Australien/D 2001 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Ray Lawrence Drehbuch: Andrew Boswell Kamera: Mandy Walker Darsteller: Anthony LaPaglia, Geoffrey Rush, Barbara Hershey, Kerry Armstrong u.a. |
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LaPaglia und Armstrong |
Ganz zu Beginn hört man erst einmal hin: Ein Schnarren, Zirpen, verschiedene Klänge durcheinander. Insekten. Die Kamera fährt auf ein Gebüsch zu. Rosane Blüten, deren schweren Duft man selbst noch im Kino zu riechen glaubt: Lantana, das ist zuerst einmal der Name dieser Blüten, eines Busches, der an jeder Ecke vorkommt in Australien. Die Kamera dringt ein in dieses Gestrüpp, durchstöbert das Dickicht, und der dichte Geräuscheteppich, der sie begleitet, ihre Bewegungen schaffen eine unklar-düstere Stimmung, lassen Schlimmes ahnen. Und tatsächlich: Gleich darauf sieht man den toten Körper einer Frau.
Aber das Bild, das uns zuerst auch ein wenig an David Lynchs Anfang von Blue Velvet erinnert, wird sich im Laufe des Films als Täuschung erweisen, als Irreführung – wie überhaupt vieles trügerisch ist an Lantana. Und die Rätsel, die uns hier aufgegeben werden, sind nicht dazu da, um wirklich gelöst zu werden, sie sollen uns etwas über uns selbst erfahren lassen und unser Leben verändern.
Dasein, meint Regisseur Ray Lawrence, der den Film gemeinsam mit Andrew Bovell auch geschrieben hat, sei »ein Kampf, den wir mit uns selber führen.« Sein Film spielt im australischen Sidney, das Leben hier ist leicht, ganz normal und problemlos, doch unter der Oberfläche des Alltäglichen lauert jene Gefahr, die wir alle kennen: Dass alles ganz anders wird, dass alles so bleibt, wie es ist.
Eine Handvoll Menschen, deren Schicksal miteinander verwoben ist: Die Psychoanalytikerin
Valerie (Barbara Hershey in einem ihrer besten Auftritte seit langem), äußerlich selbstbewusst, innerlich gebrochen. Denn ihre Tochter wurde vor zwei Jahren ermordet, sie hat ein Buch geschrieben, in dem sie hilflos versucht, diesen Tod zu bewältigen. Ihre Ehe scheint auf merkwürdig unnötige Weise unglücklich. Und den ganzen Tag über hört sie sich in ihrer Praxis die Geschichten von anderen unglücklichen Ehen an. Zum Beispiel von Sonja (Kerry Armstrong), deren Verhältnis zu ihrem Mann
Leon zunehmend kühler wird. Dieser Leon, wiederum, Polizist in der Mordkommission, steht im Zentrum der Geschichte. Gespielt vom überzeugenden amerikanischen Darsteller Anthony LaPaglia lernt man ihn so am besten zu verstehen, begreift seine Midlife-Crisis, erkennt die Beweggründe seines Handelns, beobachtet die kleinen Niederträchtigkeiten des Alltagslebens, die immer wieder seine Sensibilität von brutaler Stumpfheit durchbrechen lassen. Und alles dies führt ihn zu einer
kurzen Affaire mit Jane, die im gleichen Salsa-Kurs tanzt wie Sonja.
Zugleich sind es aber mehr die Frauen, ist es die Weiblichkeit, die im Mittelpunkt steht: Auch die der Männer. Denn auf seine Art erzählt Lantana die Geschichte eines verhärteten, durchs Leben enttäuschten Mannes, der – von den Ereignissen um ihn herum, dem Zufall, aber auch, weil er es selber will –, lernt, sich wieder zu öffnen, zu seinen Gefühlen zu stehen. Und es gehört zu den nahegehendsten Momenten in diesem berührenden Film, wenn man beobachtet, wie dieser Kraftklotz Leon/LaPaglia weint, schreit, um sich schlägt, endlich zu sagen wagt, was in ihm vorgeht – seine gesellschaftliche Konditionierung durchbricht, »weibliche Tugenden« lernt.
Die Zuschauer begleiten Leon und Valerie, Sonja und Jane, ihr Leben und die Menschen um sie herum: Die scheinbar harmlos-primitiven Nachbarn von Jane (Rachael Blake), John (Geoffrey Rush), den intellektuellen Mann von Valerie, die pubertierenden Söhne von Leon, die heimlich Hasch rauchen – ein Panorama normaler Menschen in ihren alltäglichen Lebenslügen, in deren Dasein aber das große Drama, Tod und Leidenschaft, der Zwang, der Wahrheit ins Auge zu sehen, ganz nahe sind, das Schicksal mit seinen Schlägen, eine merkwürdig unfassbare Bedrohung immer präsent. Und eines Tages verschwindet jemand aus diesem Kreis, und Leon beginnt zu ermitteln...
Ruhig, mit langem Atem und einer eleganten Intensität, die irgendwo zwischen Ang Lees Der Eissturm und den Filmen Michael Winterbottoms angesiedelt ist, gelingt Ray Lawrence ein berührender, kühl-gefühlvoller, sehr starker Film, in dem sich Thriller und Beziehungsdrama vermischen. Das erwachsene, reife, existentielle Entfremdungsszenario zeigt ein menschliches Dasein voller unterdrückter Gefühle, voller Furcht und Eigennutz, Hoffnung und Verrat, geprägt von der ewigen Frage nach dem Glück in diesem Leben. Ohne Zweifel ist Lantana einer der allerbesten Filme des Kinojahres.