Japan 2013 · 137 min. Regie: Isao Takahata Drehbuch: Isao Takahata, Riko Sakaguchi Musik: Joe Hisaishi Stimme: Aki Asakura, Kengo Kôra, Nobuko Miyamoto, Takeo Chii u.a. |
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Bilder einer Ausstellung |
Mal abgesehen von den üblichen, politisch korrekten Verdächtigen ist die Globalisierung wirklich ein Segen. Man denke nur an die deutschen Käsetheken Deutschlands in den 1970er Jahren. Außer Gouda, Edamer und Tilsiter und vielleicht noch einem Harzer ist nicht viel gewesen. Das Essen überhaupt. Und dann das Kino. Aber mit dem Essen hat sich auch die Filmlandschaft in Deutschland verändert; es scheint fast so, als habe der erweiterte kulinarische Geschmackshorizont auch gleich die filmischen Sehbedürfnisse transformiert.
Besonders gut nachzuvollziehen lässt sich dies an dem lange Zeit hartnäckig von amerikanischen Studios beherrschten Zeichentrickfilmsegment. Zwar gab es seit den 1970ern Jahren zumindest im TV-Bereich auch japanische Anime-Produktionen zu sehen – man denke an Wickie, Barbapapa, Heidi oder Captain Future – doch fürs Kino gezeichnete Großproduktionen waren zumeist in den Händen der Disney Studios. Dies sollte sich nicht nur durch die Neugründungen amerikanischer Zeichentrickstudios wie Pixar ändern, sondern auch durch ein 1985 gegründetes japanisches Anime-Studio – das von Hayao Miyazaki und Isao Takahata geleitete Studio Ghibli. Miyazaki und Takahata entschieden sich schon damals schon im Grunde für das, was Netflix, Fox, HBO und Co. heute mit ihren weltweit vertriebenen Serienkonzepten versuchen: über eine dezidierte Betonung auf nationale bzw. ethnische Besonderheiten Zuschauer auch außerhalb des eigenen Kulturraums zu gewinnen.
Erste überregionale Erfolge gab es mit Kikis kleiner Lieferservice (1989) und Ende der 1990er durch Prinzessin Mononoke, aber der weltweite Durchbruch gelang erst mit Chihiros Reise ins Zauberland (2001), dem inzwischen am häufigsten ausgezeichnete Zeichentrickfilm aller Zeiten. Seitdem findet nahezu jede Produktion des Studios Ghibli auch in Deutschland in die Kinos.
Ghibli deckt dabei nicht nur ein fast beängstigend weites Spektrum an Themen ab, sondern wagt sich auch stilistisch in immer neue Bereiche vor. Allein die letzten zwei Produktionen – eine ästhetisch wie inhaltlich atemberaubende Reise ins Tokio der 1960er (Der Mohnblumenberg) und das auch umstrittene, aber nichtsdestotrotz faszinierende Porträt eines Kriegswaffenkonstrukteurs (Wie der Wind sich hebt) – könnten kaum unterschiedlicher sein. Nun ist eine weitere, schillernde Arbeit hinzugekommen, Isao Takahatas Legende von Prinzessin Kaguya.
Und es ist fast so, als ob Ghibli mit diesem Film so etwas wie ein ultimates Manifest vorlegen würde: ein Manifest zur Schönheit, Individualität und Sinnhaftigkeit von Hand animierter Zeichentrickfilme. Denn auch Die Legende von Prinzessin Kaguya verzichtet fast ganz auf computeranimierte Sequenzen, so wie alle Produktionen Ghiblis. Stattdessen hat sich Takahata entschlossen, einen an altjapanischen Tuschezeichnungen angelehnten, bislang im Anime nie gesehenen Zeichenstil zu verwenden und damit auch der erzählten Geschichte gerecht zu werden.
Die Legende von Prinzessin Kaguya ist eine der ältesten Erzählungen Japans, die erstmals um 900 niedergeschrieben wurde. Die Geschichte um ein aus Bambus geborenes Findelkind, dass im Rekordtempo von Bambusbäumen zu einer unvergleichlich schönen Frau heranwächst und sich als einsame Prinzessin zahlreichen Heiratsanträgen adeligen Männer und schließlich sogar des Kaisers erwehren muss, trägt zum einen zwar märchenhafte Züge, erzählt dann aber auch hypnotisch präzise über das Ringen eines jungen Menschen nach individueller Freiheit.
Dabei ergänzen sich der immer wieder variierte Tuschestil – mal kalligraphisch fein, dann wieder wild expressionistisch – und die Inhalte der Geschichte auf völlig verblüffende Art und Weise. Nicht nur einmal sind einzelne Sequenzen so schön wie die Gemälde einer Ausstellung, treibt einem nicht nur die subtile Traurigkeit der Erzählung die Tränen in die Augen, sondern ist es die schlichtweg unfassbare Schönheit des Gesamtkunstwerks, die einen 4-jährigen ebenso wie einen 12-jährigen und jeden Erwachsenen berührt und verzaubert.
Am 7. November 2014, knapp zwei Wochen vor dem Deutschlandstarts von Kaguya, wartete Ghibli-Mitgründer Hayao Miyazaki mit einem überraschenden Statement auf. Nur wenige Monate nach seiner Entscheidung nun endgültig in den Ruhestand zu gehen, aber den Studios nicht mehr als eine kurze Kreativ-Pause zu verordnen, erklärte er nun: »At this point, we’re not making a new film. I think we will not be making any feature films to be shown in theaters.«
Damit dürfte Die Legende von Prinzessin Kaguya die vorletzte Ghibli-Produktion gewesen sein, nach der nur noch der im Sommer 2014 in Japan angelaufene Erinnerungen an Marnie die deutschen Kinos erreichen wird. Eine Tatsache, die die Traurigkeit um das Ende von Prinzessin Kaguya noch einmal verstärkt, mehr noch, als sich der Film nun weniger als ein Manifest als ein Denkmal sieht – und als eine betörende Allegorie auf die viel zu kurze Schaffenszeit des Studio Ghibli.