Land of Dreams

USA 2021 · 118 min. · FSK: ab 12
Regie: Shoja Azari, Shirin Neshat
Drehbuch: ,
Kamera: Ghasem Ebrahimian
Darsteller: Sheila Vand, Matt Dillon, William Moseley, Isabella Rossellini, Anna Gunn u.a.
Filmszene »Land of Dreams«
Die Wüste als Allegorie des Traums
(Foto: W-Film)

The artist’s gaze

Surreal, allegorisch, politisch und ein wenig romantisch: Die iranische Künstlerin Shirin Neshat hat mit Land of Dreams einen futuristischen Film geschaffen, der inmitten der Dystopie das Träumen nicht vergisst

Stellen wir uns die USA als tota­li­tären Über­wa­chungs­staat vor. Huch, das klingt ja gar nicht mehr so abwegig, Trump is coming back… Shirin Neshat, die in New York lebende iranische Künst­lerin, stellt sich das vor. In ihrem neuen Film Land of Dreams will der Staat nicht nur wissen, wie viele Menschen in einem Haushalt leben und was die jewei­ligen Berufe der Bewohner sind, sondern auch: welche Träume sie haben. Nicht aber die mate­ri­ellen Träume sind damit gemeint – Swimming Pool, Luxus­reise –, auch nicht der American Dream – Freiheit, Gleich­heit, Wohlstand – sondern die nächt­li­chen Träume, die die Menschen willent­lich nicht kontrol­lieren können. Sie schaffen vielmehr den Zugang zu ihrem Unbe­wussten. Zwei Mal hinter­ein­ander sollen sie ihre Träume erzählen, um sie faktisch zu machen, damit Unsi­cher­heiten und Verschwom­men­heiten der Erzählung heraus­ge­fil­tert werden. Wie das eben so ist, wenn man sich an einen Traum erinnern soll. Die junge Simin, die die Befragung auf Tonband aufzeichnet, sagt, die Träume zu erzählen, würde die staat­liche Sicher­heit der Bürger erhöhen. Nicht alle machen mit. Dafür trifft sie auf Männer, die ihr augen­blick­lich verfallen.

Land of Dreams ist der dritte Kino­lang­film von Shirin Neshat, die seit ihrem Debüt Women Without Men (2009) mit Premieren bei den Film­fest­spielen Venedig fest in der Filmwelt etabliert ist. Sie kam im Jahr der Isla­mi­schen Revo­lu­tion, 1979, aus dem Iran in die USA, floh vor den frau­en­ver­ach­tenden Repres­sionen des reli­giösen Führers Ajatollah Chomeini und studierte Kunst in Berkeley. Bereits in jungen Jahren fand sie ihr Sujet: Sie begann, musli­mi­sche Frauen auf der ganzen Welt in einer fein gear­bei­teten Schwarz­weiß-Portrait­kunst zu foto­gra­fieren. Ihre Serie »Women of Allah«, die in den Neun­zi­ger­jahren entstand, zeigte Frauen im boden­langen Tschador, den Blick fest in die Kamera gerichtet. Er ist der Gegen­schuss – auf manchen der foto­gra­fi­schen Insze­nie­rungen richten die Frauen zusätz­lich Pisto­len­läufe in die Kamera und damit direkt auf den Betrachter – der Objekt­ge­wor­denen. Bei Shirin Neshat stehen die Frauen aufrecht, die Hände und Gesichter mit bedeu­tungs­vollen Kalli­gra­phien beschrieben, Versen des persi­schen Sufi-Mystiker Rumi.

Neshat vereint in ihrem foto­gra­fi­schen und filmi­schen Werk die Schönheit (der Frauen) mit einer kraft­vollen poli­ti­schen und femi­nis­ti­schen Aussage – und der Absage an das Patri­ar­chat, nicht nur der irani­schen Mullahs. Auch in Land of Dreams hat sie eine aufrechte, mutige Frau in den Mittel­punkt gestellt. Simin, gespielt von der stoischen Sheila Vand (man hat sie noch von Ana Lily Amirpours A Girl Walks Home Alone At Night als femins­ti­schen Vampir in Erin­ne­rung), unter­läuft subversiv die Anord­nungen der Über­wa­chungs­behörde – und übersetzt die aufge­zeich­neten Träume in eine eigene Perfor­mance­kunst, wieder­holt mit Perücke, Schminke und Kostüm die Traum­er­zäh­lungen der Befragten und zeichnet sie auf Video auf.

Während die Bewohner des ameri­ka­ni­schen Hinter­lands noch alle sehr freund­lich und unbedarft wirken, aktiviert die Regie­rungs­behörde faschis­toide Über­wa­chungs­prak­tiken an virtu­ellen Bild­schirmen, die holo­gra­phisch die Infor­ma­tionen über die Lands­leute mitten im Raum erscheinen lassen, eine Metapher für den gläsernen Bürger – und für die irrele­vant gewordene, zu reinen Data entkör­perte Masse Mensch. Simin, deren Name etwa so viel wie Seele bedeutet, ist in dieser tech­no­kra­ti­schen Anordnung die Traum­fän­gerin. Sie bewahrt die Seelen der Ameri­kaner in ihrer immer auch schrillen Camp-Kunst auf – wie zuvor Neshat in ihren sanften Schwarz­weiß­fo­to­gra­fien die Seelen der Muslima. Simin ist auch Alter Ego von Shirin Neshat, eine Wieder­gän­gerin der jungen Iranerin, die Ende der Sieb­zi­ger­jahre in die USA kam.

Auch die Immi­gra­tion, das Fremdsein von Simin, spielt eine Rolle, wenn sie latenter oder offener Xeno­phobie ausge­setzt ist. Das führt bald zu einem augenöff­nenden Plotpoint. In einer Schlüs­sel­szene betritt Simin »die Kolonie«, in die sich ehemalige Revo­lu­ti­onäre zurück­ge­zogen haben, ein karges Dorf, dessen Wände mit Schwarz­weiß­fo­to­gra­fien von Frauen und Männern plaka­tiert sind. Auch die Träume der im Verbor­genen Lebenden soll Simin einfangen.

Shirin Neshat hat mit Land of Dreams einen Film geschaffen, der heute auf vielen Ebenen höchst aktuell wirkt. Ihre Figur Simin kann auch als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur für die jungen Irane­rinnen wirken, die sich derzeit der patriachal-syste­mi­schen Befehls­ge­walt wider­setzen – sofern der Film überhaupt in Iran zu sehen sein sollte. In jedem Fall aber richtet er sich an die dritte Genera­tion der Immi­gran­tinnen, ihr Selbst­be­wusst­sein auszu­agieren. Jenseits seiner Aussa­ge­kraft wirkt der kunst­volle Film in jedem Moment onirisch, zu großen Teilen wurde er in der farb­entsät­tigten Wüste von New Mexico gedreht – eine surreale Land­schaft, die an die Filme des Chilenen Alejandro Jodo­rowsky erinnert, an Philippe Garrels surreale Wüste in La cicatrice inte­ri­eure (2007) und auch an künst­le­ri­sche Arbeiten, etwa an »En la pampa« des kata­la­ni­schen Künstlers Jordi Colomer.

Die Surrea­lität des Sujets verdankt sich nicht zuletzt Jean-Claude Carrière, dem letztes Jahr verstor­benen Dreh­buch­autor von Luis Buñuel. Zusammen mit Shoja Azari, einem wie Neshat in New York lebenden irani­schen Künstler, schuf er eine große Allegorie über das Ende der Freiheit Amerikas. Das wird noch nicht einmal zum Alptraum. Denn dem Zugriff durch die Behörde kann man sich nur durch die Worte entziehen: »Ich träume nie.«