USA 2021 · 134 min. · FSK: ab 12 Regie: Paul Thomas Anderson Drehbuch: Paul Thomas Anderson Kamera: Paul Thomas Anderson, Michael Bauman Darsteller: Cooper Hoffman, Alana Haim, Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper u.a. |
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Mehr Glück geht kaum... | ||
(Foto: Universal Pictures) |
»You were so young, oh, and I was so free
I may've been young, but baby that’s not what I wanted to be
Well, you were the one (oh, why was it me?)
'Cause baby, you've shown me so many things that I've never seen
Whatever you need, baby, you've got it from me«
– Chris Norman & Suzi Quatro, Stumblin' In (1978)
Es gibt Filme, nach denen der Sinn des Lebens eine ganz neue Bedeutung erhält, ja, nach denen man das Gefühl hat, dass das wahre Glück allein und nur durch einen Film ausgelöst werden kann. Und wenn dieses Glück bei dem Gedanken an diesen Film auch noch wochenlang nachhallt, ist eigentlich jedes weitere Wort überflüssig.
Eigentlich geht es dann nur noch darum, dieses Glück teilen zu wollen, was gleich noch einmal glücklicher macht. Denn einen großartigen Film mit anderen Menschen zu teilen bzw. sie teilhaben zu lassen am eigenen Glück, potenziert das Glücksgefühl gleich noch einmal. Doch dieses Teilen ist eine schwierige Sache, mehr noch, wenn es wie in diesem Fall um Paul Thomas Andersons Licorice Pizza geht. Wie immer stellt sich nämlich im gleichen Atemzug die Frage, wie so etwas möglich ist, so ein Film und solche Gefühle? Lassen sich solche ja dann doch sehr privaten, von der eigenen Filmografie und Biografie abhängigen Glücksgefühle überhaupt adäquat, verallgemeinernd in Worte fassen, ohne die Erwartungshaltungen beim Leser ins Unermessliche zu steigern, und damit nur eine Enttäuschung zu provozieren? So wie bei Andersons Thomas Pynchon-Verfilmung Inherent Vice (2014), die mich ähnlich begeistert hatte, doch kaum einer in meinem Umfeld konnte diese Begeisterung auch nur in Ansätzen nachvollziehen.
Um zumindest diesen Wiederholungsfehler zu vermeiden: wer bei Inherent Vice wegen dessen immer wieder experimenteller, subjektiver, transzendentaler Erzählweise eingeschlafen sein sollte, wird auch mit Licorice Pizza seine Probleme haben. Zwar ist es dieses Mal nicht ein kongenial umgesetzter Thomas Pynchon, doch es ist weiterhin Paul Thomas Anderson, der hier erneut in die frühen 1970er eintaucht. Nicht in das Jahr 1970 wie in Inherent Vice, sondern in das Jahr 1973 und die Erinnerungen seines Freundes Gary Goetzman, die ihn zu Licorice Pizza animiert haben. Denn wie Gary Goetzman treibt auch Andersons 15-jähriger Held Gary (Cooper Hoffman) durch dieses Jahr, lernt zufällig die zehn Jahre ältere Alana (Alana Haim) kennen und verliebt sich in sie. Mal gemeinsam, mal allein rennen sie durch dieses Jahr, treiben und liegen in platonischer Intensität beieinander und versuchen sich an den verschiedensten Dingen im Leben, spielen mit dem Leben, suchen nach dem Leben.
Das ist natürlich klassischstes Coming-of-Age, bester »Bildungsroman«, aber dann auch wieder nicht. Denn wie Erinnerungen so sind, ist nichts gleich, erinnert jeder anders, ist das Unwichtige mal zentral und das Wichtige ganz nebensächlich. Und umgekehrt.
Anderson praktiziert also Erinnerungskultur, die nicht nur durch die Namen der Protagonisten und ihre Darsteller bzw. Ideengeber (Alana/Alana oder Gary/Gary) durch die Gegenwart hinterfragt wird, sondern auch durch die Ereignisse. Gary versucht sich neben seinem Job als Kinderschauspieler auch im Verkauf von Wasserbetten und dann in dem lange Zeit in Kalifornien verbotenen Geschäft mit einem Flippersalon, während Alana mal Gary beim Wasserbettenverkauf hilft, um dann den für das Bürgermeisteramt kandidierenden Politiker Joel Wachs (Benny Safdie) in seinem Wahlkampfteam zu unterstützen, das es tatsächlich einmal gab. Damit dringt auch die korrupte Politik der Nixon-Jahre in diesen Film, um dann aber auch genauso wieder zu verschwinden, so wie das in jedem Leben von uns passiert. Nichts steht fest, alles ist im Fluss, der mal als Stromschnelle und dann wieder träge, breit und langsam dahinfließt.
Und so ist auch Andersons Film. Das Private, das hier liebevoll und zärtlich erzählt wird, spiegelt sich im großen Weltgeschehen, in großen Namen aus Politik und Film, die Anderson auftreten lässt, so wie es Tarantino auch gerne macht. Doch ist das bei Tarantino oft mit einem dramatischen, gedankenspielerischen, die Geschichte neu schreiben wollenden Impetus versehen, sind Andersons Anspielungen wie ein Gedicht, das eine Assoziation nach der anderen zur Folge hat. So spielen Tom Waits, Sean Penn, Bradley Cooper sehr reale und 1973 ähnlich berühmte Gestalten aus dem Filmgeschäft; nur Benny Safdie, der mit seinem Bruder Joshua 2019 den tollen, wilden Adam Sandler-Film Uncut Gems gemacht hat, ist hier nicht Filmmensch, sondern Politiker.
Das mag einigen vielleicht zu assoziativ klingen, ist aber von ungeheurem Tempo und einer flirrenden Dynamik. Allein wie Gary und Alana immer wieder durch den Film laufen, rennen, und sie Anderson mit seiner Kamera dabei verfolgt, ist so schön wie es aufregend und spannend ist, denn jeder Lauf zieht auch einen neuen Lebensabschnitt nach sich. Mal beruflicher, mal privater Art.
Das wirkt so wirklich und authentisch, so komisch, ernst und grotesk, so leicht und schwer, als wäre es tatsächlich das echte Leben, ein ganzes Leben, so wie es auch Richard Linklater in seinem Boyhood gezeigt hat. Das mag daran liegen, dass Andersons Kostümdesigner Mark Bridges alte Schuljahrbücher aus dem Jahr 1973 ausgewertet hat und ohne sie zu kopieren, sich ähnlich animieren und inspirieren lassen hat wie Anderson, für den etwa sein Filmtitel »Licorice Pizza« (Lakritz-Pizza), eine im damaligen Südkalifornien populäre Ladenkette für Schallplatten, mehr als nur die Ladenkette ist, sondern Ausdruck eines Denkens der damaligen Zeit. Und so verfährt auch Bridges, der die Kleidung nicht einfach nur kopiert, sondern sie transformiert, so wie das goldene Kostüm der Stewardess während eines Fluges seiner Helden Gary und Alana, das es so nie gegeben hat. Aber hätte geben können.
Vielleicht sind es diese »Transferleistungen«, die Andersons Film dann auch zu einem sehr gegenwärtigen Film machen, trotz seines Rückblicks auf ein Jahr, das schon fast ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Denn diese Transferleistungen werden ja nicht nur durch die Kostüme und Andersons Erzählung erzeugt, sondern auch durch die Filmmusik von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, der anders als in seinen zwei Vorgängerfilmen dieses Filmjahres, für die er komponiert hat – The Power of the Dog und Spencer – die Musik dieses Mal nicht als fast schon kriegerisches Instrumentarium einsetzt, sondern so zurückgenommen und subtil Anderson musikalisch zuarbeitet, dass es gerade noch hörbar, aber nichtsdestotrotz auch dieses Mal ein Hochgenuss ist. Der auch in seiner Auswahl an Songs aus dieser Zeit die Grenzen spielerisch überschreitet und zeigt, dass Zeit so wenig wie Menschen und ihre Sehnsüchte linear ist, sondern einer Spirale gleicht und wir deshalb auch sehr überraschend und passend zugleich ein Lied wie Suzi Quatro’s Stumbl' In, ein Lied aus der »Zukunft«, aus dem Jahr 1978 hören, während Gary und Alana auf ihre Zukunft zurennen und zustolpern.
Greenwood ist wie fast alles Beteiligten dieses Family & Friends-Projektes ein alter Freund von Anderson. Für Alana Haim – die hier ihr schauspielerisches Debüt gibt – und die Band mit ihren Schwestern, Haim, hat Anderson Musikvideos gemacht, Alanas Mutter war Andersons Kunstlehrerin in der Schule und der zweite große Star und Debütant dieses Films, Cooper Hoffman, der mit Alana die großen Schauspieler dieses Films immer wieder in den Schatten stellt, ist niemand anders als der Sohn von Philip Seymour Hoffman, der in Anderson-Klassikern wie Punch-Drunk Love, Magnolia oder The Master tragende Rollen spielte und dann – und auch das ist nur eine kleine Randnotiz, die aber vielleicht diesen flammenden, züngelnden, zärtlichen Realismus dieses Films erklärt – war Alana auch einige Zeit die Babysitterin des nicht mehr ganz so kleinen Cooper.
Und dann ist da natürlich noch der ganze Rest, der einen überragenden Film auszeichnet. Ein Rest, der gerade von einem Autodidakten wie Anderson gerade nicht als Rest verstanden wird, sondern so wie sich Anderson für Regie und Drehbuch verantwortlich fühlt, fühlt er sich auch für diesen »Rest« fast schon überverantwortlich, hat er anders als in seinem letzten Film Der seidene Faden Andy Jurgensen nun ganz den Schnitt überlassen (der dafür für den besten Filmschnitt, den Satellite Award, nominiert wurde), und hebt auch seine Kameraarbeit (zusammen mit Michael Bauman) Licorice Pizza weit über den Durschnitt, sind es etwa nicht nur die Perspektiven der Laufsequenzen, die begeistern, sondern auch die überraschenden Totalen, die Porträtfotografie, bei der wir eben nicht nur jeden Pickel der Darsteller sehen, sondern auch das entfernteste Lächeln zu einem besonderen, zu einem magischen Moment wird.
Nur eins werden wir bei all dem Glück, das dieser Film bereiten kann, in Deutschland wohl nicht erleben: dass John Paul Anderson auch bei uns wie vor der Premiere seines Films im legendären Village Theater in Los Angeles schnell noch eine neue 35mm-Kopie seines Films ziehen lassen wird, um mit einem Mehr an Rot- und Gelbtönen das Zusammenspiel von Projektor, Leinwand und Raum zu einem perfekten cinephilen Genuss zu machen.
»Es ist eine alte Geschichte/ Doch bleibt sie immer neu;«
Und wem sie just passieret/ Dem bricht das Herz entzwei. – Heinrich Heine
Alana und Gary sind zwei junge Menschen und ein Liebespaar. Allerdings eines der ungewöhnlichsten der Filmgeschichte, und eines, dessen zwei Seiten nie gleichzeitig ineinander verliebt zu sein scheinen. Darum ist dieser Film auch eine Komödie.
Licorice Pizza ist die erste große Überraschung des Kinojahres 2022. Auf seine alten Tage wird Paul Thomas Anderson noch milde und menschenfreundlich. Bislang kannte man diesen Regisseur (Magnolia, There Will Be Blood, The Master u.v.m.) eher als das Gegenteil: Einen Kontrollfreak, der sich gern als Regie-Genie inszenierte und in den letzten 20 Jahren mit großem Gestus relativ hermetische, strenge Filme machte, die sich darin gefielen, das Publikum zu spalten in gläubige Anhänger und in Agnostiker. Paul Thomas Anderson ist ein Regisseur, den man entweder vorbehaltlos liebt oder hasst. Dazwischen geht nicht viel.
Und jetzt das: Ein Crowdpleaser! Eine Liebesgeschichte!! Die natürlich auch ironisch gebrochen wird, aber immerhin. Und die auch ernst gemeint bleibt. Eine Coming-of-Age-Geschichte aus den frühen 1970er Jahren, die mit Nostalgie und melancholischem Herzschmerz ebenso spielt wie mit jugendlichem Ulk-Humor, mit kindlich-kindischen Albernheiten.
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Anderson erzählt aus irgendeinem Grund wahnsinnig gerne von neurotischen oder verträumten Charakteren und von deren verschiedenen Zwängen, sowie von der kaum verborgenen Angst dieser Figuren, die dazu neigen, zwischen einer falschen Selbstsicherheit und einer allzu offensichtlichen Unentschlossenheit zu schwanken.
Gary ist 15 und ein Kinderstar im Hollywood-Showbiz, Alana ist Assistentin eines Fotografen und 10 Jahre älter. Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, die allerlei Schwierigkeiten erlebt, von denen der erstaunliche Altersunterschied nicht der größte ist. Gespielt werden sie von Alana Haim, Gitarristin und Sängerin vom Indie-Rock-Trio Haim (gemeinsam mit ihren beiden Schwestern, die auch im Film zu sehen sind), und von Newcomer Cooper Hoffman, dem Sohn von Andersons Lieblings-Darsteller Philip Seymour Hoffman, der 2014 versehentlich an einem Drogencocktail starb. Diese beiden Nachwuchsschauspieler sind alles andere als glamourös, doch das ist Konzept. So wie der Verzicht darauf sie zu schminken. So sieht man Pubertätspickel, Akne und Hautflecken – eine zur Schau getragene emotionale Nacktheit, die mehr als einen Hauch jener Verteidigung des Vulgären atmet, die man in den Filmen von Mike Leigh finden kann, die mir, wie manches von Anderson, immer auch ein bisschen zynisch vorkommen.
Mehr noch als um die Liebe zwischen beiden geht es um die Figuren selbst: Alana widersetzt sich Garys hartnäckigem Werben, verständlicherweise. Was man aber nicht versteht: Sie hängt gerne mit Gary und seinen Freunden ab, ohne selber zu verstehen, warum. Wie gesagt: Sie sind 10 Jahre jünger. Alana, sitzt in den kleinbürgerlichen armen Verhältnissen der Eltern fest, sie weiß nicht, was sie will, und schafft es auf ihrer Weise auch nicht, erwachsen zu werden.
In Nebenrollen erlebt man einen überraschend selbstironischen Sean Penn, der wohl auf den alternden William Holden anspielen soll, und Bradley Cooper als Jon Peters, ein Friseur, der als Barbra Streisand-Liebhaber bekannt wurde und als Vorbild für die Warren-Beatty-Figur in Shampoo in die Filmgeschichte einging. In dieser Figur verdichtet sich ein schon damals überholtes Bild von Männlichkeit, das aus der passiv-aggressiven Haltung gegenüber naiven jungen Leuten Kraft schöpft, aus dem Wissen, dass nur man selber in der Lage sind, »Barbra Streisand« richtig auszusprechen.
Jede zweite Einstellung ist eine Reverenz an das Kino. Noch nie war ein Paul-Thomas-Anderson-Film so fetischistisch und einem Tarantino-Film so ähnlich, wobei Once Upon a Time... in Hollywood eine alternative Geschichte erzählt, während Licorice Pizza eher versucht, die Realgeschichte wieder und wieder zu durchleben und in den Status eines Kindes
zurückzureisen.
Wie ein Kind sich insgeheim nach Ordnung sehnt, so sehnt Anderson sich nach der Kindheit des Jahres 1973. In dieser Liebe zum Infantilen (im besten Sinn des Wortes) erinnert der Film auch an Richard Linklater, vor allem an Boyhood.
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Natürlich will dieser Film auch über private Gefühle und Unterhaltung hinaus etwas Substanzielles erzählen: Über das Jahr 1973, in dem der Vietnamkrieg zu Ende ging und Richard Nixons Watergate-Affäre ans Licht kam und in dem Wasserbetten der allerneueste Konsumrenner wurden.
Über die Filme New Hollywoods, denn dies ist auch ein satirischer Blick hinter die Kulissen der Filmindustrie, der vor allem auf Werke von Robert Altman und Peter Bogdanovich anspielt.
Und er erzählt vom Übergang vom handwerklichen zum postmodernen Wirtschaften, vom analogen zum digitalen Zeitalter, das bereits in den vielen Ideen von Hauptfigur Gary auftaucht, der auch ein Geschäftsgenie ist, das immerfort nur in den Kategorien von »Billig kaufen, teuer verkaufen« denkt. In dieser Figur gibt es auch ein paar Bill Gates-Anteile, ein Stück Silicon Valley. Es gibt darin aber auch schon den dunkleren Teil neben der Geschichte der Garagen-Genies, die zu Milliardären wurden, der mit diesen aber untrennbar verbunden ist: die Geschichte vom Aufstieg der Hochstapler im Gewand der Unternehmer.
Anderson will einen Sinn für die Verluste schaffen, die mit dem einhergehen, was wir heute für Fortschritt halten. In dieser Hinsicht ist Andersons neues Werk unbedingt ein konservativer Film, so wie dieser Regisseur wohl ein konservativer Filmemacher ist, wie das auch frühere Filme, nicht zuletzt sein letzter, Phantom Thread, bewiesen.
Licorice Pizza fügt sich auch in anderer Hinsicht in das Werk dieses Regisseurs: Denn dessen Filme sind fast immer Americana, also Filme, die ein Kapitel aus dem amerikanischen Jahrhundert und dem Mindset der USA erzählen wollen.
In diesem Fall geht es um das Jahrzehnt der Befreiung, um die kurze Phase zwischen dem brutalen Jahr 1968 und dem Regierungsantritt von Ronald Reagan, der Phase, in der Amerika an sich selbst einmal kurz zu zweifeln begann –
Stichwort Watergate – und sich das Land darüber tatsächlich liberalisierte, bevor der Neoliberalismus die Herrschaft über die Köpfe und die Dinge übernahm.
Das Jahr 1973 ist nicht eines, sondern das Schlüsseljahr in dieser Entwicklung, die von 1969 bis 1979 reicht: Nichts war hier besser als in anderen Jahren, wie gesagt begann Watergate, in Vietnam wurde der Frieden geschlossen, in Chile wurde mit Salvador Allende die Hoffnung gemordet und die USA schauten zu, mit dem Jom-Kippur-Krieg verlor Israel seinen Nimbus, es gab die Ölkrise und – vielleicht am bedeutendsten –: mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Abkommens entfesselte die US-Regierung die Finanzmärkte. Vor allem aber war 1973 das Jahr, in dem die Geschichte gewissermaßen ihren vorläufigen Scheitelpunkt erreichte. Seitdem läuft sie im Sinne von Baudrillards Das Jahr 2000 findet nicht statt rückwärts.
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Der Titel bedeutet übrigens »Lakritz Pizza«. Keine Angst: dieses Essen wird den ganzen Film über nicht serviert werden. Mehr noch: Es wird nicht mal erwähnt. Der Regisseur, so hat er in Interviews erklärt. hat diesen Titel einfach deswegen gewählt, weil er ihn ein schönes Wort findet, viel schöner als all' die anderen Worte, die ihm eingefallen sind, um diesen Film zu betiteln. Und diese Geste dieser Entscheidung gibt die Richtung vor: Es geht letztendlich um pure Schönheit, also um
Subjektivität; es geht um den Sinn der Sinnlosigkeit. Genau gesagt um den Sinn, der in dem steckt, was vermeintlich keinen Sinn macht, was vermeintlich die reine Willkür ist.
Davon abgesehen ist »Lakritz-Pizza« natürlich auch eine Metapher und Verballhornung der klassischen Vinyl-Schallplatte, die in etwa so aussieht, wie eine Lakritz-Pizza wohl aussehen könnte, wenn es sie denn gäbe. Dies war tatsächlich auch der Name einer alten Platten-Verkaufskette.
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Inszeniert ist das alles mit berückender Souveränität und einer enormen Leichtigkeit: Die Kamera fließt im Rhythmus der Musik, schon zu Beginn sieht man eine schwindelerregende Plansequenz; die Montage ist so etwas wie die Taktgeberin das Ganzen, die dem Film einen atemberaubend flüssigen Sog verleiht; die Schauspieler sind großartig und perfekt gecastet und geführt.
Alles das, was Paul Thomas Anderson immer schon gut konnte, aber vielleicht nur ein einziges Mal bisher,
vor 22 Jahren in Magnolia virtuos zusammenbrachte, das zeigt er in diesem Film.
Licorice Pizza hat den Charme und die Magie der frühen Filme des Regisseurs. Vielleicht liegt das daran, dass er erstmal seit langem wieder in gewissem Sinn autobiographisch ist: Gedreht in den Suburbs von Los Angeles, im San Fernando Valley, dem Tal, in dem der 1970 geborene Anderson selber aufgewachsen ist – und das auch schon als Kulisse für Boogie Nights und Magnolia diente.
Wie in diesen Filmen ist auch hier die Musik besonders wichtig und besonders exquisit: Zum Soundtrack gehören Nina Simone, The Doors, Paul McCartney & Wings, David Bowie, Donovan,...
Once Upon a Time... in Hollywood ist ohne Frage der grundsätzlich bessere Film, weil er einen Sinn für das Mythische der menschlichen Existenz mit einem Sinn für Verluste und Tragödien verbindet. Aber Licorice Pizza ist der humanistischere Film.
Er ist fehlerfrei, gewissermaßen so fehlerfrei, dass man als Zuschauer fast schon wieder beginnt, Verdacht zu schöpfen: Vielleicht ist das Einzige, was man gegen diesen leichten, fröhlichen, hübsch surrealen, enorm humanistischen Film einwenden kann, genau das: Dass er und sein Regisseur genau wissen, wie gut sie sind. Und dass sich der Film in seinen ganzen Stärken sehr gut (allzu gut?) gefällt.
Mal wieder ist es »Time«-Kritikerin Stephanie Zacharek, die dieses diffuse Gefühl, das ich beim Anschauen dieses Film trotz aller vieler kleiner Freuden hatte, glänzend auf den Punkt bringt: »Movies that seem assured of how endearing they are usually end up being the least endearing of all. ... Licorice Pizza feels pleased with how casual and effortless it is, which is the exact opposite of being casual and effortless.«
Trotzdem: Der Kern des Films und sein eigentlicher Hedonismus liegen woanders: In seiner Nostalgie und in Andersons erhabenen Steadicam-Exzessen. Sie sind in ihrer ganzen Sinnlosigkeit pure Lust. Damit und nur damit ist dieser Film nicht nur die erste Überraschung des Kinojahres, er ist auch dessen erster großer Film.
PS:
Es ist interessant, wie die angelsächsischen Kritiker auf diesen Film reagieren: Man kann grob zusammenfassend sagen, dass die uninteressanten und Mainstream-Filmkritiker diesen Film ganz großartig finden, während die anderen kleinere oder größere Bedenken anmelden. Die »New York Post« gibt 100 von 100, die New York Times nur 70 von 100. Normalerweise ist es bei Filmen dieses Regisseurs mindestens umgekehrt. Das nährt den Verdacht. Hinzu kommt: Es sind die mehr oder
weniger alten Männer, die diesen Film gut finden. Und es sind die Frauen, nicht immer junge, die diesen Film schlecht finden. Und ich muss zugeben: Aus Erfahrung vertraue ich mehr den Frauen. Ich muss also mein eigenes Urteil noch einmal überprüfen.