Deutschland 2011 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Christian Klandt Drehbuch: Catrin Lüth Kamera: Andreas Hartmann Darsteller: Joseph Konrad Bundschuh, Gisa Flake, Isabell Gerschke, Antonia Kanischtscheff, Philipp Kubitza u.a. |
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Augenringe, aber irgendwie glücklich |
»Können die auch mal 'Papa' sagen?« Charly blickt verächtlich auf die vielen Babypuppen im Regal. Der Impuls durchfährt sie und Sarah zeitgleich: Blitzschnell arbeiten sie sich durch die künstlichen Schutzbedürftigen, die die Spielwarenabteilung des Kaufhauses in eine Kurzzeithölle aus Mama-Geplärre verwandeln, und entkommen kichernd dem entrüsteten Verkäufer.
Klingt nach alberner Teenager-Unbeschwertheit. Doch in Little Thirteen von Christian Klandt sind Szenen wie diese mit eindringlichem Subtext aufgeladen. Sicher, die dreizehnjährige Sarah und die sechzehnjährige Charly sind flotte Teens,permanent ohne Jeans: Chats, Parties, und vor allem Sex bringen ihnen immer wieder aufladbaren Spaß. Doch der bekommt für beide Freundinnen immer größere Löcher, als Charly schwanger wird und Sarahs Mutter, mit der Sarah sonst auch wirklich alles teilt, sich zunehmend für den neuen Freund ihrer Tochter interessiert.
Sex ist das Gitter, das diesem filmischen Soziogramm seine Struktur verleiht. Er ist das allzeit für alle verfügbare und habitualisierte Medium der Identitätsstiftung, Unterhaltung, Ablenkung, der Ersatz für Geborgenheit und weiß der Teufel noch was. Das zeigt der Abschlussfilm von Klandt und sieben weiteren Diplomanden der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg zur Genüge. Dabei liege das Erschütternde nicht in einer Handlung selbst, sondern in der Diskrepanz zwischen unserem Blick und dem Umgang der Figuren damit, sagt Drehbuchautorin Catrin Lüth. Mit Verlaub: Hätte das Werk sonst nichts zu bieten, wäre es nur eine effekthaschende Aneinanderreihung von Episoden mit dauerkopulierenden Teenagern und ihren verkorksten Müttern.
Zum Glück ist da, gewollt oder nicht, noch eine Frage im Anhang, die etwa so lauten könnte: Ich ficke, also bin ich. – Und was wird sonst so aus mir? Mit ihr ermöglicht es der Film, die Beziehungsgeflechte aufzutrennen und die Entwicklung der Figuren nebeneinander zu betrachten. Er bekommt eine überraschend bemerkenswerte Tiefe. Zwar gerät dabei ausgerechnet die Protagonistin Sarah, dargestellt von der bezaubernden Muriel Wimmer, leider etwas zu weit aus dem Fokus. Aber die übersexualisierte Welt, in der sie lebt, wird von einem Personal bevölkert, das genug erzählenswerte Geschichten bereithält: Allen voran Charly, deren Zukunftspläne sich auf »hartzen, chillen und Geld kriegen« sowie auf die Suche nach einem Vater für ihr Kind reduzieren und die gefangen ist in einem familiären Umfeld mit einer Mutter, die vom Sofa nicht mehr herunterkommt und einem kleinen Bruder, den die Einsamkeit gerade in ein Mini-Monster oder einen Irren verwandelt.
Die Mütter in Little Thirteen wirken wie Kinder, die einst Kinder gezeugt haben, in einer Art fortgeschrittenen Stadium, das mit Erwachsensein nichts zu tun hat. Deshalb ist Sarahs Mutter Doreen ein interessantes Pendant zur kinderlosen Mavis Gary aus Young Adult: Genauso schön und blond, genauso im Glauben verhaftet, dass ihr das Leben unvergängliche Jugend schuldet, ist der Schauplatz ihres Würdeverlusts nicht, wie bei Mavis, die gesittete Party unter Gleichaltrigen, sondern der heruntergekommene Jugendtreff der Tochter, wo sie sich wie ein Reptil den Weg bahnt zum Ziel ihrer Begierde. Schutz und Geborgenheit kann sie ihrem Nachwuchs nicht geben, stattdessen nur so etwas wie Freundschaft anbieten, die in Konkurrenz ausartet.
Diese sonderbare Offenheit, wie sie hier von Erwachsenen und Jugendlichen gelebt wird, lässt keinen Raum für Privatheit, weder für ihre Entwicklung, noch für ihren Schutz. Darunter leidet Sarah und profitiert ihr neuer Freund Lukas. Seine Kamera ist selten ausgeschaltet, damit filmt er seinen Kumpel mit dessen Wissen beim Sex, um das Material gegen Pillen zu verticken an Leute, die das Gezeigte eigentlich noch »jünger und krasser« haben wollten. Doch weil auch für ihn die Beziehung zu Sarah etwas Besonderes ist, verliert sich der Junge aus gut bürgerlichem Hause zunehmend in seiner Rolle als teilnehmender Beobachter.
Die Behutsamkeit und Detailgenauigkeit, mit der sich Little Thirteen sämtlichen Figuren annähert, verdient Anerkennung. Viele Gespräche, auch mit Sozialpädagogen, und Filmworkshops mit Jugendlichen gingen der Entstehung des Films voraus. Sein erklärtes Ziel, die Lebenswelt seiner Figuren erfahrbar zu machen, ist Klandt zweifelsohne geglückt, auch wenn die Authentizität der Dialoge im letzten Teil etwas an Klang verliert. Die kraftvollen Bilder der Großstadt-Tristesse mit ihren Hochhäusern, Tiefgaragen und Kleingärten, wo die sensationslüsterne virtuelle Wirklichkeit natürlich auch längst angekommen ist, lassen Little Thirteen stärker nachwirken und einen über die Zukunft heranwachsender Menschen hierzulande nachdenken, als zunächst angenommen.