Deutschland 2002 · 111 min. Regie: Peter Sempel Drehbuch: Peter Sempel Kamera: Tamara Goldsworthy, Peter Sempel Darsteller: Lemmy, Fast Eddie Clarke, Ozzy Osbourne u.a. |
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Lemmy Kilmister |
Der Mann, der die Band Motörhead seit Jahren in Europa vertritt, sieht genauso aus wie deren Chef Lemmy Kilmister. Nur seine Haare sind blond anstatt schwarz, und Warzen im Gesicht hat er auch keine. Die Frisur, die Ringe mit den Totenköpfen, die Zigarette – das alles stimmt. Seine Frau habe ihn vor Jahren mal vor die Wahl gestellt: Motörhead oder sie. Er entschied sich für Motörhead und sieht jetzt auch danach aus.
In Peter Sempels Dokumentarfilm Lemmy. A cinemaveritémotörartpunkfilm kommen nur Menschen zu Wort, für die Lemmy so etwas wie der letzte, echte Rock'n Roller ist. Ein Messias des heiligen, schlechten Geschmacks. Auch Sempels Dokumentarfilm ist eher die Arbeit eines Fans als der Versuch, etwas zu erklären. Es wird gezeigt, was vor die Kamera kommt. Das ist das Schöne an dem Film, darin liegt aber natürlich auch sein Haken: Menschen, die sich für Motörhead und Lemmy interessieren, werden sich auch für den Film interessieren. Allen anderen kann er getrost egal sein. Sie erfahren nicht viel, was über die Band hinaus relevant wäre. Hin und wieder wird zwar von einem Musikerkollegen, etwa von Dieter Meier von Yellow bescheinigt, dass Lemmy für die Musikgeschichte ungemein wichtig sei, aber ansonsten? Für die Fans ist besonders erfreulich, dass Sempels Film 15 Songs der Band enthält, zum größten Teil live und im Gegensatz zu vielen anderen Musik-Dokumentarfilmen auch ungekürzt, darunter »Ace of Spades« und »Overkill« sowie das wunderbare »Lost In The Ozone«.
Natürlich geht es die meiste Zeit um Frauen, Alkohol und Drogen. Lemmy ist Meister darin, allen Rock'n Roll-Klischees zu entsprechen. Gitarre zu spielen habe er angefangen wegen all der Mädels, die das toll fanden. In Hollywood wohne er, weil die Frauen dort die größten Titten hätten. Und auch generell würde er eh nichts anderes machen, außer auf Frauenjagd zu gehen und zu saufen. All das erzählt er, an einem grauen Tag vor dem »Bistro Marcel« sitzend, in der Gegend von Lüneburg, wo gerade eine neue Platte aufgenommen wird, grinst und weiß, dass man ihm das alles als »Authentizität« auslegen wird. Und irgendwie ist er auch noch charmant, während er all den Unsinn erzählt.
Um den Begriff »Authentizität« geht es in Sempels Film immer wieder. Authentizität wird an allen Ecken bescheinigt, bestätigt und beglaubigt. Lemmy kann ja auch den Parade-Lebenslauf für Rock'n Roller vorweisen. Er war Roadie von Jimi Hendrix und hat mit ihm LSD gegessen, er war Mitglied der Band Hawkwind, die ihn hinauswarf, weil er an einem Grenzübergang mit Drogen verhaftet wurde. Später soll er versucht haben, Sid Vicious von den Sex Pistols das Bass-Spielen beizubringen, doch der war wohl zu untalentiert. Wahrscheinlich hat sich Lemmy wirklich nicht groß verbiegen müssen in seiner mittlerweile über 30jährigen Karriere. Die Musik klingt immer noch gleich, gleich laut und gleich rotzig, angesiedelt irgendwo zwischen Rock'n Roll, Metal und Punk. Und es gab nach größerem Erfolg Anfang der Achtziger lange Durststrecken, in denen das ständige Touren zur Pflicht wurde, um zu überleben. Eben diese »Authentizität« scheint sich in den letzten Jahren wieder auszuzahlen. Nach 30 Jahren Bandgeschichte bekennen sich jetzt auch die Feuilletons zum Fantum. 2005 wurde Motörhead überraschend mit dem Grammy für das »Beste Metal-Album« ausgezeichnet.
Lemmy spielt gerne den bösen Buben. Das Sammeln von Nazi-Devotionalien nennt er sein Hobby, seine Wohnung in Hollywood gleicht einem Museum über das Dritte Reich. Im gefalle das Design von damals, sagt er lapidar. Und weiß doch genau darüber zu berichten, welchem flüchtigen Nazi-Verbrecher wo in den USA eine neue Karriere ermöglicht wurde. Immer wieder sieht man ihn Geld in Spielautomaten werfen, meist hält er einen Drink in der Hand und gibt sich betont ruppig und provokant. Doch in den Interview-Ausschnitten zeigt sich, dass er auch ein reflektierter, humorvoller und durchaus sensibler Typ sein kann. Aber hat man das nicht schon immer vermutet? Lemmy glaubt man seine Authentizität, irgendwie hat er sie ja für sein Metier mit erfunden und ist somit selbst Grund für das Klischee.
Es gibt eine längere Szene, in der Lemmy backstage für Fotos posiert. Mit schwarzem Cowboyhut, mal stehend, mal sitzend, Zigarette, Mittelfinger ausgestreckt, böse dreinschauend – alle Rock'n Roll-Gesten sind für die Kamera perfekt inszeniert und deshalb nicht weiter interessant. Interessant ist aber, was man währenddessen auf der Tonspur hört. Man kann nur wenig von dem verstehen, was die anwesenden Menschen im Hintergrund sprechen. Doch anscheinend wird dort allen Ernstes eine halbe Ewigkeit über Alkohol und Drinks diskutiert, ob jetzt Whiskey oder Wodka besser sei und überhaupt. So engagiert, als ob sie ausdiskutieren müssten, welcher Alkohol jetzt wirklich zum Rock'n Roll gehört. Und manche von ihnen wollen dann sogar so aussehen wie Lemmy. Weil er ja der letzte Echte ist.