine Metropole, die zwar nicht die kulturellen Möglichkeiten von New York bietet, in der es sich ansonsten aber offensichtlich gut leben lässt. Ebenso wichtig ist das enge und restriktive Klima auf der katholischen Schule und innerhalb der konservativen Oberschicht.
Die Liebenswürdigkeit vieler Einwohner zeigt sich beispielsweise anhand der Figur des Mathelehrers, der seine Schüler – nachdem Christine die Mappe mit Klassenarbeiten hat verschwinden lassen, ihre Noten sehr wohlwollend selbst »erinnern« lässt. Auch Christines Vater (Tracy Letts) stellt keine bösen Fragen, wenn sich seine Tochter von ihm mal wieder außer Sichtweite des Schuleingangs von ihm mit dem Auto absetzen lässt. Dabei erfahren wir später, dass dieser stets so freundliche und lockere Vater, ähnlich wie Christines in Schichten arbeitende Mutter, hart (mit sich) zu kämpfen hat.
Währenddessen probt Christine als Lady Bird schon einmal die große Rebellion, indem sie gemeinsam mit ihrer besten Freundin Julie (Beanie Feldstein) ungeniert Oblaten wie Chips isst, während sie sich über das Masturbieren unterhalten. Christines Eigensinn offenbart sich bereits in der ersten Filmszene: Nach einem längeren Genörgel ihrer Mutter springt sie kurz entschlossen genervt aus dem fahrenden Wagen – und trägt deshalb für den Großteil der weiteren Films einen Gipsarm.
Aufgrund von Lady Birds frecher Entschlossenheit trauen wir es ihr durchaus zu, dass sie es trotz mäßiger Noten und wenig finanzkräftiger Eltern tatsächlich an eine der begehrten Ostküsten-Unis schaffen kann. Gerade weil dieses Mädchen neben ihrer großen Entschlusskraft keine weiteren außergewöhnlichen Eigenschaften besitzt, ist sie umso glaubwürdiger und sympathischer. Etwas aufgesetzt wirkt gerade deshalb einzig der allerletzte Handlungsschlenker, wenn Lady Bird wieder die Christine in sich entdeckt. Hier übertreibt es Gerwig mit dem ansonsten überzeugenden Prinzip der doppelten Codierung.
»Ich hasse Kalifornien. Ich will an die Ostküste. Ich will dorthin, wo Kultur ist...« – »Warum ist meine Tochter bloß so ein Snob?« – Mutter und Tochter streiten sich mal wieder. Im Auto. Die Tochter will auf ein Elitecollege, obwohl ihre Schulleistungen eher mäßig sind. In jedem Fall will sie raus der muffigen Atmosphäre der kalifornischen Hauptstadt Sacramento, in der sie aufgewachsen ist. Die Mutter findet sie undankbar, sagt ihr nicht weniger übertrieben eine kriminelle Karriere voraus. Und als die Tochter das Genörgel ihrer Mutter irgendwann nicht mehr aushält, reißt sie plötzlich die Beifahrertür auf und rollt sich heraus – bei voller Fahrt.
Das ist nur eine besonders spektakuläre von einer ganzen Handvoll Szenen dieses Films, die drei Dinge unmissverständlich klar machen: Mutter und Tochter streiten sich fortwährend. Dabei sind sie sich ähnlicher, als beiden lieb ist. Und die Tochter, die Hauptfigur, ist eine Kämpferin. Sie weiß, was sie will. Zu allem entschlossen ist sie nicht bereit, auch nur ein klein wenig beizugeben. Sie will ihren Kopf durchsetzen.
Sie heißt Christine, aber sie nennt sich Lady Bird. Und sie hat den Mut, vom Leben und von der Welt einfach alles zu wollen, auch wenn es schwer erreichbar scheint. Diese 16-Jährige ist stolz, sie hat kein Problem damit, anders zu sein als andere. Aber sie ist eben auch eine Heranwachsende, und entsprechend mit allen Problemen anderer Heranwachsender belastet: »Wann ist das richtige Alter für Sex? Wie sollte ›das erste Mal‹ beschaffen sein?« So ist dies zuallererst auch ein ganz normaler, unaufgeregter Coming-of-Age-Film, ein Film über das Erwachsenwerden.
Vielleicht ist dieser Debütfilm der bekannten Independent-Darstellerin Greta Gerwig ein bisschen zu nett, zu skurril, zu gewollt originell. Aber das macht die Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen wett: Saoirse Ronan als Tochter und Laurie Metcalf in der Rolle der Mutter spielen einfach hervorragend.
Gerwigs Arbeit als Schauspielerin steht vor allem für »Mumblecore«, jene Filmbewegung der US-Ostküste, die aus dem Unperfekten und dem Scheitern Kult macht, und ein
Gegenstück zu Hollywood, zu den glatten Erfolgstypen und der immergleichen kritiklosen Feier des Amerikanischen Traums darstellt.
Solch ein Gegenstück ist auch Lady Bird. Aber die Hauptfigur ist nicht so lächerlich, nicht so durchschnittlich, nicht so ins Verlieren verliebt wie etwa die Charaktere von Noah Baumbach, Gerwigs Lebensgefährten, in dessen Filmen (zum Beispiel Frances Ha) sie oft die Hauptrolle spielt.
Tatsächlich hat dieser fulminante, facettenreiche Film auch eine ganze Menge autobiographische Seiten: Auch Greta Gerwig wuchs als Tochter einer Krankenschwester in Kalifornien auf, besuchte eine katholische Highschool, und spielte dort Theater.
Man sollte Lady Bird nicht nur deshalb unbedingt ansehen. Denn er ist gut gemacht und witzig. Und die Hauptfigur ist alles andere als auf den Mund gefallen. Dies ist auch eine kluge Reflexion über das heimliche Hauptthema aller Coming-of-Age-Filme: Die Frage: Was ist der Sinn des Lebens?
Und dies ist, nicht nur, weil Lady Bird eine katholische Highschool besucht, ein Film, der den Kampf gegen Tabus führt. Sondern auch weil hier dem ewigen Thema rebellische Tochter gegen die nörgelnde Mutter sehr originelle Seiten abgewonnen werden. So ist Greta Gerwigs Filmdebüt einfach ein guter Film. Zum Portrait einer ganzen Generation muss man es deshalb nicht stilisieren.