Leid und Herrlichkeit

Dolor y gloria

Spanien 2019 · 114 min. · FSK: ab 6
Regie: Pedro Almodóvar
Drehbuch:
Kamera: José Luis Alcaine
Darsteller: Antonio Banderas, Leonardo Sbaraglia, Asier Etxeandia, Penélope Cruz, Nora Navas u.a.
Inspirierende Gegenkraft der Erinnerung

Trauerarbeit und Autofiktion

Den Künstler in der schöp­fe­ri­schen Krise hat der nun fast 70-jährige Pedro Almodóvar immer wieder zum Thema seiner Werke gemacht. Doch in seinem neuesten Film, seinem 21., Dolor y gloria ist es mehr als nur eine Schaf­fens­krise. Salvador Malla, so heißt das von Antonio Banderas gespielte Alter Ego des Regis­seurs, leidet derartig körper­lich, dass man ihn geradezu als Schmer­zens­mann bezeichnen kann. Die physi­schen Qualen, die Gedanken an Krankheit und Tod verschatten ihm jeglichen Vorstel­lungs­ho­ri­zont, jenseits dessen an so etwas wie eine weitere künst­le­ri­sche Arbeit als Film­re­gis­seur zu denken wäre.
Auch als die Wieder­auf­füh­rung eines gefei­erten Werks von ihm in der Madrider Cine­ma­thek bevor­steht, vermag er sich nicht so recht zu begeis­tern. Zumal die Erin­ne­rung an die seiner­zei­tige Premiere auch das schroffe Zerwürfnis mit dem Haupt­dar­steller herauf­be­schwört, der einst einer seiner engsten Vertrauten war.
Salvador kämpft also nicht nur mit den Schreck­nissen der biolo­gi­schen Vergäng­lich­keit, sondern auch mit dem mensch­li­chen Versagen, das ihn zunehmend verein­samen ließ.
Verzweif­lung und Düsternis hellen sich aller­dings auf, wenn Bilder aus der Kindheit in ihm erstehen. So löst eine Aquathe­rapie in der Reha die unwill­kür­liche Erin­ne­rung an eine Szene mit Wäsche­rinnen am Fluss aus, der er als kleiner Junge beiwohnte: Seine Mutter (verkör­pert von Penélope Cruz) und andere Frauen aus dem Dorf (unter ihnen Shooting-Star Rosalía, die aktuell in Spanien auf aufre­gende Weise Flamenco mit Pop und Hiphop vermischt) stimmen ein populäres Lied an und entfalten ein wunderbar licht­durch­flu­tetes Tableau, das den zweiten Teil des Titels einzu­lösen vermag, das also »dolor« mit »gloria« aufwiegt.
Dieser Kampf zwischen »dolor« und »gloria« verleiht dem gesamten Film eine immer wieder auf der Kippe stehende Textur. Er beschwört die drohende Lähmung des Imaginären, wie es sonst die Filme Almo­dó­vars ausmachte: jener Extra­va­ganzen der Karne­val­eske und des Melo­dra­ma­ti­schen, die Blas­phe­mien, Obszöni­täten und Provo­ka­tionen in ein fröh­li­ches Spiel der Subver­sion verwan­delten – nun werden Drogen nicht mehr für den Exzess, sondern als Schmerz­mittel benutzt. Der Film offenbart so eine erstaun­lich ernst­hafte und auch ernüch­terte Bilan­zie­rung des post­mo­dernen Self-Fashio­ning, wie es Almodóvar selbst seit den 1980-er Jahren aus dem Under­ground der Madrider Movida heraus gewis­ser­maßen öffent­lich aufführte und zur vielfach prämierten und allgemein aner­kannten Voll­endung brachte.
Zwischen Auto­fik­tion, Therapie und Trau­er­ar­beit chan­gie­rend werden verlorene Lieben, zerstörte Freund­schaften und geschei­terte Bezie­hungen regis­triert.
Die inspi­rie­rende Gegen­kraft der Erin­ne­rung sucht nun einen Weg, der tiefer zurück­reicht. Anders als in La mala educación wird dieser Weg zurück nicht in einer komplexen Film-im-Film-im-Film-Konstruk­tion verschach­telt. Almodóvar schenkt seinem Alter Ego Salvador Malla eine luzide Klarsicht, die ihm in der Kindheit die Quellen seines verschüt­teten Begehrens erschließt und damit die Möglich­keit, sich seiner Umwelt wieder ohne Verbit­te­rung zu öffnen, schenkt ihm die Kraft für Wieder­be­geg­nungen, die aus den Sack­gassen des Unver­söhn­li­chen hinaus­weisen.

Wie viel aus der tatsäch­li­chen Biogra­phie Pedro Almo­dó­vars hier buchs­täb­lich thema­ti­siert ist, das gehört in den Bereich der Speku­la­tion. Diese Frage wird überdies insbe­son­dere in den Szenen mit der alten Mutter Salvadors kurz vor deren Tod explizit ange­spro­chen: in dem Vorwurf, den sie ihm macht, er betreibe in seinen Filmen fort­wäh­rend Auto­fik­tion, etwas, was ihr gar nicht gefalle. Fast zwanzig Jahre nach dem Tod seiner Mutter zeichnet sich hier nach­ge­holte Trau­er­ar­beit ab. Dass das ohne die Koket­terie eitler Selbst­be­spie­ge­lung erfolgt, verdankt sich ganz dem fast selbstlos zu nennenden Schau­spiel Antonio Banderas', der in seiner nüch­ternen Zurück­ge­nom­men­heit der Figur des Salvador Malla Würde und Haltung gibt. Almodóvar und Banderas, seit den 1980ern Wegge­fährten, bezeugen so der langen gemein­samen Arbeit eine Reverenz, die nur von großer Aufrich­tig­keit sein kann.