Liebesdings

Deutschland 2022 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Anika Decker
Drehbuch:
Kamera: Moritz Anton
Darsteller: Elyas M'Barek, Lucie Heinze, Peri Baumeister, Alexandra Maria Lara, Denis Moschitto u.a.
Filmszene »Liebesdings«
Alleinsein macht traurig...
(Foto: Constantin)

Auf der Suche nach der richtigen Dingsbums:in

Anika Decker überzeugt mit ihrer feministischen Selbstermächtigungskomödie an den meisten Ecken und Enden. Das ist nicht selbstverständlich.

Es scheint fast so, als hätten die deutschen Film­för­der­gre­mien die Devise ausge­geben, bezüglich komö­di­an­ti­scher femi­nis­ti­scher Selbst­er­mäch­ti­gung mal ein wenig auf den Putz zu hauen, nachdem eigent­lich nur Karoline Herfurths Wunder­schön nach Rohr­kre­pie­rern wie Genera­tion Bezie­hungs­un­fähig oder Es ist nur eine Phase, Hase ein wenig Hoffnung machte.

Den Anfang einer Art Tripty­chon von Frau­en­geschichten, in dem wie im besten Jugend­film erst durch ein gesundes Grup­pen­ge­fühl gesell­schaft­liche und persön­liche Defizite über­wunden werden können, macht Anika Decker, später im August und September werden dann die auf dem 39. Filmfest München gelaunchten Filme von Aron Lehmann (Jagd­saison) und Doris Dörrie (Freibad) diese Reihe komplet­tieren.

Decker ist eine der wenigen Autor:innen und Regisseur:innen, die es im Film­be­reich bis in die Bild-Zeitung geschafft haben, das aller­dings weniger durch die Ergeb­nisse ihrer Erwerbs­ar­beit als einen Gerichts­pro­zess, der erst Mitte Februar diesen Jahres ein erfolg­rei­ches Ende für Decker fand, das Bild wie folgt einlei­tete: »Sie ist Deutsch­lands Erfolgs­au­torin: Anika Decker (46). Für Filme wie SMS für Dich und Rubbel­die­katz schrieb sie die Dreh­bücher, bei Traum­frauen und High Society führte sie dazu noch Regie. Aber die Grundlage ihres Erfolgs legten die Kino-Hits Kein­ohr­hasen (2007) und Zwei­ohr­küken (2009).
Anika Decker will mehr Geld. Seit 2020 läuft die Klage vor dem Kammer­ge­richt gegen Schwei­gers 'Barefoot Films' und den Film­kon­zern Warner Bros. Der Grund: unan­ge­mes­sene Gage in Relation zum Mega-Erfolg beider Filme. Grundlage dafür ist der soge­nannte Fair­ness­pa­ra­graph (§ 32a Urhe­ber­ge­setz).«

Neben diesem nun erfolg­reich zu Ende gegan­genen Prozess um unge­rechte Vertei­lungs­quoten im Film­be­reich hat sich Decker aber auch weiter ums Dreh­buch­schreiben und Filme­ma­chen – und andere Unge­rech­tig­keiten gekümmert, etwa um die Besei­ti­gung von nervigen Geschlechter- und Bezie­hungs­ste­reo­typen, die sie in ihrer neuesten Komödie Liebes­dings angeht.

Dafür hat sich Decker einen dementspre­chenden Plot ausge­dacht, in dem ein deutscher Kinostar nach einem Karrie­re­fehl­tritt bei einem pro-akti­vis­ti­schen LGBTQ-Stand-Up-Comedian-Theater landet, um nicht nur seine Karriere zu über­denken, sondern auch seine zwischen­mensch­li­chen Bezie­hungen. Das mag sich ein wenig nach »too much« anhören, doch durch die Besetzung der männ­li­chen Haupt­rolle mit Fack ju Göhte-Elyas M’Barek als Marvin Bosch und Lucie Heinze als künst­le­ri­sche Leiterin des Theaters entwi­ckelt sich schon sehr schnell eine immer wieder über­zeu­gende Komödie, die nicht nur gut gezielt, sondern auch mit dem richtigen Timing die Tief­schläge verpasst, die es braucht, um die hier behan­delten, unaus­rott­baren Problem­felder gezielt zu markieren. Wie unaus­rottbar, das zeigen schon die ersten Reak­tionen auf Liebes­dings, zumindest die eines Werbe­trei­benden, der seine Werbung zurückzog, nachdem deutlich wurde, dass in einer Kabarett-Szene tatsäch­lich nicht die Puppen, sondern Riesen­tam­pons auf der Bühne tanzen.

Dabei sind das alles nur so queere wie transe und femi­nis­ti­sche Neben­säch­lich­keiten, ist der Film an sich strai­ghtes Lebens­li­nien abfahren und das voll und ganz befrie­di­gend, macht es nicht nur Spaß, M’Barek dabei zuzusehen, wie er Teile seiner eigenen Biografie »aufar­beitet« und dabei ganz der Schau­spieler bleibt, den wir kennen und erwarten, sondern vor allem Lucie Heinze als Frieda zuzu­schauen, die den Film erst wirklich sehens­wert macht: denn Heinze spielt ihren Charakter nicht einfach nur, sondern performed ihn und stellt tatsäch­lich eine immer wieder über­ra­schende Charak­ter­ent­wick­lung dar, die nicht einfach nur behauptet wird. Dass beide Prot­ago­nisten über die Rudel­bil­dung mit ihrer Peer-Group erst zu neuen Erkennt­nissen kommen, gibt dem an sich einfachen Plot dann auch genug erzäh­le­ri­sche Dichte und Abwechs­lung und natürlich auch die Möglich­keit, auf weitere neur­al­gi­sche Punkte der deutschen Gesell­schaft aufmerksam zu machen.

Ob diese Entwick­lung dann tatsäch­lich auch moralisch (und erzäh­le­risch) über­zeu­gend ist, darüber dürfte sich streiten lassen. Denn bei allen hier – wenn auch etwas lau und gleich­zeitig aufge­setzten – zur Schau gestellten Alltags- und Kabarett-Einlagen (etwa durch die großar­tige Maren Kroymann) zum Thema Femi­nismus und LGBTQ bekommen wir am Ende dann doch eher die übliche hetero-normative Suppe serviert. Das muss aller­dings nicht stören, wenn man mit dem Grund­kon­zept der Roman­ti­schen Komödie leben kann, das hier durchaus souverän und immer wieder auch über­ra­schend präsen­tiert wird.