Großbritannien 2016 · 89 min. · FSK: ab 12 Regie: William Oldroyd Drehbuchvorlage: Nikolai Leskow Drehbuch: Alice Birch Kamera: Ari Wegner Darsteller: Florence Pugh, Cosmo Jarvis, Paul Hilton, Christopher Fairbank u.a. |
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Die pechschwarzen Seiten der Jane-Austen-Gefühlslagen... |
»Lady Macbeth« man kennt diese Figur aus einem der berühmtesten und populärsten Dramen von William Shakepeare. Vor über 150 Jahren, 1865, versetzte der russische Schriftsteller Nikolai Leskov diese Figur wiederum in seine Heimat und ins Zentrum einer Novelle: »Lady Macbeth von Minsk« erzählt von der Selbstbehauptung einer Frau in einer Männerwelt. 1934 wurde daraus eine Oper von Shostakovitsch und 1962 ein Film von Andrzej Wajda: »Lady Macbeth von Sibirien«. Jetzt ist diese Lady Macbeth heimgekehrt ins schottische Hochland. Der britische Filmemacher William Oldroyd hat sie mithilfe der Drehbuchautorin Alice Birch wieder ins britische 19.Jahrhundert gebracht – in die zurückgebliebene schottische Provinz.
Das erste Bild zeigt ein junges Mädchengesicht unter einem Schleier im Hochzeitskleid. Der Ausdruck ist freudlos, aber entschlossen. Sie singt: »Lobet den Herren.« Das zweite Bild zeigt, wie sie von einer schwarzen Dienerin entkleidet, und ihr dann das Nachthemd angezogen wird. »Ist Ihnen kalt?« – »Nein« – »Nervös?« – »Nein«. Dieser erste Dialog eröffnet sofort den Diskurs der Kälte, ihrer Kälte. Der Bräutigam tritt ein: Ob sie es bequem habe? Ob es ihr kalt sei? Sie solle nicht soviel rausgehen. Sie antwortet »Ich habe dicke Haut.« Und: »Ich mag frische Luft.«
Sie heißt Catherine und ist die Hauptfigur des hervorragenden britischen Films Lady Macbeth. Angesiedelt wie Shakespeares Stück in den schottischen Highlands, allerdings Mitte des 19.Jahrhunderts, geht es um eine junge Frau, die in eine Zwangsehe gepresst wird.
Wie unsympathisch die Verhältnisse sind, daran lässt der Film keine Zweifel: »Face to wall. Face to wall!« »Zieh Dich aus, Gesicht zur Wand!« sagt der Mann in der Hochzeitsnacht, dann
befriedigt er sich selbst.
»Gesicht zur Wand!«, »Hör auf zu lächeln!« – als Catherine bald wochenlang allein ist, während der Mann die Güter inspiziert, sagt sie zu den Knechten genau die Sachen, die sie von ihrem Mann gehört hat. Sie geht auch viel an die frische Luft, lässt ihre offenen Haare vom Wind durchblasen, holt eine wilde Katze zu sich ins Haus. Sie scheint autoritär, doch Sebastian, einer der Knechte, versteht die Zeichen der Worte und Blicke besser: »Ich bin schrecklich gelangweilt, Mrs. Lester.
Ist Ihnen nicht auch langweilig, Catherine?« Und dann beginnt eine Affaire. Die bleibt nicht verborgen, und da der Gatte weiter fern ist, stattet ihr der Pfarrer einen Besuch ab. Sie wirft ihn heraus. Den Schwiegervater kann sie nicht herauswerfen, er ist der nächste Gast im Haus, während der Ehemann sich weiterhin nicht blicken lässt. Er etabliert ein brutales Strafregiment: »Sie benehmen sich wie ein Tier, also werden Sie so behandelt.«
Catherine reagiert mit gleicher Münze: Nach
dem Pilzgericht stirbt der Schwiegervater. Es sieht wie ein Unfall aus. Nur die Katze sah zu und scheint zu wissen, was wirklich geschah. Ähnlich geht es weiter, als der ungeliebte Ehemann irgendwann doch zurückkehrt und ihr erklärt, dass sie nicht mehr wert sei, als das Stück Land,das sie als Mitgift brachte, dass sie gefälligst im Haus bleiben solle mit ihrem Gebetsbuch.
Regisseur William Oldroyd zeigt einen Eskalationsprozeß, eine Spirale der Gewalt. Er zeigt eine junge Frau, die zunächst nicht mehr will, als geliebt zu werden, die dann nicht bereit ist, als Gefangene archaischer Standesvorschriften und ihres Dienstpersonals zu existieren. Und die für ihre Freiheit, dafür ein eigenes Leben zu haben, bereit ist, über Leichen zu gehen. Catherine wird zur Täterin, weil sie ein Opfer ist – der Männergesellschaft und der
Feudalgesellschaft.
Aber auch Sebastian, der Liebhaber, der zum Mittäter wird, wird dies aus Notwehr.
Die Spirale der Gewalt wird zunächst weiter gesteigert. Dann gesteht Sebastian seine Verbrechen und klagt Catherine an. Aber natürlich schenken ihr, der Frau und Angehörigen der Oberklasse, die Leute mehr Glauben, als dem Knecht. Die Oberklasse siegt, und längst hat Catherine anerkannt, dass sie selbstverständlich ein Teil ihrer Schicht ist.
Dass wir Zuschauer diesen Weg mit der Figur gehen, ohne sie moralisch zu ächten, uns zu distanzieren, das ist zum großen Teil Florence Pugh zuzuschreiben, der charismatischen Hauptdarstellerin. Erst 19 Jahre alt bei den Dreharbeiten trägt sie den Film.
Vermeintlich eine weitere jener rosé-sanften Porzellanfräuleins britischer Kostümdramen, macht sie die stählerne Seite unter dem Oberschichtpuppen-Antlitz sichtbar.
Lady Macbeth ist eine Adaption der Novelle »Lady Macbeth von Minsk«, die die Vorlage einer Shostakovich-Oper bildet. Faszinierend ist, wie es diesem Film gelingt, dass man immer Verständnis und Anteilnahme für diese Person empfindet, obwohl Catherines moralische Vergehen evident sind.
Eine große stilistische Leistung dieses erstaunlichen, sehr gelungenen Debütfilms ist auch, wie er uns einmal mehr in die Welt von Jane Austen eintauchen lässt, aber endlich einmal die kontrastreichen und pechschwarzen Seiten aller sonst eher gedämpften Jane-Austen-Gefühlslagen zeigt.