Argentinien/Chile/GB/Taiwan/D 2023 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: Felipe Gálvez Haberle Drehbuch: Felipe Gálvez Haberle, Antonia Girardi Kamera: Simone D'Arcangelo Darsteller: Camilo Arancibia, Benjamin Westfall, Mark Stanley, Alfredo Castro, Marcelo Alonso u.a. |
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Die apokalyptischen Reiter des chilenischen Genozids | ||
(Foto: MUBI) |
Harte Männer bei der Arbeit in der wilden Natur: Weidezäune werden gezogen, um das Gebiet für das weiße Gold, die Schafe, einzuhegen, über das der Großgrundbesitzer und Viehzüchter José Menéndez (Alfredo Castro) im äußersten Süden Chiles, in Feuerland, verfügt. Es ist Anfang des 20. Jahrhunderts, auch die letzten Ländereien sollen den ganz in den Süden abgedrängten Indigenen genommen werden, um der Zivilisation der Weißen mehr Raum zu verschaffen. Dabei geht es mehr als barbarisch zu, wie sich zeigt, als einem der Männer beim Spannen der Drähte mit kaltem Sirren ein Arm abgetrennt wird. Alexander MacLennan (Mark Stanley), der Mann fürs Grobe in Diensten von Menéndez, zaudert nicht lange, er gibt dem nicht mehr verwendbaren Arbeiter einfach den Gnadenschuss.
Der Brite im roten Soldatenrock, er schreibt sich den Rang eines Lieutenants zu, soll auch einen Kundschaftertrupp durchs Territorium der Indigenen führen und die Gegend von den »Indios säubern«, wie José Menéndez ihm aufträgt. Er möchte für seine Viehherden eine sichere Passage zum Atlantik.
Er gesellt dem Briten einen Cowboy bei, Bill (Benjamin Westfall), der seine zynische Expertise in Sachen Indianerjagd aus Texas mitbringt. Aus den anwesenden Weidezaunarbeitern rekrutiert MacLennan dann noch den »mestizo« Segundo (Camilo Arancibia) über einen Schießwettbewerb als zielsicheren Scharfschützen. Segundo steht zwischen den Weißen und den Indigenen, eine enigmatische Gestalt zwischen Selbstverleugnung und Subversion, der gegenüber der Amerikaner Bill von vornherein sein offen rassistisches Misstrauen ausdrückt. Dieses Trio macht sich nun auf in die Landschaft Patagoniens im äußersten Süden des lateinamerikanischen Kontinents. Ihr gewaltvoller Trip führt sie letztlich ins Herz der Finsternis, wenn sie auf den obskuren schottischen Feldherrn Colonel Martin (Sam Spruell) treffen, der sich mit seinem Trupp als eine Art Freibeuter auf einem Privatfeldzug befindet.
Brutale Übergriffe auf die Indigenen erzählt der Film nicht aus, sondern verdichtet sie in prägnanten Szenen. Was dabei an Tötungen und Vergewaltigungen zur Darstellung kommt, ist freilich fürchterlich genug. Los colonos erzählt von dem historisch verbürgten Genozid an den indigenen Selk'nam im Süden Chiles: Alexander MacLennan und José Menéndez haben wirklich existiert.
Um den Stoff überhaupt erzählbar zu machen, bedienen sich Regisseur Felipe Gálvez und Bildgestalter Simone D’Arcangelo klassischer Motive und Erzählmuster des Westerns, eine recht schlüssige Gestaltung, die die raumgreifende Expansionsbewegung der Kolonisierung im Norden und Süden Amerikas als Teile desselben großen Narrativs erkennbar macht.
Ganz im Sinne des Genres wird dabei die Landschaft zu einem weiteren Protagonisten. Der überwältigende Eindruck, mit dem die Erhabenheit der Natur hier ins Bild gesetzt wird, hat allerdings etwas Erschreckendes und kündet vor allem von der Gewalt, die der Mensch in die Natur mit seiner Anwesenheit einschreibt.
Das gewählte Bild-Format 1.5:1 schafft mit einer Anmutung von Breitwand scheinbar mehr Raum als das klassische 4:3-Format, bleibt aber letztlich ähnlich beengt. Die Totalen, bei denen die Reiter sich in der Landschaft verlieren, werden in schroffer Montage mit Nah-und Großaufnahmen kontrastiert, in denen Pferde- und Menschenköpfe aus dem Raumzusammenhang herausgeschnitten werden. Mit gleicher Wucht werden die knallig roten Lettern der vier Kapitelüberschriften in die Leinwand hineingestanzt. So schlägt sich in der filmischen Form nieder, wie die angeblich zivilisatorische Mission ihren Ausdruck als Barbarei findet, die Mensch und Natur angetan wird.
Im letzten Kapitel des Films wird dann die scheinheilige Perfidie der Siedler im kolonialen Idyll des Großgrundbesitzers Menéndez noch auf die Spitze getrieben. Ganz im Gewande bürgerlicher Kultiviertheit zeigt man sich von dem Stolz beseelt, in der Wildnis auf heroische Weise lediglich die zivilisatorischen Belange der Hauptstadt zu verteidigen. Die Demontage dieser selbstgerechten Kulturlüge ist Felipe Gálvez mit dem vorher Gezeigten aufs Eindringlichste gelungen.