Tandem – In welcher Sprache träumst du?

Langue étrangère

Frankreich/D/B 2024 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Claire Burger
Drehbuch: ,
Kamera: Julien Poupard
Darsteller: Lilith Grasmug, Josefa Heinsius, Nina Hoss, Chiara Mastroianni, Jalal Altawil u.a.
Langue étrangère
Grenzen überwinden...
(Foto: Port-au-Prince / Central Film)

Europa forever

Claire Burgers Coming-of-Age-Drama zweier Schülerinnen aus Frankreich und Deutschland ist auch das Coming-of-Age-Drama eines Kontinents und ein wichtiger Europa-Film

Man muss sich auch mit dem Blick auf die lange Geschichte des bis heute schwie­rigen Zusam­men­wach­sens der Verei­nigten Staaten von Amerika immer wieder fragen, was diese Geschichte für Europa bedeuten könnte; ein Bündnis, dessen Idee zwar schon so alt ist wie die USA, doch das als rechts­si­chere Insti­tu­tion gerade mal eine Gene­ra­tion lang existiert. Wie schafft man in dieser Zeit und darüber hinaus eine trans­na­tio­nale Identität, die nationale Irrwege wie den Englands verhin­dern? Eine der einfachsten Möglich­keiten wäre sicher­lich schon im Kinder­garten die Flagge zu hissen und die europäi­sche Natio­nal­hymne zu singen. Eine andere, für zahl­reiche nationale Iden­ti­täts­fin­dungen bewährte Methode ist der Film, weil er auch heute noch fast alle Gesell­schafts­schichten erreicht. Ein europäi­scher Film, der von der europäi­schen Idee erzählt, histo­risch oder gegen­wärtig, im Großen wie im Kleinen.

Ein solcher Glücks­fall ist Claire Burgers Langue Étrangère, dessen Titel sich in der deutschen Fassung mit Tandem – In welcher Sprache träumst du? etwas unglück­lich gewählt liest, denn in Burgers Film geht es ganz und gar nicht um das Träumen, sondern um das Leben. Das Leben in der Gegenwart und das Leben aus der Geschichte heraus.

Burger erzählt diese Geschichte auf zwei Ebenen. Auf der einen entwirft sie ein immer wieder leichtes und jugend­li­ches Coming-of-Age-Drama zweier Schü­le­rinnen eines Austausch­pro­gramms einer Leipziger und einer Straß­burger Schule. Sie verwebt diese Geschichte mit den Lebens­li­nien der Eltern der beiden Schü­le­rinnen, Fanny (Lilith Grasmug) und Lena (Josefa Heinsius). Lenas Mutter Susanne (Nina Hoss) ist in der DDR groß­ge­worden und hat in den letzten Tagen der DDR aktiv gegen das System demons­triert. Sie steht genauso wie die Eltern von Fanny, die als Dolmet­scher im Europäi­schen Parlament in Straßburg arbeiten, für das alte Europa, ein Europa der Anta­go­nismen, der sich bekämp­fenden und belü­genden Systeme, alles negative Werte, die sich auch in den skiz­zierten Eltern­be­zie­hungen wieder­finden und deren morastige Untiefen kaum bewäl­tigbar scheinen.

Auf einer zweiten Ebene zeigt Burger die Gegenwart, die unsere europäi­sche Zukunft werden könnte. Eine deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft, die sich unten vielen Hinder­nissen und vereint im Antifa-Denken, Techno, schoko-über­zo­genen Mushrooms und unbe­dingter Wahr­heits­liebe anbahnt und dabei sogar hetero-normative Grenzen über­windet. Wer jemals die Schlacht­felder des Ersten Welt­kriegs in Flandern oder Verdun oder jene am Atlan­tik­wall in Frank­reich besucht hat oder einfach nur Steven Spiel­bergs Der Soldat James Ryan gesehen hat, weiß, was für ein Schritt der hier gezeigte Alltag und die von Burger dann wunder­voll zärtliche erzählte Liebes­ge­schichte bedeutet und dass es dann auch solche Filme sind, die es braucht, um nicht nur von einem Europa von morgen zu träumen, sondern auch bei dessen Reali­sie­rung zuzusehen.

Denn mehr noch als nur von geglückten oder verun­glückten Liebes­ge­schichten zu erzählen und damit gleich­zeitig von einem gestrigen und heutigen Europa zu berichten, nimmt sich Burger genug Zeit für ein Abtasten der jugend­li­chen Gegenwart, unserem Morgen, der sicher­lich auch ein Grund dafür war, dass Burgers Tandem – In welcher Sprache träumst du? im Wett­be­werb der dies­jäh­rigen Berlinale lief. Dazu gehört dann nicht nur der Schul­alltag mit immer noch unter­schied­li­chen natio­nalen Iden­ti­täten und Para­digmen, sondern auch Antifa- und Black-Block-Geschichten und eine Poli­ti­sie­rung des Alltags, die nicht nur notwendig ist, um Grenzen zu über­winden, sondern auch die Demo­kratie zu retten. Für genau diese Gefahren findet Burger dann auch die richtigen Bilder. Es sind aber nicht nur Straßen­schlachten und Demos, die sie zeigt, sondern auch der Einbruch des ganz normalen AFD-Alltags in der Person von Lenas Großvater.

Manch einem mögen die Problem­felder, die hier aufgehäuft werden, zu viel sein, denn auch die Figu­ren­kon­stel­la­tionen tragen weitere Probleme in das dichte Narrativ aus privatem und poli­ti­siertem Leben, wird immer wieder disku­tiert und verhan­delt und bietet das Drehbuch dann auch ein paar Kapriolen, die nicht unbedingt hätten sein müssen.

Doch es ist nun mal eine komplexe Welt, in der wir leben und am Ende sind diese kleinen Schnitzer die Rede nicht wert, weil es am Ende eben genau die Rede ist, die im Zentrum einer Lösung steht, macht Burger in diesem beson­deren Europa-Film deutlich, dass wenn uns überhaupt etwas retten und unser heutiges Europa in die Zukunft führen kann, es das Reden ist, das Reden mit allem und jeden, hinweg über Alters­grenzen, Natio­na­li­täten und Ideo­lo­gien. Es ist endlich mal wieder ein Film, der Hoffnung weckt, Hoffnung auf eine funk­tio­nie­rende Politik von morgen und fast so etwas wie ein radikaler Gegen­ent­wurf zu Christian Schwo­chows dysto­pi­schem jungem Europa-Entwurf Je suis Karl.