Iran 2017 · 117 min. Regie: Mohammad Rasoulof Drehbuch: Mohammad Rasoulof Kamera: Ashkan Ashkani Darsteller: Reza Akhlaghirad, Soudabeh Beizaee, Nasim Adabi, Misagh Zare, Zeinab Shabani u.a. |
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Geschlossene Gesellschaft |
»Ich will keine Bestechungsgelder zahlen.« Reza ist fest entschlossen. »Spinnst du?«, antwortet ihm sein Schwager. Der Schwager ist nicht etwa einer von denen, die Reza übers Ohr hauen. Er meint es gut. Darum rät er Reza, nicht stur zu sein, sondern schlau. Aber wo wird Schläue zu Opportunismus, wie unterscheidet sich Sturheit von Prinzipientreue? Was ist einer bereit auf sich zu nehmen, wenn ihm Unrecht geschieht?
Diese Fragen stehen im Zentrum des iranischen Films Ein integrer Mann. Der neue Film des bekannten iranischen Filmregisseurs Mohammad Rasoulof entfaltet ein moralisches Drama. Einerseits ist dies ein ganz zeit- und ortloser Film, der überall spielen könnte. Moralische Dilemmata kennen wir alle. Im Zentrum steht eine Art moderner Hiob. Aber es macht doch einen Unterschied, weil dieser sture, konsequente, hochmoralische Mann, der es im Stil eines Einzelkämpfers mit höheren, mächtigeren Instanzen aufnimmt, im Iran lebt. Im Land der Mullahs.
Reza ist Züchter von Goldfischen. Die haben im Iran eine symbolische Bedeutung und werden gern verschenkt, als Symbol von Lebensfreude. Vor einiger Zeit ist er extra aus der Hauptstadt Teheran in den Norden gezogen, vor allem deswegen, weil er gehofft und geglaubt hat, dass ihn die Behörden hier vermutlich weniger behelligen würden. In Teheran hat er noch als Lehrer gearbeitet, aber irgendwann kam es dann zum Konflikt mit der Obrigkeit, als er gegen schlechtes Essen protestierte.
In seiner neuen Heimat mit neuem Beruf wird es nicht besser und nicht anders. Ein beklemmendes Gefühl der Bedrohung ist hier von Anfang an präsent. Als er nicht mit den örtlichen Amtsträgern und Grundbesitzern kooperiert, hagelt es Konsequenzen. Sie drehen ihm das Wasser ab. Sie vergiften das Wasser. Er wird unter falschen Voraussetzungen ins Gefängnis geworfen. Und eines Tages sind seine Fische tot.
Aber er kämpft unverdrossen weiter. Seine Frau steht zu ihm, aber sie leidet auch
unter seinem Benehmen und bittet Reza irgendwann, kompromissbereiter zu sein.
Keine Chance.
Dies ist trotzdem nicht nur die einfache Geschichte eines iranischen Gerechtigkeitskämpfers.
In seinem sechsten, im Norden des Iran unter strenger Geheimhaltung an den Zensurbehörden vorbei gedrehten Spielfilm zeichnet Mohammad Rasoulof das Porträt einer geschlossenen Gesellschaft, wo lokale Oligarchien herrschen, die von Willkür und Korruption dominiert sind. Sein neuer Film erzählt von einer Gratwanderung zwischen Anpassung und Konsequenz, Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit. Rasoulof erzählt betont nüchtern, er bietet eine Chronik der Ereignisse. Dieser Film ist natürlich eine massive Kritik an den herrschenden Verhältnissen im Iran.
Trotzdem sollte man es sich im Westen gerade mit diesem Film nicht zu leicht machen und ihn zu schnell für eigene oberflächliche Sichtweisen vereinnahmen. Denn Rasoulof differenziert fein, und sein Bild der Obrigkeit kennt viele Zwischentöne, mehr Grau als Schwarzweiß.
Schon die Hauptfigur Reza ist komplex in ihrem Teufelskreis zwischen Rechtschaffenheit, Rechthaberei und Rache. Denn durch seine Gegenwehr gegen die Macht wird der selbstgerechte Reza selbst Teil der
Mächtigen.
Es gibt auch noch eine weitere Lesart: Wenn hier ein Charakter zum Filmhelden wird, der sich nicht unterkriegen lässt, der bereit ist, gegen die ganze Welt zu kämpfen, um Gerechtigkeit zu bekommen wie einst Michael Kohlhaas in Kleists Novelle, dann kann man diese Figur des Reza auch als Analogie verstehen: Auf den Iran selbst, dem von einem Teil der Welt immer neue Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden, der sich ungerecht von anderen Ländern behandelt fühlt –
einfach weil er das Spiel der Mächtigen nicht mitspielen will.
So oder so: Ein integrer Mann ist ein hervorragender facettenreicher lakonischer Thriller.