Island/S/PL 2021 · 106 min. · FSK: ab 16 Regie: Valdimar Jóhannsson Drehbuch: Valdimar Jóhannsson, Sjón Kamera: Eli Arenson Darsteller: Noomi Rapace, Hilmir Snær Guðnason, Björn Hlynur Haraldsson, Ingvar Sigurdsson u.a. |
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Das Schaf im Wollpulli | ||
(Foto: Koch Films) |
Diese triste Erhabenheit – was die Wiesen und Berge Islands in einem auslösen, lässt sich schwer beschreiben. Eindrucksvoll und zugleich irgendwie trostlos entfaltet sich die Landschaft, deren Mystik man mehr fühlt als sieht. In den vergangenen Jahren transportierten so unterschiedliche Filme wie Weißer weißer Tag von Hlynur Palmason und Grímur Hákonarsons Milchkrieg in Dalsmynni dieses Bild immer wieder. Nun ist mit Valdimar Jóhannssons Debüt Lamb ein weiteres Werk hinzugekommen, das sich nicht nur von diesen beiden, sondern von so gut wie allem unterscheidet, was in letzter Zeit im Kino zu sehen war.
Über diesen Film zu sprechen ist keine leichte Angelegenheit. Man will ihn natürlich einerseits umfassend würdigen, andererseits nicht zu viel verraten. Schließlich soll der Zuschauer gehörig überrumpelt werden. Aber da die Überraschung nicht der einzige Höhepunkt in Lamb ist, kann man sich ruhig in die Handlung stürzen. Die beginnt am Weihnachtsabend im Schafstall, wo sich Ungeheuerliches zuträgt. Man bekommt nicht zu sehen, was genau geschieht, doch die Nahaufnahmen der Gesichter der wolligen Tiere sorgen allein schon für Anspannung. Was Kameramann Eli Arenson hier auf die Leinwand bringt, kann man nur als große Kunst bezeichnen. Die Natur – egal ob Berg oder Tier – ist in Lamb eine unheimliche Macht, die nichts konkret ausspricht, doch eine ganz eigene Ordnung in sich trägt, von der die Menschen weit entfernt sind.
Nach diesem Einstieg wird der Film deutlich stiller – und kommt zu den Menschen. Genauer gesagt, zum Bauernpaar Maria (Noomi Rapace, vor allem aus Stieg Larssons Millennium-Trilogie bekannt) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason), die hier mit ihren Tieren komplett allein in der Einöde leben. Viel zu reden gibt es zwischen ihnen nicht, die ersten Worte fallen ungefähr nach einer Viertelstunde. Die Stimmung zwischen den beiden ist schwer zu beschreiben. Feindseligkeit oder abgestumpfter Trott ist nicht direkt zu spüren, viel mehr hängt etwas Drückendes über der gemeinsamen Existenz. Lamb spricht nicht viel direkt aus, auch wenn er wieder ins Fantastische umschlägt.
Was Maria da eines Tages aus einem ihrer Schafe zieht, ist alles andere als ein gewöhnliches Lamm. Was es nun ist, das steht nun vorerst als großes Fragezeichen im Raum. Bald steht dort aber auch eine Kinderwiege. Für das Wesen, das sie in die Welt gebracht haben, empfindet das Paar ganz offensichtlich Elterngefühle. Soll man nun verraten, was dieses Wesen ist? Schleichen wir mal folgendermaßen um die genaue Antwort herum: Der Anblick lässt einen verdattert und amüsiert gleichermaßen zurück. Und man kann es irgendwie verstehen, dass Maria und Ingvar hier Sympathien haben, ist es doch wirklich zu süß. Dass das Geschöpf Ergebnis eben jener unheimlichen Weihnacht am Anfang nun zum eigenen Kind erhoben wird, ist dann wieder ein anderes Paar Stiefel.
Es läge zuerst nahe, Lamb im Folk Horror- oder Fantasy-Bereich anzusiedeln. Beides trifft nicht vollständig zu. Viel mehr hat Valdimar Jóhannsson eine filmische Sage geschaffen, die mit anderen geografischen Daten auch bei den Gebrüdern Grimm stehen könnte. Das Übernatürliche ist hier keinesfalls der Grund für Schrecken, sondern sogar für die Erfüllung der innersten Wünsche. Jóhannsson erzählt die Geschichte ohne große Ausschmückung und Spannungsbögen, sondern lässt dem Geschehen seinen Lauf, in das auch unvermittelt Ingvars Bruder Pétur (Björn Hlynur Haraldsson) tritt. Der steht dem Adoptivnachwuchs, den man inzwischen Ada getauft hat, zuerst skeptisch gegenüber. Nach einiger Zeit schafft es aber auch er, seine »Nichte« ins Herz zu schließen. Als alles perfekt scheint, zeigt sich jedoch mehr als eine dunkle Wolke, die über dem Idyll schwebt. Der Film öffnet hier gleich mehrere Zugangsmöglichkeiten, die sich über Begriffe wie Verlust, Familie und nicht zuletzt Natur erschließen lassen. Kann man hier bereits von einer Versündigung gegen diese sprechen? In Lamb lässt sich das alles nicht so einfach fassen. Sicher durchbrechen Maria und Ingvar die mystische Ordnung, die um sie herum und über ihnen herrscht, dennoch ist ihr Handeln weitab von dem, was man böse nennen könnte. Mit eindeutigen Antworten kommt Jóhannsson ganz sicher nicht um die Ecke. Der Mensch ist in dieser Welt eingekeilt zwischen dem eigenen Schmerz und einer höheren Ordnung. Um Ersteren zu lindern, muss er in diese Ordnung eingreifen, ihr Gefüge durcheinanderbringen. Diese kleine Geschichte zeigt, wie leicht das sein kann, aber auch, welche Konsequenzen daraus erwachsen und dass die Wurzel des Übels damit keinesfalls vernichtet ist.
Hier muss man allerdings noch einbringen, dass Lamb auch seine kleineren Schwächen hat. Er schafft es nicht ganz, ästhetisch auf dem Niveau zu bleiben, das er anfangs verspricht, und auch die Handlung stockt ab und an, wenn das Mystische allzu sehr ins Alltägliche übergeht. Diesen Wandel könnte man dem Film zwar zu Gute halten, dennoch fesselt er mehr stellenweise als durchgehend. Trotzdem lohnt sich der Gang ins Kino, dieser Film ist wieder so ein Beweis dafür, dass ein junger Filmemacher es noch schaffen kann, ein Werk ganz nach den eigenen Vorstellungen entstehen zu lassen, ohne sich Erwartungen und Kategorien zu orientieren. Und in Erinnerung bleiben dann nicht die kleinen Mankos, sondern in erster Linie die magischen Momente mit ihren Bergen, Tieren und Dingen, die sich der menschlichen Logik entziehen.