Deutschland 2019 · 135 min. · FSK: ab 12 Regie: Hermine Huntgeburth Drehbuch: Alexander M. Rümelin, Christian Lyra, Sebastian Wehlings Kamera: Sebastian Edschmid Darsteller: Jan Bülow, Detlev Buck, Max von der Groeben, Charly Hübner, Julia Jentsch u.a. |
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Porträt des Künstlers als junger Mann (Foto: DCM Film) |
»Oft, wenn er auf eine Anhöhe kam, stand er ein wenig still, und übersah die beschneiten Fluren, indem ihm auf einen Augenblick ein sonderbarer Gedanke durch die Seele schoß, als ob er sich wie einen Fremden hier wandeln, und sein Schicksal wie in einer dunklen Ferne sähe – Diese Täuschung verschwand aber eben so bald, wie sie entstand; und er dachte dann wieder im Gehen vor sich, wie Leipzig aussehen, in was für Rollen er auftreten würde usw.« – Karl Philipp Moritz, Anton Reiser – Ein psychologischer Roman
So langsam sollte man mal Wetten abschließen, wann der nächste Biopic über einen Musiker oder eine Musikerin an der Reihe ist. Oder eine Studie in Auftrag geben, ob die Einschläge an Filmbiografien über Musiker wirklich immer dichter werden. Gefühlt kommt das jedenfalls fast schon einem Dauerfeuer gleich. Noch ist die tolle, endlich einmal fiktive Biografie Wild Rose in den letzten Kinos zu sehen, sind die letzten Monate Judy Garlands mit einer zu Tränen rührenden Renée Zellweger gerade gestartet, da schlägt auch schon der nächste Film über Leben als Musik oder Musik als Leben ein. Und wäre es kein Film, sondern ein Roman im 19. Jahrhundert, hätte man das alles »Bildungsroman« genannt. Heute reden wir – warum auch immer – vom »Coming-of-Age«, dabei würde sich Udo Lindenbergs frühes Leben, um das es in Lindenberg! Mach dein Ding geht, auch als fast perfekter Bildungsroman gut lesen, denn wie ein moderner Anton Reiser ganz im Sinne seines Autors Karl Philipp Moritz, kämpft sich auch Udo Lindenberg durch sein frühes Leben, in dem noch niemand in seinem Umfeld und am allerwenigsten er selbst von 4,4 Millionen verkauften Tonträgern und einer Ikonisierung am deutschen Rockmusikerhimmel träumt.
Nein, so wie Anton Reiser weiß auch Lindenberg eigentlich nur eins: er will raus aus dem Nachkriegsmuff seiner bildungs- und kulturfernen Heimat im westfälischen Gronau, will nicht Klempner wie sein cholerischer Vater werden, sondern Musik machen. Hermine Huntgeburth, die bislang viel fürs Fernsehen gemacht hat (Manntertreu) und für ihre gute Adaption der Mark Twain-Klassiker Huck Finn und Tom Sawyer bekannt ist, setzt diese frühe Kindheit in ähnlich liebevoll dekorierte, dichte Szenen um, wie es vor über einem Jahr Caroline Link in Der Junge muss an die frische Luft getan hat.
Den biografischen Details, die dann folgen, dürfte jeder Lindenberg-Fan etwas abgewinnen können; seine Anfänge als begabter Jazz-Schlagzeuger inklusive einem abenteuerlichen Engagement in einer US-amerikanischen Militärbasis in der libyschen Wüste werden ebenso illustriert, wie die Rückschläge mit seiner ersten LP und sein Durchbruch mit Songs wie »Mädchen aus Ost-Berlin« oder »Hoch im Norden« und »Andrea Doria«. Und auch die Hippie-Jahre in der Künstler-WG »Villa Kunterbunt« werden thematisiert – ohne dass dabei seine Mitbewohner Otto Waalkes und Marius-Müller Westernhagen eine größere Rolle spielen würden. Stattdessen formuliert Huntgeburth deutlich aus, wie sich Lindenberg als drittes Rad am Wagen fühlt und sich nicht nur in der Musik, sondern auch in der Villa Kunterbunt erst etablieren muss. Damit wird ein Grundthema wiederholt, das Lindenberg von Anfang an, eigentlich seit seiner Kindheit begleitet und wohl bis in die Gegenwart verfolgt, Lindenberg vielleicht ja deshalb seit über zwanzig Jahren im Hotel Atlantic residiert: ein Fremdsein auch bei Freunden und Familie, ein immer wieder fast zwanghaftes Ausbrechen aus etablierten Strukturen und eine fast schon hilflose, sehnsüchtige Hinwendung zu den Verlierern der Gesellschaft im Rotlichtviertel von St. Pauli, wie der Prostituierten Paula (Ruby O. Fee), der er dann auch eines seiner Lieder widmen wird.
Jan Bülow gibt diesen schwer zu liebenden Lindenberg mit Bravour, legt seine Abgründe ebenso differenziert bloß wie seine Sehnsucht nach einer Rockmusik, die endlich die deutsche Sprache den Tätern entreißt, die das Deutsche mit Musik »entnazifiziert«, so wie es Jahre zuvor bzw. zeitgleich schon u.a. Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt und natürlich Ton, Steine, Scherben und die Krautrock-Band Ihre Kinder erfolgreich gezeigt hatten. Wie Lindenberg dies gelingt, gegen alle Widerstände, wie er tatsächlich sein »Ding macht« und dass es nicht nur in seiner Musik, sondern immer auch in seinem Leben ein »Mädchen aus Ost-Berlin« gab, das zeigt Lindenberg! Mach dein Ding dann aber immer wieder auch so deutlich, dass man sich manchmal etwas weniger plakative Deutlichkeit gewünscht hätte, etwas mehr inszenatorische Überraschungsmomente und psychologische Dichte und etwas mehr Hässlichkeit statt musealer Akkuratesse, so wie Dexter Fletcher das in seiner Filmbiografie über Elton John, Rocketman (2019), ja immer wieder angedeutet hat.
Dennoch ist Lindenberg! Mach dein Ding eine gelungene Umsetzung eines schwierigen Sujets, inszeniert Huntgeburth nicht nur ein Porträt des Künstlers als junger Mann, einen absolut modernen und doch wieder unveränderten Aufstiegs- und Ausstiegs-Anton-Reiser, sondern hinterfragt immer wieder auch die Kunst selber, in ihrer erniedrigenden Anbiederung an Geld und Ruhm und erzählt vor allem auch von einem Deutschland, das sich auch mit Hilfe populärer Musik wie der von Udo Lindenberg erstmals aus der Umklammerung einer erdrückend lang verdrängten Vergangenheit zu befreien versucht hat.