Deutschland 2010 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Florian Cossen Drehbuch: Elena von Saucken, Florian Cossen Kamera: Matthias Fleischer Darsteller: Jessica Schwarz, Michael Gwisdek, Rafael Ferro, Beatriz Spelzini, Alfredo Castellani u.a. |
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Vergangenheit als Abgrund |
Schwimmen ist ein einsamer Sport, ein bisschen abgeschlossen vom Rest der Welt sind die Menschen, die ihn treiben, während sie durchs Wasser gleiten, das ihnen Geborgenheit bietet und zugleich Widerstand leistet. Man sieht Maria zwar kaum schwimmen in diesem Film, den Eigensinn aber, die Beharrlichkeit und auch den Hang zum Einzelkämpferischen, die Kunst sich durchzubeißen gegen Widerstände, das alles meint man ihr anzusehen. Ihr Blick ist manchmal wie abgeschlossen, abgekapselt gar. Zugleich entschlossen, ihr Ding durchzuziehen.
Einmal allerdings, ziemlich zu Anfang, verändert sich alles, und obwohl man als Zuschauer da die junge Frau, die der Film von Beginn an als Hauptfigur etabliert hat, noch nicht gut kennt, und gar nicht versteht, spürt man, das etwas Einschneidendes vorgeht: Sie, eben noch eine fröhliche, selbstbewusste, erwachsene Person, scheint plötzlich wie verwandelt. Fast einen verstörten Eindruck macht sie, dabei muss sie nach der Zwischenlandung auf dem Flughafen von Buenos Aires doch nur
ein paar Stunden auf ihren Anschlussflug nach Chile warten. Den verpasst sie dann absichtlich, fährt dafür in die Stadt, zieht in ein kleines Hotel im Zentrum, denn irgendetwas hier zieht sie, äußert diffus zwar, doch zugleich so unwiderstehlich und magisch an, dass sie gar nicht anders kann.
Erst allmählich begreift sie mehr, und wir mit ihr: Maria, die kein Spanisch spricht, verstand ein Kinderlied, das sie zufällig gehört hat, weil es neben ihr am Flughafen eine junge Mutter zu
ihrem Baby sang. Sie erkennt das Lied, und will nun allen auf die Spur kommen.
Eine starke Szene, zugleich ein recht konstruierter Einstieg, der, wenn man ihn ernst nimmt, der Geschichte mehr Probleme verschafft als löst. Es stellt sich bald heraus, dass Maria eines jener »verschwundenen« Kinder war, die in Zeiten der Diktatur ihren Eltern entrissen wurden, die bald in den Folterkellern der Militärs auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Nun beginnt Maria mühsam ihre ursprüngliche Identität zu rekonstruieren, eine für sie völlig unbekannte Familie kennenzulernen, und dem Schicksal ihrer leiblichen Eltern auf den Grund zu gehen, die während der Militärdiktatur ermordet wurden. Dabei kommt es vor allem zum Konflikt mit dem Vater (Michael Gwisdek), der sich als Stiefvater und Mitwisser einer großen Vertuschung entpuppt.
Ein Film über Vertrauensverlust, über wankende Identität. Jessica Schwarz' nuancierte Darstellung dieser Figur, die zufällig in eine massive innere Krise gerät, zwischen fundamentaler Verstörung und Stärke bildet ihr Zentrum. Der Regisseur Florian Cossen erzählt das mit viel Gefühl. Das Lied In Mir ist ein schöner, nachdenkenswerter Film geworden, den man nicht sofort wieder vergisst – an diesem gelungenen Debüt gibt es außer unwesentlichen Anfängerfehlern nichts auszusetzen. Außer vielleicht eben dies: Denn irgendetwas Irritierendes sucht man ausgerechnet in diesem Film über eine fundamentale Irritation vergebens – einen Überschuss, etwas Überflüssiges, die Freiheit zum Unnötigen und Sinnlosen oder einfach Offenheit. Alles ist hier etwas zu glatt und einfach. Und so sehr diese Geschichte um die Rekonstruktion von Erinnerungen, um die schmerzhaften Folgen einer Diktatur auch für die Nachgeborenen natürlich eine politische Seite hat, bleibt sie doch letztendlich sehr privat und innerlich. Die Tatsache, dass in der Geschichte das Leiden zahlloser Argentinier auf den zutiefst privaten Identitätskonflikt einer nachgeborenen Deutschen heruntergebrochen und damit auch banalisiert wird, ist nicht nur ein moralisches Problem, sie hat auch ästhetische Folgen: Das Politische wird melodramatisiert. Darin ist Cossens Film repräsentativ für viele am Ende doch recht unpolitische deutsche Debüt-Filme, in denen erstaunlich oft unterstellt wird, das Emotionale und das Politische seien unvereinbar. Wie es gehen könnte, machen die Argentinier vor. Dort behandelten in den letzten Jahrzehnten bereits mehrere Filme das Sujet der Verschwundenen und der Zwangsadoptionen von – etwa 500 – Kindern der Opfer der Militärdiktatur zwischen 1976 bis 1982. Daher kann man vergleichen, und weiß, dass solch ein Stoff noch härter, und weniger sentimental zu erzählen wäre.