Österreich/GB/D 2019 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Jessica Hausner Drehbuch: Jessica Hausner, Géraldine Bajard Kamera: Martin Gschlacht Darsteller: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor, David Wilmot u.a. |
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Tolle Seuchen-Metapher (Foto: X-Verleih) |
Sei nett zur Blume und sie ist nett zu dir. Das könnte der Werbeslogan für Little Joe sein, die Pflanzenkreation, die Alice (Emily Beecham) und ihr Kollege Chris (Ben Wishaw) mit Leidenschaft heranzüchten. Ihr Pflänzchen lebt nicht nur von Licht und Wasser, sondern von Zuwendung und netten Gesprächen. Den Besitzer belohnt sie dafür mit ihrem Duft, der direkt Glücksgefühle auslöst. Eine schöne Idee für die von Sorgen geplagte Menschheit. Was soll da schon schiefgehen?
Mit Little Joe hat Jessica Hausner eine herrliche Genre-Melange geschaffen. Eine Portion Science Fiction, eine Prise Psycho-Thriller und ein großer Löffel Gesellschaftssatire machen ihren Film über jeden voreiligen Schluss erhaben. Wer hier nämlich eine hypermoralische »Der Mensch spielt wieder Gott«-Anklage erwartet, liegt falsch. Hausner geht viel tiefer.
Klar wird das, als Alice verbotenerweise eine der Pflanzen als Geschenk für ihren Sohn Joe (Kit Connor) mit nach Hause nimmt. Zu ihm hat sie zwar eine gute Beziehung, die jedoch immer wieder von Vernachlässigung durch ihre Arbeit geprägt ist. Warum also nicht mit den Früchten dieser Arbeit alles wieder ins Lot bringen? Auf dem Speiseplan steht nämlich täglich Geliefertes, geplante Unternehmungen müssen regelmäßig verschoben werden. Stress und Schuldgefühle lädt sie bei ihrer Therapeutin ab. Im Grunde hat sie »Little Joe« am nötigsten. Diese dauernde Unsicherheit verkörpert Emily Beechan wunderbar realistisch und ungekünstelt, wofür sie in Cannes auch als Beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.
Doch langsam, für den Zuschauer zunächst genauso unmerklich wie für sie, beginnt sich ihr Sohn zu verändern. Auch ihr Kollege Chris stellt sich, nachdem er die Pollen der Pflanze eingeatmet hat, mit einem Ehrgeiz hinter das Projekt, den man getrost als merkwürdig bezeichnen kann. Alles erklärbar, oder hat »Little Joe« doch größere Macht über seine Besitzer als erwartet?
Von der ganzen Atmosphäre des Films geht eine subtile Bedrohung aus. Schwindelerregende Kameraeinstellungen, sperrige Musikuntermalung, überhaupt eine Stimmung, als spiele alles im sterilen Setting eines Gewächshauses. Aber trotzdem wird nie etwas wirklich greifbar. Über weite Strecken kann man nur spekulieren, was falsch läuft. Dahinter steht eine intelligente Analyse der Suche nach Glück in Zeiten des Konsums. Anstatt sich die Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken, wie man sein Leben individuell erfüllen kann, greift man lieber zu einem Produkt, das das schnelle Glück verspricht. Das mag vielleicht erst funktionieren, aber die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bleibt auf der Strecke – ist ja auch verdammt kompliziert. Lieber versteckt man sich hinter dem Heilsversprechen der Markenwelt und wartet sehnsüchtig auf das neueste Gadget. Damit reiht sich die Blume der guten Laune in die Palette an Wohlstandsspielzeug ein, die Zufriedenheit und Individualität verspricht – und im Endeffekt nur gleichschaltet und in die Abhängigkeit treibt.
Wenn man Little Joe von diesem Standpunkt aus sieht, wächst er weit über die gängigen Natur- und Psycho-Horrorfilme hinaus. Wenn man ihm eines ankreiden will, dann höchstens, dass er sich zu sehr auf diese Aussage verlässt und die Plotentwicklung vernachlässigt. Hier und da tun sich leider ein paar Längen auf. Im Großen und Ganzen fallen diese jedoch kaum ins Gewicht. Vor allem weil auch der Humor nicht zu kurz kommt. Die aufgesetzte Fröhlichkeit und Korrektheit der vernebelten Charaktere lässt einen mehr als einmal mit breitem Lächeln und Kopfschütteln zurück.
Little Joe ist ein wunderbarer und auf seine Art fremdartiger Film geworden. Und vielleicht sollte man sich auch mit der Frage auseinander setzen, ob man nicht gern selbst so eine Blume zuhause stehen haben will. Man ist zwar nicht mehr man selbst, aber dafür glücklich. Die Prioritäten sind da doch schwerer zu setzen, als man erst denkt.