Frankreich 2011 · 100 min. · FSK: ab 6 Regie: Valérie Donzelli Drehbuch: Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm Kamera: Sébastien Buchmann Darsteller: Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm, César Desseix, Gabriel Elkaïm, Brigitte Sy u.a. |
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Kriegsschreie gegen den Krebs |
Ein Paar in Paris, jung und cool, das Kind ist fast ein bisschen früh gekommen, denkt man als Zuschauer, denn sie sind zwar wahnsinnig verliebt, aber haben vor allem sich selbst im Kopf, und gehen jeden Abend auf Partys. Dann trifft Juliette und Roméo der reine Horror: Adam, ihr gerade mal eineinhalbjähriger Sohn, hat Krebs! Überaus leidenschaftlich verfolgt der Film die Reaktionen der Eltern, ihrer Freunde und der Familie. Er zeigt, wie Juliette und Roméo um ihren Sohn ringen, aber
auch um sich, darum, dass ihr eigenes Glück nicht ganz von der bösen Krankheit aufgefressen wird. Valérie Donzelli und Jérémie Elkaim, die beide gemeinsam das Drehbuch schrieben und die Hauptrollen spielen – Regie führte Donzelli allein –, gelingt ein beeindruckender Drahtseilakt: Sie machen einen heiteren, über weite Strecken gutgelaunten, dabei nie schönfärberischen Film über ein trauriges Thema. Dabei nehmen sie ihr Sujet Krankheit überaus ernst, und baden trotzdem nie
in Tristesse. Dies hebt den Film weit hinaus über das Niveau eines bloßen Betroffenheitsstücks. Und so erzählen die Macher viel von der unmittelbaren Wirkung einer solchen Erkrankung: Wie ein jeder völlig unerfahren ist, und dabei plötzlich unvermuteten und zuvor unvorstellbaren Situationen bei Therapeuten und Ärzten ausgesetzt wird – dies kann wohl jeder Zuschauer ein bisschen nachvollziehen.
Die Ursache für diese Glanzleistung ist womöglich, dass Valérie Donzelli
und Jérémie Elkaim eine Geschichte erzählen, die autobiografisch grundiert ist: Sie waren selbst ein Paar, und ihr Sohn Gabriel erkrankte schwer an Krebs. Ihr Film lebt nicht zuletzt von der Spannung, ob der Junge überleben wird – und diese Spannung soll durch diese Rezension nicht genommen werden. Aber er lebt genauso davon, dass es selbst für jene, die als Kranke oder Angehörige unmittelbar von solchen lebensgefährlichen, über Jahre akuten Krankheiten betroffen sind, auch ein
Leben jenseits der Krankheit gibt.
Von den filmischen Mitteln her balanciert Das Leben Gehört Uns genau auf jenem schmalen Grad, auf dem offenbar nur das französische Kino das Gleichgewicht hält, und ohne abzustürzen von Glück und Schmerz erzählen kann, vom Schmerz des Glücks und vom Glück des Schmerzes: Sehr gefühlvoll, aber nicht kitschig, ernst aber nicht beflissen, heiter, aber nicht unangemessen albern. Man kann an Werke wie Kleine wahre Lügen denken, wie Der Name der Leute – Ziemlich beste Freunde ist im Vergleich zu ernst und konventionell, traut sich zu wenig Exzess zu. Wenn es so etwas wie Action der Gefühle geben sollte, dann ist dieser Film ein emotionaler
Actionfilm. Allenfalls mit der Musik wird manchmal etwas übermäßig herumgeworfen: Vivaldis »Vier Jahreszeiten« und französische Pop-Songs lösen einander ab. Dabei verweigert sich der Film keineswegs dem Realismus. Vielmehr wird emotionaler Realismus erst erzeugt, indem Ton und Bilder der Gefühlsverstärkung dienen: Francois Truffaut lässt grüßen, ebenso im gelegentlichen Stilmittel einer Erzählerstimme aus dem Off.
Darf man so mit Krebs umgehen? Nur deutsche Kritiker
können so etwas fragen. Aber möchte man pädagogische Lektionen oder bemühte Albernheiten – wie jener »Krebs bei Harald Schmidt« der in Dresens Krebsdrama Halt auf freier Strecke etwas Leichtigkeit in die Beflissenheit hauchen sollte – wie sollte es denn sonst gehen? Im Kampf gegen den Krebs ist das Glück der Regression bei einem Jahrmarktsbesuch, sind schwarze böse Witze über den
Feind im eigenen Körper (oder dem des Kindes) vielleicht ein schwacher, aber immerhin ein Trost. Lachen bannt die Angst wenigstens für einen Augenblick.
In Frankreich heißt der Film übrigens La guerre est declarée, zu deutsch: »Der Krieg ist erklärt.« Das ist ein guter Titel, denn er transportiert einerseits den Ernst des Kampfes, dem die Figuren hier ausgesetzt sind, wie jeder Mensch, wenn es um Krebs und um andere Fragen auf Leben und Tod geht. Andererseits transportiert er auch die Leidenschaft des Films. Dass sich der deutsche Verleih für Das Leben Gehört Uns entschieden hat, ist vor diesem Hintergrund unverständlich, zumal dieser Titel bereits vergeben ist: Für Jean Renoirs humanistischen Arbeiterfilm von 1936. Immerhin der Humanismus ist beiden Werken gemeinsam: Auch Valérie Donzelli und Jérémie Elkaim schauen genau hin, nehmen Anteil ohne viel Kitsch. So ist ihnen ein Film geglückt, der zwar von Krankheit und Tod handelt, aber eine Hymne auf das Leben ist. Ein leichtes Kinostück über eine schwere Krankheit.