Frankreich 2016 · 102 min. · FSK: ab 0 Regie: Thomas Lilti Drehbuch: Thomas Lilti, Baya Kasmi Kamera: Nicolas Gaurin Darsteller: François Cluzet, Marianne Denicourt, Isabelle Sadoyan, Félix Moati, Christophe Odent u.a. |
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Der Landarzt und seine Nachfolgerin, die es naturgemäß schwer hat |
Mitunter steht dem Publikum der Geschmack nach etwas mehr Realismus als sich rein von Eskapismus unterhalten zu lassen. Während manche formelhaften Komödien wie Mein ziemlich kleiner Freund zuletzt an den französischen Kassen hinter den Erwartungen zurück blieben, entwickelte sich Der Landarzt von Chaussy mit 1,5 Millionen Besuchern zum Überraschungserfolg. Am stets beliebten Francois Cluzet (Ziemlich beste Freunde, Zwischen den Wellen) allein mag es nicht gelegen haben, obwohl der viel beschäftigte Star als krebskranker Dr. Jean-Pierre Werner erneut eine wohltuend zurückhaltende Leistung zeigt. Indem er den beliebten, aber sehr von sich überzeugten Dorfdoktor auf eine selbstbewusste Kollegin treffen lässt, beweist Regisseur Thomas Lilti einen Blick für die Konventionen der romantischen Komödie.
Ebenso lässt sich aber an dem im Original schlicht Médecin de campagne, Landarzt betitelten Werk die medizinische Ausbildung des Regisseurs erkennen. Mit seinem dritten Langfilm greift Lilti noch stärker als im Generationsdrama Hippocrate auf seine Erfahrungen als Assistenzarzt zurück. Damals wurde er mehrfach als Vertretung etwa in der Normandie eingesetzt. Daher versteht er die gemeinsam mit Baya Kasmi verfasste Geschichte als Appell für einen sich im Aussterben befindlichen Berufszweig. Häufig erweist es sich inzwischen als schwierig, vakante Stellen in der Provinz neu zu besetzen.
In der Fiktion geht dieser Prozess etwas rascher vonstatten: Als ein Kollege von Dr. Werners Tumor erfährt, stellt er ihm eine erfahrene Kollegin an die Seite. Nach Hippocrate verkörpert Marianne Denicourt, einst Muse Arnaud Deplechins, zum zweiten Mal eine Medizinerin. Nachdem Dr. Nathalie Delezia in der Dorfgemeinschaft eintrifft, lässt Jean-Pierre Werner, der sich – nicht unberechtigt – für unverzichtbar hält, sie erst einmal auflaufen. Die Erfahrungen im Umgang mit dem Menschenschlag, ihren Gewohn- und Eigenheiten muss sich die Ex-Krankenschwester erst ebenso langsam aneignen wie der Umgang mit bissigen Gänsen. Zwar zerfließt der allseits geschätzte Doktor angesichts des eigenen Schicksalsschlags nicht in Selbstmitleid, sondern stürzt sich sofort wieder in die Arbeit. Mit dem Gedanken, ersetzbar zu sein, will sich der Sturkopf, der für viele als Ansprechpartner auftritt, aber nicht anfreunden.
Bei der Konfrontation der beiden eigenwilligen Mediziner vergisst Thomas Lilti den Humor nicht. Trotzdem belässt er es im Hinblick auf eine mögliche Beziehung zwischen den unterschiedlichen Charakteren bei Andeutungen. Obwohl der Plot im Finale etwas zu forciert wirkt, lebt er von der lakonischen Erzählweise und den glaubwürdig entwickelten Figuren, wozu ebenfalls die Typen in den Nebenrollen zählen. Es zeigt sich, dass ein Vertrauensverhältnis zu Patienten erst langsam aufgebaut werden muss und es bei den Diagnosen nicht immer eindeutige Lösungen geben kann. Es gehört zu Thomas Liltis Stärken, manche unangenehme Wahrheit subtil und nuanciert einfließen zu lassen, ohne die Genrebausteine ganz aus den Augen zu verlieren.