Frankreich/B 2019 · 104 min. · FSK: ab 12 Regie: Edouard Bergeon Drehbuch: Edouard Bergeon, Emmanuel Courcol, Bruno Ulmer Kamera: Éric Dumont Darsteller: Guillaume Canet, Veerle Baetens, Anthony Bajon, Rufus, Samir Guesmi u.a. |
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Unwiederbringliche Erinnerung: Alt und jung, Tradition und Moderne an einem Tisch | ||
(Foto: Weltkino) |
Bauer sein war nie einfach. Zwar hat Knut Hamsun in seinem Segen der Erde versucht, dem Fluch des Bauernstandes ein neues Bild entgegenzuwuchten, aber wenn man Nobelpreisträger gegen Nobelpreisträger ausspielen wollte, dann würde W.S. Reymonts »Die polnischen Bauern« den Sieg davontragen – denn schonungsloser (und schöner) als der 1924 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnete Władysław Reymont hat seitdem niemand bäuerlichen Alltag in Worte gefasst.
Und weil jeder mehr mit dem Einkaufen von Lebensmitteln als mit der Frage nach deren Produktion beschäftigt ist, dringen auch heute nicht anders als damals nur vereinzelt Warnsignale über die unfassbaren Zustände und Veränderungen der globalen Landwirtschaft in unsere Lebensblasen. Die durch Marktliberalisierungen nicht nachlassenden Selbstmordwellen indischer Bauern etwa oder das Ringen um eine ökologische, selbstbestimmte Landwirtschaft in John Chesters eindringlicher Dokumentation Unsere große kleine Farm zeigen, wie fragil die Grundlagen unserer Ernährung sind, ja immer gewesen sind.
Einen weiteren wichtigen Beitrag zu diesem Thema liefert Édouard Bergeons in den französischen Kinos sehr erfolgreicher Spielfilm Das Land meines Vaters über seine eigene Vergangenheit, seine Familie und im Besonderen seinen Vater Pierre (Guillaume Canet), der sein Ringen um Tradition und Fortschritt mit besten Absichten startete, um am Ende, von Depressionen gezeichnet, absichtslos zu scheitern.
Um diesen bitteren Verlust eines Traums zu erzählen, holt Bergeon in seinem Spielfilmdebüt weit aus und setzt mit der Schilderung seines Vaters im Jahr 1979 ein, nach der Rückkehr von einem Landwirtschaftspraktikum in den USA, das ihn mit neuen Ideen euphorisiert hat und ihn von der Industrialisierung der Landwirtschaft träumen lässt, die er mit dem Betrieb seines Vaters auch in die Wege leitet. Zwar kritisiert ihn sein Vater Jacques (Rufus) zunehmend für seine Vernachlässigung traditioneller, bäuerlicher Werte, aber mit der Unterstützung seiner Jugendfreundin Claire (Veerle Baetens), die er inzwischen geheiratet hat, und den beiden Kindern, scheinen auch im Privaten alle Träume Pierres Realität zu werden. Mehr noch, als die sich zunehmend etablierenden EU-Richtlinien Pierres Traum einer modernen Landwirtschaft im Nordwesten Frankreichs äußerst zuträglich zu sein scheinen. Wie jeder Bauer, der seinen Betrieb vergrößern will und muss, um zu überleben, nimmt auch Pierre bedenkenlos Schulden auf und gerät zunehmend in ein Hamsterrad, das sich immer schneller dreht und Pierre auch im Privaten zunehmend verunsichert.
Bergeon schildert diese Verfallsgeschichte eines Berufsstandes und einer Familie mit dichten, dokumentarischen Bildern, in denen der Wechsel des Wetters, der Jahreszeiten genauso intensiv platziert wird wie die flirrenden Wetterwechsel in den persönlichen Beziehungen – der Liebe und der Abkehr zwischen Vater und Sohn, Sohn und Frau und schließlich die Abkehr von der eigenen Persönlichkeit und der Übergang in den ewigen Winter der Depression.
Gleichzeitig ragt Bergeons Film immer wieder über das Private hinaus, wird hier über den Mikrokosmos einer bäuerlichen Familie auch die Geschichte eines ganzen Landes, ja der ganzen Welt erzählt, eine Geschichte von verfallenden Preisen und Globalisierung, eine Geschichte von Opfern eines Systems, dessen Kontrolle wir schon vor langer Zeit abgegeben haben und das inzwischen nicht nur die »kleinen« Bauern Frankreichs zermalmt, sondern weltweit für Ernüchterung sorgt, ohne dass dabei eine klare Gegenvision entstünde, den überbevölkerten Planeten zu ernähren.
Bergeons Film stellt dabei auf sehr unaufdringliche, »private« Weise die sehr existentielle und politische Frage nach unserer Identität. Wer wollen wir in Zukunft sein, was sind wir bereit aufzugeben? Mit seinem überragenden Ensemble, das bis in die feinste Seelen-Architektur der Protagonisten dringt, wird diese Frage im Laufe von Das Land meines Vaters jedoch zu etwas viel Gefährlicherem, Unheimlicherem – einem Epilog auf ein Leben, das unwiederbringlich verloren ist.