USA 2016 · 129 min. · FSK: ab 16 Regie: Ben Affleck Drehbuch: Ben Affleck Kamera: Robert Richardson Darsteller: Ben Affleck, Elle Fanning, Remo Girone, Brendan Gleeson, Robert Glenister u.a. |
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Nur optisch und atmosphärisch überzeugend |
Wegen seines manchmal hölzernen Schauspiels belächelt, als Regisseur vielfach gelobt: Ben Affleck pendelt zwischen den Extremen. Schon für Gone Baby Gone, den ersten Spielfilm, den er inszenierte, heimste der Hollywood-Star Lob und Anerkennung ein. Positiv aufgenommen wurde auch das Folgeprojekt The Town – Stadt ohne Gnade, das von einer Beziehung zwischen einem Bankräuber und seiner Geisel erzählt. Begeisterungsstürme löste schließlich seine dritte Regiearbeit, der auf wahren Begebenheiten beruhende Politthriller Argo, aus, der in den Kategorien „Bester Film“, „Bestes adaptiertes Drehbuch“ und „Bester Schnitt“ mit Oscar-Trophäen bedacht wurde. Gespannt sein durfte man angesichts dieses sehenswerten Schaffens auf Afflecks jüngstes Werk, das Prohibitionsdrama Live by Night, das wie sein Regiedebüt auf einem Roman des US-Schriftstellers Dennis Lehane basiert.
Nach Gone Baby Gone und The Town taucht Affleck einmal mehr in die Ostküstenmetropole Boston ein, in der er einen Teil seines Lebens verbrachte. Und abermals widmet er sich einer Kriminalerzählung, die in diesem Fall jedoch in der Vergangenheit, genauer gesagt Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre spielt. Der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion strebt unverkennbar einen epischen Gangsterfilm im Stil der großen Klassiker an, bleibt im Vergleich mit Genre-Meilensteinen wie Francis Ford Coppolas Der Pate aber vieles schuldig, selbst wenn Live By Night optisch und atmosphärisch überzeugen kann. Kameramann Robert Richardson gelingen beeindruckende Aufnahmen. Von verwinkelten Straßen in Boston. Üppigen Ballszenen. Und sonnendurchfluteten Südstaaten-Schauplätzen. Das Szenenbild ist ausgeklügelt. Die Kostüme bringen uns eine vergangene Ära nahe. Und auch die Actionpassagen geraten ansprechend dynamisch. Besonders eine Verfolgungsjagd nach einem ungünstig verlaufenen Banküberfall.
Formal besticht die Romanadaption mit großem Aufwand und Detailreichtum. Inhaltlich schwankt der Film hingegen zwischen den Polen „plump“ und „überambitioniert“. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Polizistensohn Joe Coughlin (Affleck), der – so erfahren wir über den gleich zu Beginn einsetzenden Voice-Over-Kommentar – desillusioniert aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt ist. Nie wieder will der frustrierte Mann offizielle Weisungen befolgen und in den Dienst einer großen Sache treten. Sein Heil sucht Joe stattdessen in einem Leben als Outlaw, das sich seiner Meinung nach klar unterscheidet vom hierarchisch organisierten Gangster-Geschäft in seiner Heimatstadt Boston. Schnelle Raubzüge, die er zusammen mit zwei Freunden durchzieht, sind sein tägliches Brot. Zum Verhängnis wird dem Kleinkriminellen eine stürmische Affäre mit der verführerischen Emma Gould (Sienna Miller), einer Gespielin des irischen Verbrecherkönigs Albert White (Robert Glenister). Dass Joe dem gefürchteten Gangster nach einem verpatzten Coup nicht zum Opfer fällt, hat er seinem Vater (Brendan Gleeson) zu verdanken, der seinen Sohn in letzter Sekunde rettet und für ihn eine geringe Haftstrafe erwirken kann. Als Coughlin das Gefängnis verlässt, will er White zu Fall bringen und verbündet sich daher mit dessen Erzfeind, dem Paten Maso Pescatore (charismatisch: Remo Girone). Im Auftrag des Italieners soll Joe in Florida den illegalen Rum-Handel überwachen, den White gerne an sich reißen würde.
Eine gefährliche Liebe, ambivalente Vater-Sohn-Beziehungen, Kriegsenttäuschungen, illegale Geschäfte, die strenge Gottesfürchtigkeit im amerikanischen Süden, das grausame Wirken des Ku-Klux-Klans und der Einfluss unterschiedlicher Einwanderer-Gruppen. Live By Night schneidet diverse Themenkomplexe an, findet aber nicht die Zeit, sich angemessen mit ihnen zu befassen. Vieles in Afflecks vierter Regiearbeit wirkt episodisch, flüchtig und ruft allenfalls Schulterzucken hervor, statt den Zuschauer zu fesseln und mitzureißen. Braucht es Erklärungen für einzelne Entwicklungen, ertönt die Stimme des Protagonisten aus dem Off, was dem Geschehen häufig die Dringlichkeit raubt. Spannende Schicksale wie das der jungen Loretta Figgis (Elle Fanning) und ihres Vaters (prägnant: Chris Cooper) werden aufgrund des begrenzten Platzes auf wenige Szenen eingedampft, ohne dass darin die emotionale Wucht zum Ausdruck käme, auf die das Drehbuch abzielt. Stiefmütterlich ist auch der Umgang mit der Kubanerin Graciela (Zoe Saldana), in die sich Joe nach seiner Ankunft in Florida verliebt. Eine exotische Schönheit, die zunächst als selbstbewusste Geschäftsfrau eingeführt wird, nur um dann zu Coughlins sporadisch mahnender Gattin degradiert zu werden.
Noch ärgerlicher als die genannten Mängel und die manchmal arg schematische, auf eklatante Zufälle setzende Dramaturgie ist die Zeichnung der Hauptfigur. Ständig pocht Joe darauf, dass er kein echter Gangster, sondern bloß ein Outlaw sei. Als er mit seinem Aufstieg im Rum-Geschäft jedoch langsam zu einem Vorzeige-Mafioso mutiert, verpasst es Affleck, die vom Drehbuch behaupte moralische Zerrissenheit seines Helden tatsächlich spürbar zu machen. Einige versunkene Blicke und oberflächliche Gespräche mit der Ehefrau sind schlicht zu wenig, um ein vielschichtiges Charakterbild zu entwerfen.
Deutlich wird nach dem etwas holprig zusammengestückelten Finale vor allem eins: Lehanes facettenreiche Vorlage wäre sicherlich viel besser im Serienformat aufgehoben gewesen. Afflecks Versuch, eine mehrere Jahre umspannende Handlung mit zahlreichen Nebenfiguren in einen zweistündigen Kinofilm zu pressen, scheitert – allen schönen Bildern zum Trotz – in weiten Teilen.