Lieber Kurt

Deutschland 2022 · 136 min. · FSK: ab 12
Regie: Til Schweiger
Drehbuch: ,
Kamera: René Richter
Darsteller: Til Schweiger, Franziska Machens, Levi Wolter, Jasmin Gerat, Heiner Lauterbach u.a.
Filmszene »Lieber Kurt«
Trauerarbeit mit der Ex...
(Foto: Filmwelt)

Fontane auf Koks

Til Schweiger hat Sarah Kuttners Bestseller »Kurt« verfilmt. Einen Gefallen tut er dem Roman damit nicht, das Kernthema Kindestod und Trauer bleibt jedoch relevant.

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Viel­leicht nicht nichts
ohne dich
aber nicht mehr viel

Erich Fried

Wer Kenneth Lonergans Drama Manchester by the Sea über Tod, Trauer und Schuld gesehen hat, weiß, wie komplex, unein­deutig und zutiefst verstö­rend der Tod eigener Kinder sein kann. Wer Sarah Kuttners Roman »Kurt« über den Tod eines Kindes und die zurück­ge­las­sene Patch­work­fa­milie gelesen hat, weiß, dass selbst die best­mö­g­liche Verfil­mung von Kuttners Roman Lonergans meis­ter­li­cher, filmi­scher Erzählung nicht eben­bürtig wäre.

Denn Kuttner geht es in ihrem Roman weniger um die verwo­benen Unein­deu­tig­keiten von Tod, Schuld und Trauer, die sich bei ihr zu nicht mehr als stamm­tisch­ar­tigen Formeln amal­ga­mieren, weniger um das, was war und warum es so war, sondern darum, wie man ganz einfach aus dem, was war, etwas Neues formt. Um irgendwie als Mensch und Paar und Familie zu überleben. Dieses wichtige Thema packt Kuttner in eine Erzählung, die aus der Sicht einer Frau, Lena, erzählt wird, die sich durchaus der Schwie­rig­keiten und kleinen Schmut­zig­keiten ihres Lebens bewusst ist. Die sich darüber aufregt, dass der kleine Sohn (Kurt Junior) ihres neuen Freundes Kurt einfach auf den Boden der Wohnung kackt und sowohl Kurts Exfrau Jana als auch Kurt selbst das als völlig normal akzep­tieren. Weil so etwas mal mehr oder weniger extrem in den hippen Jung­fa­mi­lien-Cafés deutscher Großs­tädte inzwi­schen auch Alltag ist. Und dann stört Lena bei aller Liebe zu Kurt auch noch, dass Kurt Junior selbst beim Sex so gut wie mit dabei ist und Kurt Senior beim Seri­en­gu­cken der Leftovers sabbernd einschläft.

Von dieser zumindest in Ansätzen häss­li­chen Seite einer jungen Patchwork-Liebe sehen wir in Til Schwei­gers Verfil­mung nichts. Lena (Franziska Machens) und Kurt (Til Schweiger) lieben bedin­gungslos und eindeutig, bumsen sich jedes neue Zimmer ihres neuen Hauses auf dem Berliner Land frei und haben für Kurt (Levi Wolter) immer frei, wenn er von seiner leib­li­chen Mutter und Kurts Geschäfts­part­nerin in der Werbe­agentur Jana (Jasmin Gerat) vorbei­ge­bracht wird. Nur das Thema Sex im Beisein eines Kindes wird auch hier thema­ti­siert – über die kalau­ernden Dialoge, für die Kuttners Bücher auch bekannt sind und die sich auch in Schwei­gers Adaption einfügen wie das Salz der Erde, auch wenn hier nicht mehr eine Frau erzählt, sondern die Perspek­tive des Mannes im Zentrum steht, der dann auch dementspre­chend forsch sagt, dass Sex ohne Geräusche wie Cappuc­cino ohne Milch sei und Lena immerhin fast ebenso bildreich nach einer Verspä­tung (durch Sex) sagen darf: »Wir sind im Verkehr stecken­ge­blieben.«

Trotz des Perspek­tiv­wech­sels und einer Glättung der Verhält­nisse trifft Schweiger hier also durchaus die Tonalität des Buches. Das gilt auch für die Monate nach dem Tod von Kurt Junior, in dem Schweiger und Machens alles aus sich heraus­spielen, was man sich gemeinhin unter Trau­er­ar­beit vorstellt.

Diese an sich immer wieder dichten und glaub­wür­digen Momente, die durch eine im Roman so nicht vorkom­mende Anzahl von Flash­backs mit Erin­ne­rungen an Kurt Junior gebrochen werden, ermüden jedoch schon sehr schnell. Nicht nur, weil alle Betei­ligten, darunter übrigens auch Peter Simo­ni­schek als Kurts Vater Wolfgang und Heiner Lauter­bach als trau­ernder Nachbar, sich als völlig unta­len­tiert darin erweisen, über das eigene Leben und die eigene Zukunft zu reflek­tieren, sondern weil Schweiger offen­sicht­lich weder der Vorlage noch dem mit Kuttner gemeinsam verfassten Drehbuch traut.

Denn wirklich jede Szene sieht sich so wie Theodor Fontane auf Koks, wird über einen aufdring­li­chen und die Dialoge auch durch ihre Laut­stärke beein­träch­ti­genden Score, einem Potpourri bekannter Hits, deren Lyrics erklären, was hier gerade passiert oder mit eindeu­tigen Eigen­kom­po­si­tionen die kommenden Hand­lungs­mo­tive vorweg­ge­nommen.
Selbst einer Schlä­gerei wird so das echte Leben ausge­trieben, wird nicht nur Joachim Witts NDW-Song Goldener Reiter schlag­genau platziert und aus Blut Gold, sondern auch die eigent­liche Wucht der Gewalt durch ein Runter­dimmen der Laut­stärke zu einem surrealen Moment.

Trotz dieser Defizite ist Schwei­gers Film ein wichtiger Film, weil er die Trau­er­ar­beit und Bezie­hungs­neu­bil­dung mit press­luft­ham­mer­ar­tiger, thera­pie­wü­tiger Inten­sität immer wieder in den Vorder­grund rückt und nicht davon ablässt, bis der über zwei Stunden lange Film zu Ende ist. Und Schweiger sich nach einer ersten Klappe sogar noch einmal die Zeit nimmt, selbst­iro­nisch und mit perfektem Timing den Anfang der Beziehung zu erzählen.

Das und Schwei­gers Wille (und Mut) Erich Frieds wunder­volles Gedicht, das Kuttner an den Anfang ihres Romans gestellt hat, in die filmische Erzählung zu inte­grieren, lässt wünschen, dass Schweiger sein mit den letzten Filmen (Head Full of Honey, Die Hochzeit, Die Rettung der uns bekannten Welt) nach und nach verlo­renes Publikum wieder zurück­ge­winnt.